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# taz.de -- Literarische Plagiatoren von Weltrang: Wie aus Fetzen Büchern werd…
> „Zettelpoeten“ wie Walter Benjamin oder Rainald Goetz können Gelehrte
> oder Räuber sein. Warum, erzählt das Buch „Gesammelte Welten“.
Bild: Die „Gedicht-Bilder“ von Herta Müller sind auch eine Art Montagetech…
Seit der Antike werden Sammler von Dingen symbolisch und emblematisch als
Bienen und Bienenschwärme dargestellt. Sehr beliebt wurden in der frühen
Neuzeit Kuriositätenkabinette, in denen Adlige und reiche Bürger exotische
Gegenstände, seltene Naturphänomene, aber auch handwerkliche Produkte und
Kunstwerke präsentierten und in Katalogen verzeichneten. Solche Sammlungen
wurden im 17. Jahrhundert in England und in den Niederlanden zu
Statussymbolen. Es sind Frühformen von Museen, zunächst sozial exklusive
naturgeschichtliche Lernorte.
Im Umkreis der vor allem naturwissenschaftlich orientierten Royal Society
in London verstanden sich die Sammler als „experimentelle Philosophen“ und
„Virtuosen“, die sich nach dem Zeugnis von Robert Hooke (1634–1703) mit
„allen nützlichen Künsten, Manufakturen, mechanischen Praktiken, Maschinen
und Erfindungen“ beschäftigten und dabei auf die Abgrenzung von aller
Spekulation, das heißt Theologie, Philosophie, Morallehre, Rhetorik und
Politik, Wert legten.
Die Sammlungen wurden später theoretisch als „repräsentative“ Totalität
begriffen, als „Mikrokosmos im Makrokosmos“. Mit der beschleunigten
Vermehrung des Wissens und der umfassenderen
naturwissenschaftlich-analytischen Durchdringung der Welt in der Zeit der
Aufklärung wurde der Totalitäts- wie der Exklusivitätsanspruch der
Naturalienkabinette aber immer fiktiver: Die Jagd nach Vollständigkeit
wurde illusorisch, denn Neues wie auch Rares tauchte immer schneller und
häufiger auf.
Private Realiensammlungen verschwanden und wurden abgelöst von
naturhistorischen Museen, die auf zugleich bescheideneren und
wissenschaftlich besser fundierten Ansprüchen beruhten.
## Literarisches Blütenlesen
Ein ganz anderes Schicksal hatten die Sammler und die Sammlungen von
Worten. Bereits im 16. Jahrhundert wurden Kompilatoren alter Texte zum
Sinnbild des bienenfleißigen Gelehrten, insbesondere der Sammler von
literarischen „Blütenlesen“ („Florilegien“) und der Lexikografen.
Bienen galten als symbolischer Gegensatz zu Fliegen, denn diese erzeugen im
Unterschied zu jenen nichts Nützliches und belästigten nur. Für Jonathan
Swift (1667–1745) produzierte die Biene Süßigkeit (Honig) und Licht
(Wachs), entsprach also auch einer seit der Antike bekannten ästhetischen
Norm – nämlich der Verbindung von „Genuss und Nutzen“ (Horaz).
Den fleißigen Sammlern von Wörtern und Gedanken anderer Autoren drohte seit
der Entdeckung des Autors und der juristischen Ausformulierung von
Autorrechten Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts allerdings eine
Falle: Wer Wörter, Sätze, Gedanken anderer Autoren verwendete, ohne sie als
Zitate auszuweisen, wurde vom Sammler zum Dieb oder Räuber, akademisch
formuliert zum Plagiator.
Stadler/Wieland zeigen in ihrer eleganten und äußerst gelehrten Studie an
sieben „Zettelpoeten“ (Jean Paul), das heißt Autoren des 19. und 20.
Jahrhunderts, die ihre Werke gerne mit mehr oder weniger präzis
ausgewiesenen Übernahmen von Texten anderer Autoren ausstatteten, die
Abgründe und die konzeptionellen Möglichkeiten solcher Montagetechniken.
## Poetisches Philosophieren
Bert Brechts sprichwörtlich „laxer“ Umgang mit Fragen des geistigen
Eigentums ist bekannt. Stadler/Wieland beschäftigen sich mit Ernst Bloch,
Walter Benjamin, dem Großkompilator Arno Schmidt sowie einigen anderen
„Zettelpoeten“ von Jean Paul bis Rainald Goetz.
Ernst Bloch geriet auch bei Freunden unter Plagiatsverdacht: Adorno
bezeichnete ihn als „Märchenerzähler“, und Walter Benjamin betrachtete
Blochs „Entlehnungen“ schlicht als „Einbruch“. Stadler/Wieland halten
juristische Argumente jedoch für untauglich, denn Blochs „Spuren“ sind dem
ästhetisch anspruchsvollen Konzept von „Denkbildern“ programmatisch
verpflichtet.
„Denkbilder“ wollen – dem Paradoxon zum Trotz – das Prozessuale des Den…
mit dem Statischen des Bildes, die Reflexion mit dem Zustand verbinden.
Seine „Denkbilder“ erzählen und bedienen sich dabei eines „zitierenden
Gestus“, und sie wollen dem Leser gleichzeitig – das Erzählte reflektierend
– einen Rat geben. Es handelt sich um eine methodisch riskante Form des
Philosophierens, das sich auch auf „poetische Verfahren“ stützt.
Benjamin war ein Sammler ganz anderer Art. Mit seiner Art, Zitate zu
montieren und mit dem eigenen Text zu verknüpfen, will er die Differenz
zwischen beiden zugleich unterminieren und überbrücken. Er ist der Ansicht,
dass nur in diesem gleichzeitigen Prozess des Überbrückens und
Unterminierens von Fremdem und Eigenem
„Noch-nicht-bewusstes-Wissen-von-Gewesenem“ gleichsam „blitzhaft“ entst…
bzw. einschlägt. Auch dieses Verfahren lehnt sich an Praktiken der „Kunst“
an und distanziert sich explizit von positivistisch verstandener
Wissenschaft.
Die glänzend geschriebene und akribisch-präzis argumentierende Studie der
beiden Autoren zeigt, was kulturgeschichtliche Analysen, die nicht mit
gerade modischen „Theorieansätzen“ blenden, sondern auf solides
philologisch-ästhetisches Handwerk setzen, an Einsichten zu bieten
vermögen.
28 Oct 2014
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Poesie
Philosophie
Arno Schmidt
Walter Benjamin
Theodor W. Adorno
Barbara Hendricks
Schwerpunkt Urheberrecht
Märchen
Arno Schmidt
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