# taz.de -- Die Wahrheit: Scooterman und die alten Männer | |
> Wer im Berliner Shopping-Geschiebe dem Tod begegnet, den kann das Leben | |
> nicht mehr schocken. Auch nicht das in einem Einkaufscenter. | |
Neulich begegnete Scooterman dem Tod. Und zwar mitten in | |
Berlin-Charlottenburg am helllichten Tag. | |
Gerade war der Besuch in der Schlossparkklinik beendet, wo ich mich wie | |
jeden Montag, Mittwoch und Freitag hartnäckig weigere, das Leben als | |
schwerbehinderter Strommobilfahrer zu akzeptieren. Wie immer hatte ich | |
mich an einer Querstange aus meinem Gefährt erhoben und so lange | |
schleppende Schritte und halbe Kniebeugen trainiert, bis meinem Therapeuten | |
ganz bang wurde. Eine Viertelstunde nach Trainingsende hörten die Beine auf | |
zu zittern. Warum also nicht einen Abstecher in die Wilmersdorfer Arcaden | |
wagen? | |
Hundert Meter bevor ich das Einkaufszentrum erreichte, wurde es plötzlich | |
voll auf dem Bürgersteig, so voll, dass ich nicht durchkam. Bevor ich auch | |
nur „Menno!“ denken konnte, erkannte ich den Grund für den Stau. Ein alter | |
Mann war zusammengebrochen. Herzanfall. | |
Ein junger Passant kniete halb über ihn gebeugt, pumpte entschlossen eine | |
Herzdruckmassage auf seine linke Brustseite. Ein anderer junger Mann hielt | |
den Kopf des Alten und sagte Sachen wie „Bleib bei mir! Die kommen gleich“. | |
Wie in jeder Nachmittagsserie, wenn es um Leben und Tod geht. Das Einzige, | |
was störte, war ein Wichtigtuer. „War mal Sanitäter“, erklärte er seine | |
Kompetenz. Und zerrte dann an den Füßen des alten Mannes herum. Als ein | |
Krankenwagen mit echten Sanitätern kam, gab ich Strom. Wenn noch etwas zu | |
retten war, würden die Profis es schaffen. | |
Im Untergeschoss der Arcaden stehen ein paar wenige Ruhebänke. Direkt vor | |
dem „Kiddieland“, wo jeden Tag von 9 bis 21 Uhr die Unterhaltung stirbt. | |
Zehn billige Karussells, die mit Plastik gewordenen Figuren aus „Bob der | |
Baumeister“ „101 Dalmatiner“ oder vergleichbaren B-Helden ausgestattet | |
wurden, lauern auf Kundschaft. Füttert man sie mit ein wenig Münzgeld, | |
drehen sie ein paar Runden und wirken dabei mürrisch. Keine Ahnung, wie sie | |
das anstellen. | |
Auf einer Seite der Ruhebank saß ein Mann. Ob er schlief oder bereits | |
verschieden war, konnte man auf den ersten Blick nicht erkennen. Auf jeden | |
Fall hatte er sich ein bisschen Restwürde bewahrt. Seine Flasche Wermut war | |
mit Sicherheit nicht die erste, die er heute geleert hatte. | |
„Geschlafen wird hier aber nicht“, herrschte ihn ein junger Mann vom | |
hausinternen Sicherheitspersonal an. Seine Uniform sah aus, als hätte die | |
Geschäftsführung sie gebraucht von der Polizei Entenhausen gekauft. „Nu | |
stehnse ma auf!“, raunzte der Sicherheitsmann weiter und ruckelte kurz an | |
der Schulter des Wermutbruders. Als Antwort rutschte der zur Seite, fiel | |
von der Bank und prallte auf den Boden. | |
„Ach, du Scheiße“ analysierte der Entenhausener die Situation. „Marco, | |
Notfall vor dem Kiddieland“, berichtete er in sein Telefon: „Vielleicht | |
brauchen wir einen Krankenwagen.“ – „Ich weiß, wo einer ist“, hätte i… | |
antworten können. Aber dann gab ich lieber Strom. Und suchte mir ein Café | |
um die Ecke, wo ich den Tag überlebte. | |
22 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Knud Kohr | |
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