# taz.de -- Brunnenstraße 183 mit neuer Fassade: Die goldene Hausnummer | |
> Einst schmückte das Haus ein Protestgraffito. Nun eine überdimensionierte | |
> Nummer. Die neue Fassade spiegelt den Wandel des Kiezes in Berlin-Mitte. | |
Bild: In neuem Glanz: die sanierte Fassade der Brunnenstraße 183 in Berlin-Mit… | |
Diese Fassade ist ein Statement. In sechs bis sieben Meter hohen Lettern | |
zieht sich die Hausnummer „183“ über zwei Etagen. In Gold. Auf schwarzem | |
Grund. Gesetzt in der Schrifttype Roaring 20s, die von dem | |
US-amerikanischen Designer Thomas Käding entworfen wurde. Von Fachleuten | |
wird sie als Broadway-Style bezeichnet, mit Anlehnungen an Art déco. Oben | |
drüber, etwas kleiner, ist noch das Wort „Studio“ zu lesen. Sind wir hier | |
in New York? | |
Nein, wir sind in Berlin-Mitte. Die schwarz-güldene Fassade wurde gerade an | |
der Brunnenstraße enthüllt. Seit vergangenem Jahr wird das Haus saniert, | |
nach hinten raus wurden Balkone angefügt, im zweiten Hof ist ein schickes | |
Townhouse entstanden, ganz so, wie es der neue Eigentümer vor Jahren | |
angekündigt hatte, als er versprach, Mietwohnungen „im mittleren | |
Preissegment“ zu schaffen. Nur in einem Punkt hat sich der Plan geändert. | |
Vorn an der Fassade. Die solle im ursprünglichen Stil erhalten werden, | |
hatte der Eigentümer [1][vor fast drei Jahren der taz gesagt]. | |
Da war die Fassade schon einmal ein Statement. „Wir bleiben alle“ stand | |
darauf. In weißen, geschwungenen Lettern auf grauem Grund. Daneben eine | |
haushohe Graffiti-Figur, die ein gefräßiges Monster daran hinderte | |
zuzubeißen. Das Haus war in den frühen 90er Jahren besetzt worden. Später | |
wurde es zwar legalisiert, doch Manfred Kronawitter, Eigentümer seit 2006, | |
zweifelte die Mietverträge an und bekam nach langjährigen Gerichtsverfahren | |
Räumungstitel gegen die Bewohner – und gegen den szenebekannten | |
Umsonstladen, der im Erdgeschoss gebrauchte Waren sammelte und ohne | |
Bezahlung weitergab. Das Wandbild im Sommer 2009 war als künstlerische | |
Demonstration gegen die drohende Räumung entstanden. | |
[2][Am 24. November 2009 kam die Polizei], sperrte mit 600 Mann tagelang | |
die Straße und schmiss die Bewohner raus. Kronawitter baute das Haus dann | |
nicht wie angekündigt in ein Mehrgenerationenprojekt um, sondern verkaufte | |
es weiter – für 1,3 Millionen Euro. Er selbst soll 2006 nur 285.000 Euro | |
gezahlt haben. | |
## Es blieb ein Postkartenmotiv | |
Von dem [3][linken Hausprojekt] blieb nur die Protestparole an der nun | |
fensterlosen Fassade – bis sie hinter einer Bauplane verschwand. Heute | |
findet man sie nur noch in Postkartenständern, als Attraktion für | |
Touristen, die nach dem untergegangenen Berliner Underground suchen. | |
An den Postkartenständern findet sich noch ein weiteres, begehrtes Motiv | |
aus der Brunnenstraße: das Haus mit der Nummer 10. „Menschlicher Wille kann | |
alles versetzen“ steht dort. Und darunter in großen Lettern: „Dieses Haus | |
stand früher in einem anderen Land“. Die Fassade wurde vor genau fünf | |
Jahren enthüllt, pünktlich zum 20. Jahrestag des Mauerfalls. Eine echte | |
Attraktion. [4][Gestaltet wurde sie von Jean-Remy von Matt], dem Mitgründer | |
der Werbeagentur Jung von Matt. Die verkündete einst als ihr Credo: „Eine | |
gute Idee ist wie ein Trojanisches Pferd. Sie kommt attraktiv verpackt | |
daher, sodass der Mensch sie gern hereinlässt. Doch im Kern ist sie nur auf | |
ein Ziel gerichtet: Eroberung“. | |
Die Eroberung der Brunnenstraße ist längst nicht abgeschlossen. Zwar ist | |
gerade ein Plattenladen weggezogen, ein Shop mit modischer Kleidung hat | |
dichtgemacht. Wo Schlecker war, ist jetzt ein Mitte-affiner Buchladen. Aber | |
die kleine Schultheiß-Kneipe hält sich immer noch. Nur „bezahlbare“ | |
Wohnungen finden sich in diesem Kiez nicht mehr. Bei aktuell angebotenen | |
Wohnungen liegt die Miete eher bei 15 als bei 10 Euro pro Quadratmeter. Als | |
Käufer kann man noch viel mehr Geld ausgeben. Schräg gegenüber der 183 ist | |
gerade ein Neubauloft im Angebot: 145 Quadratmeter. Für 899.000 Euro. | |
Da passt der neue Wandschmuck, der fast pünktlich zum fünften Jahrestag der | |
Räumung der 183 enthüllt wurde. Die Goldlettern sind ein Statement. | |
Vielleicht auch eine Provokation. Ganz sicher eine Demonstration für alle, | |
die noch nicht verstanden haben, was Gentrifizierung ist. Vor allem aber | |
sind sie eins: ehrlich. | |
3 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] /!ui=taz_akt_414745/ | |
[2] /Polizeieinsatz-in-der-Brunnenstrasse-183/!44402/ | |
[3] http://brunnen183.blogsport.de/ | |
[4] http://adflash.eu/20-jahre-mauerfall/ | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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