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# taz.de -- Die Wahrheit: Staubsauger auf dem Sitz
> Scooterman sitzt auf eigene Veranlassung fest. Am elften Tag beschließt
> er, jetzt dann doch mal dringend etwas zu tun.
„56, 57, Schweinswurst. Jeden Abend gibt es hier Schnitten mit
Schweinswurst! 64, 65.“ Tarik war ernsthaft verstimmt, als er durch den
Garten im Innenhof der Klinik stapfte. Genauer gesagt, Tarik war an seine
Tagesarbeit gegangen. Die bestand darin, im Kreis den Innenhof zu umrunden.
Und zwar mit genau 120 Schritten. Er war gerade außer Hörweite, als sich im
vierten Stock ein Fenster öffnete.
„Hilfe!“, brüllte eine etwa siebzigjährige Frau im nachlässig
übergeworfenen Bademantel. „Ich bin hier eingesperrt seit 1964! Aber jetzt
gehe ich einfach da unten in den Hof und nehme mir das Handy von meinem
Großneffen. Dann könnt ihr mal sehen, was mit euch pass…“
In diesem Moment tauchte hinter ihr ein kräftiger Pfleger auf. Er zog die
Frau routiniert ins Zimmer, schloss das Fenster und setzte geradezu elegant
eine Beruhigungsspritze an ihrer Schulter an. Dann winkte er mir
entschuldigend zu.
Bis heute hatte niemand genau ermitteln können, warum Frau Wichert mich für
ihren Großneffen hielt, der Mitte der sechziger Jahre in einem Krankenhaus
mit ihrer Tante Heidi gezeugt wurde. Und der seitdem verschollen war – bis
Frau Wichert mit einem einzigen Blick in meine Augen ermittelte, dass ich
das verschollene Kind war. Und damit ihr Großneffe.
Tarik hatte seine Runde inzwischen fast beendet. „114, 115.“ Er merkte,
dass es knapp wurde. Schritt so weit wie möglich aus. „118! Scheiße. 119.“
Aber es war nicht zu schaffen. „Jetzt muss ich 27 Strafrunden laufen“,
klagte Tarik in seinen Dreitagebart. Harte Regeln. Er hatte sie sich selbst
aufgestellt. Wie Menschen es tun, die irgendwann in einer psychiatrischen
Klinik landen.
## Zu viel Automatenkaffee
Mittlerweile war es mein elfter Tag, an dem ich mich mehr oder minder
freiwillig in diese Klinik in Berlin-Wilmersdorf geflüchtet hatte. Nach
meiner Meinung war ich einmal zu oft grundlos gestürzt, Multiple Sklerose
hin oder her. Wirklich helfen konnten mir die Ärzte hier nicht. Das hätten
sie gekonnt, wenn ich nach irgendeinem Drogenrückfall mit den Füßen zuerst
eingeliefert worden wäre. Oder akut schizoid, wenn ich zum Beispiel Frau
Wichert für meine Großtante gehalten hätte.
Nun saß ich bereits fast zwei Wochen täglich am künstlich angelegten Teich
und stopfte deutlich zu viel Automatenkaffee und Automatensüßigkeiten in
mich hinein. Gemeinsam mit meinem Zimmerpartner Alex, der studierter
Industriedesigner war und ein netter Kerl. Wenn er bloß nicht immer über
sein drittes Auge reden wollte. Nur meine Freundin machte mir Sorgen. Die
rief jeden zweiten Tag an und war immer schlechter gelaunt. Eigentlich
musste ich dringend etwas tun.
„Hallo?!“, stampfte der kräftige Pfleger ganz entschieden auf den Innenhof.
„Ihr Scooter …“ – „Harry? Was ist mit ihm?“ Plötzlich fiel mir ein…
mein armer Scooter auch schon seit elf Tagen ausgesperrt vor der
Stationstür auf mich wartete.
„Nun …“, der Pfleger kratzte seinen Specknacken. „Er hat plötzlich ein…
Staubsauger auf dem Sitz.“
Es wurde scheinbar wirklich dringend Zeit, etwas zu tun.
15 Oct 2014
## AUTOREN
Knud Kohr
## TAGS
Psychiatrie
Staubsauger
Berlin
Scooterman
Scooterman
Scooter
Krankenhäuser
Potsdamer Platz
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