| # taz.de -- Lebensmittel für Nicaraguas Arme: Selber gärtnern gegen den Hunger | |
| > In den Favelas von Managua ist Urban Gardening mehr als | |
| > Alltagszerstreuung. Hier bauen Familien Lebensmittel an, die sonst viel | |
| > zu teuer für sie wären. | |
| Bild: Für viele Favela-Bewohner bisher Luxus: Tomaten. | |
| KÖLN taz | Reis, Mais, Tortillas. Reis, Mais, Tortillas: Dieses Mantra ist | |
| in den Armenvierteln von Managua, der Hauptstadt Nicaraguas, die Antwort | |
| auf Hunger. Blattsalat, Möhren und Tomaten sind für diesen Speiseplan eine | |
| Revolution. Genau die ist in Managua in vollem Gange. „Früher kannten meine | |
| Kinder und ich keinen Salat, keinen Möhrensaft. Das gab es nur im teuren | |
| Supermarkt“, sagt Suyen Gunera. | |
| Die alleinerziehende Mutter lebt mit ihren drei Kindern in einer einfachen | |
| Wellblechhütte in der Metropole. Vor der Hütte hat sie sich vor einiger | |
| Zeit einen kleinen Garten angelegt. Hunger kennen sie und ihre Kinder | |
| seitdem nicht mehr. Statt einmal täglich Reis, Mais und Tortillas gibt es | |
| nun verschiedene Sorten Salat und Gemüse aus Eigenanbau. | |
| Guneras kleines Gartenidyll ist im Rahmen eines Entwicklungsprojekts der | |
| lokalen Organisation Capri entstanden, die von der deutschen | |
| Nichtregierungsorganisation Inkota unterstützt wird. 600 Familien in den | |
| Armenvierteln wurden in den vergangenen Jahren geschult, wie sie eine grüne | |
| Widerstandszelle gegen den Hunger aufbauen können. Möglich machen das die | |
| patios, die kleinen Höfe neben den Häusern, die im Schnitt vier | |
| Quadratmeter groß sind. „Dieses Stück Land wurde bisher überhaupt nicht | |
| genutzt. Wir haben den Menschen gezeigt, wie sie dort ihre Lebensmittel | |
| selbst erzeugen können“, sagt Martha Olivero, die das Projekt bei Capri | |
| betreut. | |
| Kollektive Saatgutbanken liefern die Grundlage für die erste Ernte. Danach | |
| soll der Anbau in den Höfen genug Saatgut liefern, um die Familien | |
| unabhängig von den Supermärkten zu machen. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass | |
| die Ernte ausreicht, um die Familien in der Region vollständig zu | |
| versorgen. Wenn das gespeicherte Wasser aus der Regenzeit gut aufgeteilt | |
| wird, können sie das ganze Jahr über bis zu zwölf Gemüsesorten ernten“, | |
| sagt Olivero. | |
| ## Hunger und Vitaminmangel | |
| Vor allem bei den Kindern in den Armenvierteln führt das zu messbaren | |
| Veränderungen. Vor sechs Jahren hat Capri ihre Ernährungsgewohnheiten und | |
| ihr Gewicht untersucht. 17 Prozent litten an Unterernährung, 9 Prozent gar | |
| an einer extremen Form. „Die Regierung geht in diesen Vierteln nicht | |
| strategisch gegen den Hunger vor. Nur in den Schulen erhalten die Kinder | |
| eine Mahlzeit. Und die besteht wieder nur aus Reis, Mais und Bohnen.“ Neben | |
| dem Hungergefühl führt das zu einem Mangel an Vitaminen. | |
| Während die Entwicklung von Stadtgärten in Nicaragua gerade erst beginnt, | |
| gibt es, außer in Metropolen in Afrika und Asien, ähnliche Strategien gegen | |
| den Hunger schon seit Jahren auch in weiteren Regionen Zentral- und | |
| Südamerikas. In Brasiliens Metropole Rio der Janeiro ziehen Kleingärtner in | |
| den Slums Dutzende Pflanzenarten. Laut einer Studie des Geografen Severin | |
| Halder, der derzeit an der FU Berlin forscht, verbessern die Stadtgärten | |
| dort den Lebensunterhalt und die Ernährung vieler armer Familien. | |
| Während dort die Gärten aus der Not entstanden sind, steckt hinter den | |
| Projekten in Deutschland in aller Regel ein politischer oder kultureller | |
| Gedanke – oder das Gärtnern dient der Zerstreuung, ein Ausgleich zu Bürojob | |
| und hektischem Großstadtalltag. In einer Studie zu Gemeinschaftsgärten in | |
| Berlin kam 2006 als zentrales Motiv heraus: „Es macht Spaß.“ | |
| Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten. Das entdeckten Projektbetreuerin Olivero | |
| und die Gärtnerin Gunera bei einem von Inkota organisierten Besuch in | |
| verschiedenen deutschen Stadtgärten in den vergangenen Tagen. „Bei allen | |
| Unterschieden, wir versuchen alle, eine Antwort auf die Entfremdung von | |
| Lebensmitteln zu finden, auf die oft schlechte Qualität von Lebensmitteln | |
| in den Supermärkten“, sagt Olivero. | |
| ## Treffpunkt Stadtgarten | |
| So arbeiten in Deutschland wie in Nicaragua die Stadtgärtner möglichst ohne | |
| Pestizide, produzieren ihren Dünger meist selbst. Und jenseits der | |
| Sicherung der Existenz böten die Gärten auf beiden Kontinenten den Menschen | |
| auch einen sozialen Mehrwert: „Hier in Deutschland sind die Stadtgärten | |
| genauso wie in Nicaragua Orte der Begegnung.“ | |
| Suyen Gunera bringt ihr Garten inzwischen mehr als frische Möhren, Paprika | |
| und Radieschen. Sie kann damit sogar ihren kärglichen Lohn aufbessern, den | |
| sie als Haushaltshilfe verdient – 8 Dollar im Monat. „Ich ernte so viel | |
| Gemüse, dass ich einen Teil auf dem Markt verkaufen kann.“ 5 Dollar | |
| monatlich hat sie so zusätzlich zur Verfügung. Ihr kleiner patio, früher | |
| ein braunes Fleckchen Erde, ist heute ihr ganzer Stolz. | |
| 1 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Moritz Schröder | |
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