# taz.de -- Wohnungspolitik in Berlin: Besetzen! | |
> Das Thema Hausbesetzungen scheint wieder Mobilisierungspotenzial zu | |
> besitzen, wie eine Diskussion im Berliner Kreuzberg-Museum zeigt. | |
Bild: Bilder aus alten Zeiten: Hausbesetzung 2009. | |
„Wir müssen Besetzungen wieder salonfähig machen“, fordert die Aktivistin | |
am Mikrofon, und ein Kapuzenträger in der letzten Reihe kichert. „Nein“, | |
kalauert er, „wir müssen die Salons wieder besetzungsfähig machen!“ | |
Von solchen Pointen abgesehen geht es ziemlich ernst zu auf der | |
Diskussionsveranstaltung, zu der das Bündnis „Besetzen statt Räumen“ am | |
Samstagabend ins Kreuzberg-Museum geladen hat. Der Aufruf kam ziemlich | |
kurzfristig, trotzdem ist der Raum unterm Dach mit über 100 Menschen aus | |
der linken und linksradikalen Szene bestens gefüllt. Das Thema Besetzungen | |
scheint wieder Mobilisierungspotenzial zu besitzen. | |
Anlass der öffentlichen Debatte ist die bevorstehende Zwangsräumung der | |
letzten Mieter, die in den zum Abriss vorgesehenen Häusern Beermannstraße | |
20 und 22 ausharren – dort, wo in einigen Jahren die A100 eine Schneise | |
durch Treptow schlagen soll. Aber es geht um mehr, wie Moderatorin Samira | |
gleich erklärt. Die transidente Aktivistin von der Initiative Karla Pappel | |
hält einen Wendepunkt für gekommen: „Der Wohnungsmarkt ist liberalisiert“, | |
sagt sie, „die Mieterstadt wurde sturmreif geschossen. Für das ärmste | |
Drittel der Bevölkerung wird seit 10 oder 15 Jahren gar nicht mehr gebaut.“ | |
Spätestens jetzt müsse man sich Gedanken darüber machen, wie man in die | |
Offensive gehe. Man müsse überlegen, wer an künftigen Besetzungen | |
teilnehmen könne, sagt Samira: Wohnungslose etwa oder Flüchtlinge. Auf dem | |
kleinen Podium sitzen neben ihr VertreterInnen von „Zwangsräumungen | |
verhindern“ von Robin Wood und dem Bündnis „Stadt von unten“ das für | |
sozialen Wohnungsbau auf dem Kreuzberger Dragonerareal kämpft. Außerdem | |
einer der letzten Mieter aus der Beermannstraße 22. | |
In den beiden Häusern mit rund 100 Wohnungen seien inzwischen nur noch vier | |
Mietparteien übrig, berichtet der, in Kürze sogar nur noch zwei. Nach | |
seinen Berechnungen müsste in zehn bis vierzehn Tagen der | |
Gerichtsvollzieher bei ihm klingeln. „Wenn dann besetzt werden soll, kommt | |
es auf jede Person an“, sagt er – und wirkt nicht besonders optimistisch, | |
dass das seinen Rauswurf tatsächlich verhindern könnte. | |
Aktivistin Nora von „Zwangsräumung verhindern“ hält eine Besetzung der | |
Beermannstraßen-Häuser für die richtige Symbolik, hat aber einige offene | |
Fragen: „Ist das wirklich eine Alternative für Wohnungslose? Immerhin | |
handelt es sich dann ja auch wieder um eine prekäre Situation.“ Auch sei | |
„der herrschende Diskurs nicht auf unserer Seite“, gibt sie zu bedenken. | |
Das sehen nicht alle so negativ. | |
Die beiden Aktivisten von der Umweltorganisation Robin Wood mahnen, dass es | |
schon in absehbarer Zeit auf dem anderen Spreeufer mit dem Abreißen | |
weitergehen könnte: Am Markgrafendamm in Friedrichshain stehe ein Dutzend | |
Häuser, das jetzt schon entmietet sei und irgendwann dem 17. Bauabschnitt | |
der teuersten Autobahn aller Zeiten weichen müsse. „Es ist keine gute Idee | |
zu warten, bis die Bagger vor der eigenen Tür stehen“, sagt einer. | |
In der anschließenden Diskussion dreht sich vieles um die Begriffe | |
„Penetranz“ und „Offenheit“. Penetranz steht für den benötigten langen | |
Atem, Offenheit dafür, dass die neue Besetzungsbewegung, deren | |
Geburtsstunde hier anscheinend schlägt, ein größeres Spektrum ansprechen | |
soll als nur den harten Kern der Szene: Der Angriff auf die | |
Eigentumsverhältnisse funktioniert eben nicht, wenn vor lauter Sektierertum | |
am Ende nur drei Leute kommen. Oder wie Samira es ausdrückt: „Wir brauchen | |
eine gesellschaftliche Breite, die die Gegenseite das Fürchten lehrt.“ | |
Viele Ideen werden in den inzwischen schon recht stickigen Raum geworfen: | |
Eine Aktionsform, bei der man einzelne Wohnungen besetzt, die teuer | |
vermietet werden sollen. Hütten bauen wie die Initiative „Kotti und Co“. | |
Oder gleich Hüttendörfer? Ein Squat-Büro, das als Anlaufstelle für Refugees | |
und andere Wohnungslose dient. Ein Mann aus Treptow-Köpenick zählt | |
Großimmobilien in seinem Bezirk auf, die seit Jahren leer stehen: das | |
frühere Werk für Fernsehelektronik in Schöneweide oder das alte Köpenicker | |
Filmwerk. | |
Schon wieder etwas konkreter ist der Vorschlag, die zeitnahen Aktionen in | |
der Beermannstraße nicht auf den Versuch einer Besetzung zu beschränken. | |
Mit dem Park-Center oder dem BKA-Gebäude gebe es ja weitere interessante | |
Orte in nächster Nähe. Tatsächlich scheinen die meisten skeptisch zu sein, | |
was die Eroberung der beiden Wohnhäuser angeht. Die Bullen wüssten doch | |
spätestens jetzt, was man plane, moniert einer. | |
„Wenn wir nicht reinkommen, ist das keine Niederlage“, variiert die | |
Moderatorin einen klassischen linken Spruch, „es ist eine Niederlage, wenn | |
wir es gar nicht erst versuchen.“ Tatsache sei jedenfalls, so Samira, dass | |
eine Besetzung „im Stillen“ in den vergangenen Monaten nicht zustande | |
gekommen sei – es habe an Unterstützung durch die Szene gemangelt. Deshalb | |
nun die Öffentlichkeit. Man werde auf jeden Fall alle einladen zu kommen, | |
wenn es so weit sei. | |
Die gescheiterte heimliche Besetzung war offenbar nicht das einzige | |
Mobilisierungsproblem: „Wir wollten für den heutigen Abend Verbindungen zu | |
Flüchtlingen herstellen“, sagt Samira, „aber das ist ganz schwierig. Da | |
befinden wir uns in einem Lernprozess.“ Konkret heißt das: Es ist kein | |
einziger gekommen. | |
Mehr Informationen: [1][besetzenstattraeumen.blogsport.de/] | |
15 Feb 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://+besetzenstattraeumen.blogsport.de/ | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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