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# taz.de -- Flüchtlingsheime im MeckPomm: Naziaufmärsche „für Groß und Kl…
> Hakenkreuze, Nazidemos gegen Flüchtlinge und eine überforderte
> Lokalpresse: In MeckPomm sind Asylsuchende besonderen Gefahren
> ausgesetzt.
Bild: 8.5.2013: Als „Flüchtlinge“ verkleidete NPDler demonstrieren im Demm…
GÜSTROW/ANKLAM/LUDWIGSLUST taz | 350 Polizisten in Kampfmontur
patrouillieren durch die Güstrower Altstadt. Junge Männer in
Springerstiefeln und Bomberjacken führen ihre Kampfhunde an leer stehenden
Geschäften vorbei. Auf der anderen Straßenseite schieben Ehepaare
Kinderwagen über das Kopfsteinpflaster Richtung Marktplatz.
Sie alle haben das gleiche Ziel: Die Initiative „Güstrow wehrt sich gegen
Asylmissbrauch“ hat zu einer Versammlung aufgerufen. Was sich einen
„Fackelumzug für Groß und Klein“ nennt und im Internet mit Fotos von
leuchtenden Laternen bestückt ist, ist in Wahrheit ein Neonaziaufmarsch
hinter der Tarnung eines Sankt-Martin-Umzugs.
Treffen wie diese würden in vielen Gebieten Deutschlands Ausnahmezustand
bedeuten. In den ländlichen, strukturschwachen Regionen
Mecklenburg-Vorpommerns gehören sie zum Alltag. Einen Anlass finden die
Rechtsextremen fast jedes Wochenende. Diesmal ist es eine Bustour, die
Journalisten überregionaler Medien auf die Lebenssituation von
Asylsuchenden aufmerksam machen will, die in den Flüchtlingsheimen in
Neonazihochburgen wie Güstrow, Anklam und Ludwigslust untergebracht sind.
Im Güstrower Begegnungshaus Villa Kunterbündnis haben die
Bustour-Veranstalter „Lola für Ludwigslust“ und „Schutzschild“ der
Amadeu-Antonio-Stiftung ein Treffen mit Flüchtlingen organisiert. Die
Männer aus Mauretanien, Ghana oder Eritrea erzählen, wie sie auf der Straße
von Einwohnern angefeindet, beschimpft, mit leeren Dosen oder Gemüse
beworfen werden oder auf dem Weg zum Einkaufen in ausgestreckte
Mittelfinger blicken. Manchmal werde den Afrikanern auch „Ebola“
entgegengerufen. Nachts trauten sie sich kaum mehr auf die Straße.
## Nährboden für Propaganda
Dass Angst vor dem Fremden und Misstrauen gegenüber anderen Kulturen ein
fruchtbarer Nährboden für die Propaganda von rechts sind, ist bekannt. Neu
ist, dass diese Initiativen zugenommen haben. Das Innenministerium
verzeichnet, dass mittlerweile mehr als zwei Drittel aller politisch
motivierten Straftaten in Mecklenburg-Vorpommern von der rechten Szene
verübt werden. Auch meldet das Ministerium einen Anstieg von Naziparolen
und Hakenkreuzen in der Öffentlichkeit. „Es ist zu erwarten, dass die
rechtsextremistische Szene vor allem die steigenden Asylbewerberzahlen
verstärkt für ihre Hasspropaganda und Provokationen nutzen wird“, sagt
Innenminister Lorenz Caffier.
Neu sind aber auch die subtileren Methoden, mit denen die Neonazis
vorgehen. Der „Fackelumzug für Groß und Klein“ in Güstrow wurde von einer
Frau angemeldet. Unter dem Motto „Kinder sind unsere Zukunft“ führen
NPD-Frauen als besorgte Mütter mit Kinderwagen immer häufiger die ersten
Reihen der Demonstranten an.
„Frauen und Kinder sollen den Veranstaltungen einen harmlosen Anschein
geben, die Szene profitiert davon“, sagt Stella Hindemith von „Lola für
Ludwigslust“, die die Bustour organisiert hat. „Mit solchen
familienfreundlichen Veranstaltungen kriegen sie auch Leute, die sonst
nicht an der NPD interessiert sind.“ Orte mit wenig zivilgesellschaftlichem
Engagement für Flüchtlinge seien für diese Propaganda besonders anfällig.
Genau an diese Orte soll die Bustour die Journalisten bringen. Städte wie
Anklam, in denen es keine Bürgerinitiativen gibt, keine interkulturellen
Sommerfeste, keine Gesprächsabende, die die Bevölkerung in Kontakt mit den
Flüchtlingen bringen. Anklam hat eine Arbeitslosenquote von fast 20 Prozent
und keine Universität wie Rostock, wo Studenten oft zivilbürgerschaftliche
Initiativen unterstützen. Wenn die NPD hier, wie kürzlich geschehen, einen
„Leitfaden zum Umgang mit Asylanten in der Nachbarschaft“ mit Tipps wie
„Nie ohne deutsche Zeugen mit Asylanten sprechen“ in Briefkästen wirft,
kommen andere Parteien oder Presse kaum hinterher, gegenzusteuern.
## Isoliert am Stadtrand
Als der Bus vor dem Flüchtlingsheim in Anklam hält, zeigen die Bewohner den
Journalisten ihre Unterkünfte und erzählen auch hier bereitwillig, wie es
ihnen in ihrem Umfeld geht. Eine Mutter aus Syrien lebt mit ihren zwei
Söhnen in zwei kleinen, sauberen Zimmern. Sie sind aus Damaskus geflohen,
ihren Mann hat sie bei der Ankunft in Italien verloren. Bis heute hat sie
keinen Kontakt zu ihm. Vor einiger Zeit lief sie mit ihrem Jüngsten zum
Kindergarten.
Eigentlich habe er es leichter, weil seine Haare ungewöhnlich hell seien
für ein arabisches Kind. Doch an diesem Tag seien sie Leuten begegnet, die
laut geschimpft hätten. Einer habe mit Kreide ein Hakenkreuz vor Mutter und
Kind auf die Straße gezeichnet.
Viele der Flüchtlinge erzählen ähnliche Geschichten. Sie sind dem Krieg
entkommen und in der Krise gelandet. Isoliert, meist in Industriegebieten
am Stadtrand, warten sie zum Teil jahrelang auf eine Aufenthaltserlaubnis.
Haben sie dann noch das Pech, in einer braunen Hochburg zu landen, sind sie
zusätzlich den Anfeindungen der Neonazis ausgesetzt. So haben sie sich
Deutschland nicht vorgestellt.
## „Pappenheimer uner Kontrolle“
Vor dem Heim in Anklam warten aber nicht nur Flüchtlinge, um den
Journalisten ihre Eindrücke zu schildern. Auch Jörg Wojciechowski will
seine Sicht der Dinge an die Öffentlichkeit bringen. Der ältere Mann im
blauen Anzug ist Regionalleiter des Flüchtlingsheimbetreibers European
Homecare. In der Region Vorpommern-Greifswald stellt die Firma vier
Unterkünfte für etwa 550 Flüchtlinge. Obwohl die Organisatoren der Bustour
ihn nicht angefragt haben, will er eine Führung durch das Heim geben. Seit
dem Skandal in Burbach, bei dem Wachpersonal von European Homecare
Flüchtlinge misshandelt haben soll, hat er einiges zu verlieren und noch
mehr zu kitten. Er präsentiert seinen Arbeitgeber von der besten Seite.
Ob er von rechtsextremen Übergriffen auf Bewohner der Notunterkunft wisse?
„Da gibt es nix“, sagt Wojciechowski und lächelt freundlich hinter seiner
Brille hervor, „die lassen uns in Ruhe.“ Und der Hakenkreuz-Vorfall? „Ach
ja, da gibt es vielleicht zwei oder drei Pappenheimer, aber die haben wir
unter Kontrolle.“ Wir, damit meint er seine Firma und die Polizei, mit
denen sie „super zusammenarbeiten“. Dass sich in der Region regelmäßig
Hunderte „Pappenheimer“ treffen, um gegen Ausländer zu hetzen, die fast
ausnahmslos alle schon Opfer von Beschimpfungen oder Übergriffen geworden
sind, davon will der Heimleiter im Gespräch mit der Presse nichts wissen.
Auch die lokale Presse ist oftmals erst an Flüchtlingen interessiert, wenn
es zu Unruhen in den Heimen, Schlägereien oder Straftaten kommt. Kein
Pressevertreter aus der Region nimmt an der Bustour teil. Wo stecken die
Lokaljournalisten, wenn der Kontakt zu Flüchtlingen schon einmal
hergestellt ist, Übersetzer bereitstehen und die Erlaubnis der
Heimleitungen vorliegt?
„Manche Redaktionen vor Ort sind so konservativ ausgerichtet, dass sie kein
Interesse an persönlichen Treffen mit Flüchtlingen haben“, sagt
Organisatorin Stella Hindemith. Einige Pressevertreter würden gern mehr
leisten, ihnen fehlt es aber an Kapazitäten. So schickt die Schweriner
Volkszeitung zwar Reporter nach Ludwigslust und Güstrow, kann den Termin in
Anklam aber nicht besetzen.
Schon bald folgt aber der nächste Pflichttermin in der Region: der 9.
November, Jahrestag der Reichspogromnacht. Den werden die Rechten wieder
zum Anlass für Aufmärsche nehmen. Ein paar Wochen später soll in Güstrow
das dritte Flüchtlingsheim eröffnet werden. Und vielleicht lädt auch bald
wieder eine der Frauen zum „Fackelumzug für Groß und Klein“. Schließlich
ist am 11. November Martinstag.
28 Oct 2014
## AUTOREN
Eva Lindner
## TAGS
Flüchtlinge
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Neonazis
Asylsuchende
Mecklenburg-Vorpommern
Demonstrationen
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Abschiebehaft
NPD
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