# taz.de -- Opfer von Wohnungräumungen: „Weitgehend tabuisiert" | |
> Margit Englert beschreibt in ihrem Buch das Schicksal von Rosemarie F., | |
> die aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt wurde und kurz danach starb. | |
Bild: Davon träumen viele...: Graffito in Berlin. | |
taz: Frau Englert, wo lernten Sie Rosemarie F. kennen? | |
Margit Englert: Ich habe in den Jahren 2012/13 einige Monate im Bündnis | |
„Zwangsräumung verhindern“ mitgearbeitet. Rosemarie ist zu einer | |
Demonstration des Bündnisses gekommen, als sie den Brief von der | |
Gerichtsvollzieherin bekommen hatte. Rosemarie war sehr verzweifelt und | |
krank, am Ende ihrer Kräfte, aber sie wollte kämpfen. | |
Was war Ihre Motivation, zwei Jahre nach dem Tod von Rosemarie F. dieses | |
Buch über ihren Fall zu schreiben? | |
Ich wollte die Unmenschlichkeit der neoliberalen Stadtentwicklung | |
aufzeigen. Denn Rosemarie ist ja nicht die Einzige, es findet in Berlin ein | |
Austausch eines großen Teils der Bevölkerung statt. Was das für die | |
Menschen bedeutet, die aus ihren Wohnungen geschmissen werden, wird in der | |
öffentlichen Diskussion weitgehend tabuisiert. | |
Warum wurde der Tod von Rosemarie F. nach einer Zwangsräumung kein Skandal? | |
Wenn so ein Fall wie Rosemaries Tod öffentlich als Skandal wahrgenommen | |
wird, geht man in der Regel schnell wieder zur Tagesordnung über. Und auf | |
der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen oder sich mit | |
gutem Einkommen in Berlin eine der frei werdenden Wohnungen zu nehmen oder | |
sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern –durch | |
Investition in Immobilien. | |
Im Untertitel werden „Einblicke in den | |
sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex“ versprochen. Was meinen | |
Sie damit? | |
Mieterhöhung durch Neuvermietung ist eine der wichtigsten Renditestrategien | |
auf dem Immobilienmarkt. Rosemarie ist zwangsgeräumt worden, weil das | |
Grundsicherungsamt ihre Miete aus unterschiedlichen Gründen nicht | |
überwiesen hatte. Die Räumung ermöglichte es der Vermieterin, die Wohnung | |
von Rosemarie zu einer deutlich höheren Miete wieder zu vermieten. | |
Sozialbehörden generieren also Gewinne für die Immobilienwirtschaft. Eine | |
aktuelle Studie, die von StadtforscherInnen an der Humboldt-Universität | |
erstellt wurde, kommt flächendeckend für ganz Berlin zu demselben Ergebnis. | |
Was kritisieren Sie an den Medienreaktionen nach dem Tod von Rosemarie F.? | |
Die bürgerliche Presse hat Rosemarie in vielfacher Weise diffamiert, ist | |
über ihre persönlichen Grenzen gegangen und hat so die | |
politisch-ökonomischen Verhältnisse und auch das Handeln der Behörden aus | |
dem Fokus genommen. Nach einem der schlimmsten Artikel sagte sie: „Das | |
überlebe ich nicht.“ | |
Frau Englert, aus welchem Grund stellen Sie das Buch zwei Jahre nach dem | |
Tod von Rosemarie F. in der Nähe ihres ehemaligen Wohnorts im Café am | |
Schäfersee vor? | |
Weil Rosemarie in diesem Café gemeinsam mit ihren UnterstützerInnen aus dem | |
Bündnis einige Tage vor ihrem Tod dort eine Nachbarschaftsversammlung | |
abgehalten hat. Viele Menschen auch in diesem Teil Berlins stehen unter | |
immensem Druck, weil sie ihre Mieten kaum noch bezahlen können oder schon | |
keine eigenen Wohnungen mehr haben und die Behörden oft alles andere tun, | |
als ihnen zu helfen, genauso wie bei Rosemarie. Ich fänd’s schön, auch mit | |
dieser Initiative wieder praktisch-politisch zu arbeiten. | |
## ■ Margit Englert: „Rosemarie F. Kein Skandal“. Edition Assemblage, 201… | |
128 Seiten | |
10 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Peter Nowak | |
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