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# taz.de -- Pharma-Professor über Ebola: „Kurzfristige Sensationsforschung“
> Die Pharmaindustrie hat sich bisher nicht intensiv um Ebola-Medikamente
> bemüht, weil sie kein Geld bringen. Doch auch die Universitäten forschten
> nicht. Warum?
Bild: Ebola-Station in New York: Die Forschung ist spät dran.
taz: Herr Eschenhagen, im Kampf gegen Ebola hat die akademische Forschung
sich nicht mit Ruhm bekleckert. Es ist die ureigenste Aufgabe öffentlicher
Gesundheitssysteme, Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln für
Krankheiten, für die sich die Industrie aus ökonomischen Gründen nicht
interessiert. Warum ist das über Jahre nicht geschehen - weder bei Ebola
noch bei anderen Erregern?
Thomas Eschenhagen: Zu Ebola hat es durchaus Forschung gegeben, auch an
deutschen Universitäten. Sie ist nur nicht dahingehend abgeschlossen
worden, dass man am Ende einen einsatzfähigen Impfstoff gehabt hätte.
taz: Woran liegt das?
Akademische Forschung ist zunächst einmal ungerichtet. Ihr Antrieb ist das
Interesse zu verstehen, wie die Biologie funktioniert. Und dann wollen wir
verstehen, wie es zu Störungen der normalen Funktionen kommt. Das ist
zunächst einmal wertfrei: zu verstehen, wie etwas geht. Und das ist ein
hoher Wert, wissenschaftliche Neugier ist die Basis aller Entdeckungen.
Irgendwann verbindet sich damit die Hoffnung, dass, wenn man besser
versteht, auch besser behandeln kann. Indem man etwa besondere Enzyme oder
Proteine identifiziert, die beispielsweise nur ein Virus kodiert. Da könnte
ein Mikrobiologe dann auf die Idee kommen, daraus ein Medikament zu machen.
taz: Aber, lassen Sie mich raten, dafür fehlt ihm das Geld?
Wenn es mal bloß so platt wäre. Erfolgreiche Arzneimittelentwicklung
braucht riesige Apparate, um in die Praxis zu gelangen. Wir wissen
inzwischen: Der Erfolg eines Medikaments hängt keineswegs ausschließlich
damit zusammen, wie gut das Medikament ist, sondern auch, wie gut der
Apparat ist, der diese Medikamente entwickelt. Die wenigsten Universitäten
verfügen etwa über aufwendige Screening-Programme, um die Wirkung von
Substanzen auf ein komplexes System untersuchen zu können.
taz: Diesen Part der Forschung könnte doch die Industrie übernehmen?
Theoretisch ja. Praktisch sind die Gräben tief. Es mangelt an Kommunikation
- zwischen Universitäten und Industrie, aber auch zwischen Universitäten
und regulatorischen Behörden. Viele akademische Forscher halten es
moralisch für anrüchig, mit der Industrie zu kooperieren, aber das ist
Unsinn: Denn auch die akademische Forschung hat eine Verpflichtung, das
Steuergeld, über das sie verfügt, zum Nutzen der Menschheit einzusetzen.
Wir schweben nicht im luftleeren Raum.
taz: Um Arzneimittel zu entwickeln, braucht man einen langen Atem. Laut
Industrieangaben dauert es schon mal zehn Jahre, und selbst dann kann es
passieren, dass am Ende doch nichts heraus kommt. Haben akademische
Forscher diese Zeit?
Wir leben an den Universitäten zunehmend von der Hand in den Mund.
Vielerorts sind die Universitäten von Grundförderungsmodellen umgestiegen
auf Projektfördermodelle. In der Praxis bedeutet das, dass wir gegen eine
permanent schrumpfende Grundausstattung kämpfen und den Großteil unseres
Bedarfs über Drittmittelverträge reinholen müssen.
taz: Was ist daran so schlimm?
Diese Projekte laufen über ein, drei oder maximal fünf Jahre. Diese
Zeitspannen sind viel zu kurz, um so etwas Mühsames wie Arzneimittel zu
entwickeln. Die Erstentdeckung des Prinzips, wie ein Medikament
funktionieren könnte, wirft - wenn man Glück hat - ein Paper in einer
renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift ab, Nature oder Science
etwa. Aber diese Entdeckung zu bestätigen, den Versuch zu wiederholen und
zu zeigen, dass das Mittel unter anderen Bedingungen immer noch
funktioniert, dieses Procedere empfinden viele akademische Forscher als
langweilig und es lohnt ihnen keiner. Deswegen macht es keiner.
taz: Ist das nicht auch eine Frage der Anreize?
Klar. Die Anreize im akademischen System sind leider nicht so gestaltet,
dass man die Ausdauer fördert, die man in der Arzneimittelentwicklung
braucht. 80 Prozent unserer Leute haben keine Dauerstellen, sondern maximal
Fünfjahresverträge. Wenn sie in dieser Zeit nichts publizieren, wissen sie,
das wars. Also publizieren sie im Zweifel - irgendwas. Wir werfen der
Industrie ja gern vor, sie sei money-driven. Aber dann muss man auch sagen,
die akademische Forschung ist glory-driven.
taz: Was spricht gegen Ruhm und Ehre?
Unsere akademische Währung sind Paper, wissenschaftliche Fachaufsätze. Je
mehr Paper einer produziert, je größer, je spannender, desto besser.
taz: Besser wofür?
Für die eigene Karriere. Für die Aussicht auf Drittmittel für das eigene
Institut. Der ewige Wettbewerb macht die Leute sehr aktiv, sicher. Aber er
garantiert keinen echten Fortschritt. Unser System fördert nicht unbedingt
vernünftige Therapieforschung, sondern zu oft kurzfristige
Sensationsforschung.
taz: Ein Beispiel?
Nehmen Sie die Stammzellen. Die waren vor 15 Jahren der große Hype. Alle
sind auf diese Welle aufgesprungen, aber viele dieser Hoffnungen und
Versprechen haben sich als falsch oder übertrieben herausgestellt. Also ist
die Forscherkarawane weiter gezogen.
taz: Solche wissenschaftlichen Rückschläge sind doch Forschern nicht
einfach egal.
Den meisten sicher nicht, aber manchmal bin ich mir nicht sicher. Der
Stammzellen-Hype hat ja immerhin, bevor er zusammenbrach, noch viele
Karrieren produziert.
taz: Inwiefern?
Wenn alle auf ein Thema springen, dann haben Paper zu diesem Thema nicht
bloß gute Chancen, veröffentlicht zu werden, sondern sie werden auch häufig
zitiert. Wer heutzutage ein, zwei Nature-Paper vorweisen kann, dem ist die
Professur quasi garantiert. Und zwar unabhängig davon, ob sich das als
wissenschaftlich nicht haltbar erwiesen hat. Es gibt nachgewiesenermaßen
eine Korrelation zwischen dem Impact-Faktor eines wissenschaftlichen
Journals, und da rangiert Nature ganz weit oben, und der Zahl der Fehler.
Alle wissen das, aber keiner tut etwas dagegen.
taz: Was muss sich ändern?
Die deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die die damalige
CDU-Bundesforschungsministerin Schavan angeschoben hat, sind ein Schritt in
die richtige Richtung. Mehrere Universitätsklinika und außeruniversitäre
Einrichtungen schließen sich dabei zu einem Netzwerk zusammen. Sie sind auf
lange Sicht angelegt und erhalten eine jährliche Förderung von 40 Millionen
Euro, und zwar auch über den Stichtag der nächsten Bundestagswahl hinaus.
So gelingt es zum Beispiel, klinische Studien mit einer vergleichsweise
großen Patientenzahl zu machen, die eine einzelne Uniklinik nie hätte
rekrutieren können. Man kann darüber hinaus die gesamte wissenschaftliche
Leistungsfähigkeit des Netzwerks nutzen und über diesen Weg Studien auch
von einer Stufe zur nächsten führen, also zum Besipiel von der Maus zum
Schwein und dann zum Menschen zu gehen. Das wird langfristig hoffentlich
dazu führen, dass wir ein neues Wertesystem schaffen, in dem es nicht nur
um Paper geht, sondern um echte Erfolge in der Therapie.
taz: Es wird auch darüber diskutiert, Stiftungen zu gewinnen für die
Erforschung seltener, wenig lukrativer Krankheiten - ein Ausweg aus dem
Dilemma?
Stiftungen einzubinden ist ein neuer, viel versprechender Trend. Kürzlich
ist das gelungen bei einem neuen Medikament zur Behandlung multiresistenter
Tuberkulose. Diese Krankheit ist bei uns in Europa und in den USA sehr
selten. Und weil sie so selten ist, wird der Pharmahersteller vermutlich
einen extrem hohen Preis verlangen, um seine Entwicklungskosten wieder
einzuspielen. Damit wäre das Medikament aber in sehr armen Ländern, wo es
tatsächlich gebraucht wird, kaum noch einsetzbar. Also hat sich eine
Tuberkulose-Allianz gegründet, die unter anderem von der Bill und Melinda
Gates Stiftung unterstützt wird. An diese Allianz hat der Hersteller die
Rechte für die weltweite Vermarktung des Medikaments abgetreten.
26 Oct 2014
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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