# taz.de -- Zehn Jahre Campact: Die Aufreger aus dem Internet | |
> Seit zehn Jahren mobilisiert Campact online gegen Kohle oder Genmais. | |
> Hunderttausende klicken mit, Kritiker nennen das „Clicktivismus“. | |
Bild: Campact-Aktion gegen Überwachung vorm Bundestag im September. | |
VERDEN taz | Die Chefs der Sozialverbände sitzen in der | |
Bundespressekonferenz in Berlin und rechnen sich durch ihre Wunschliste: | |
höherer Spitzensteuersatz; Vermögensteuer; höhere Steuern auf Erbschaften, | |
Unternehmensgewinne, Kapitalerträge, Finanztransaktionen. Soundso viel | |
Milliarden hier, soundso viel Milliarden da bringe das. Zum Einschlafen. | |
Zur gleichen Zeit nimmt die reichste Ente der Welt vor dem Bundeskanzleramt | |
ein Bad in Goldmünzen. Dagobert Duck in Frack und Zylinder auf der Spitze | |
eines Berges von Geldsäcken. Drumherum demonstrieren Hunderte mit | |
Schildern. Ihre Botschaft: Reichtum ist teilbar. Am Abend läuft die Ente in | |
der „Tagesschau“. | |
Mit den beiden Aktionen starteten Gewerkschaften und Sozialverbände im | |
August 2012 die Kampagne Umfairteilen. Bis zur Bundestagswahl im September | |
2013 wollten sie damit eine Vermögensabgabe durchsetzen. „Auf die Sache mit | |
der Ente wären wir nie gekommen“, sagt Gwendolyn Stilling vom Paritätischen | |
Wohlfahrtsverband. Campact schon. | |
Das Kampagnennetzwerk Campact mit Sitz im niedersächsischen Verden an der | |
Aller hatte sich dem Umfairteilen-Bündnis angeschlossen, die Ente war einer | |
der Campact-Beiträge. Druck von der Straße, Mobilisierung, das ist die | |
Stärke von Campact, das heute zehn Jahre alt wird. | |
## In einer ehemaligen Kaserne | |
Das Kampagnennetzwerk hat eine beeindruckende Marktmacht im Protest | |
gewonnen. 1,5 Millionen Menschen haben die [1][Aktionsaufrufe per E-Mail] | |
abonniert. 30 Hauptamtliche arbeiten in der Zentrale in einer ehemaligen | |
Kaserne in Verden. Fünf Millionen Euro – fast ausschließlich von | |
Kleinspendern, kein Cent von Unternehmen – geben sie im nächsten Jahr für | |
Kampagnen aus. | |
Campact streitet gegen Genmais, Braunkohle, Fracking oder für ein Asyl für | |
Edward Snowden. Vor der EU-Wahl im Mai dieses Jahres hängten | |
Campact-Aktivisten fast sieben Millionen Pappkarten gegen das | |
Freihandelsabkommen TTIP an Wohnungstüren. Als die | |
Exverbraucherschutzministerin Ilse Aigner Genmais zulassen wollte, rief | |
Campact dazu auf, sie wochenlang auf Veranstaltungen im Wahlkreis zu | |
verfolgen. Campact ist ein Katalysator für politische Erregungskurven und | |
soziale Bewegungen – aber nur für die mit guten Karten. | |
„Wir steigen in der Regel nur ein, wenn wir glauben, dass es etwas zu | |
gewinnen gibt“, sagt Campact-Geschäftsführer Felix Kolb. Und wenn die Basis | |
zustimmt. 5.000 Abonnenten bekommen vor jedem Kampagnenstart Post per | |
E-Mail. Dieser harte Kern der Campact-Aktivisten entscheidet über ein | |
Thema. „Wir streben Zustimmungsraten um die 90 Prozent an“, sagt Kolb. | |
„Mandat“ nennt er das. | |
Viele Themen fallen da von vornherein flach: Flüchtlinge, soziale | |
Gerechtigkeit … Die Umfairteilen-Kampagne war eine große Ausnahme. Kann es | |
nicht auch lohnen, Themen aus politischen Erwägungen zu setzen? Für Campact | |
nicht. „Unsere Agendasettingpower ist total gering“, sagt Kolb. „Wenn wir | |
ein Thema rausschicken, das die Leute nicht interessiert, dann öffnen sie | |
die Mail gar nicht.“ | |
## Die Wurzeln in der Umweltbewegung | |
Was die Klientel interessiert, hat auch damit zu tun, wer sie ist. Campact | |
hat seine Wurzeln in der Umweltbewegung, Kolb war jahrelang in der | |
Anti-AKW-Bewegung aktiv. Das wirkt kulturell fort. Wer bei Campact | |
mitmacht, ist überdurchschnittlich gebildet, verdient überdurchschnittlich | |
gut, wählt eher grün, ist eher älter als 50. „Wie eben bei den meisten | |
NGOs“, sagt Kolb. Öko ist angesagt, Klassenkampf eher nicht. „Wir würden | |
sehr gern mehr im sozialpolitischen und Steuerbereich machen. Aber das | |
scheitert an unserer Geschichte. Dafür haben wir leider keine Lösung | |
gefunden.“ | |
Kampagnen, die die Basis nicht vom Hocker reißen, gehen nach hinten los. | |
„Alle wissen, dass wir 1,5 Millionen Leute anschreiben. Wenn dann nur | |
50.000 Unterschriften zusammenkommen, schadet das dem Anliegen“, sagt Kolb. | |
Er hat in den USA über die Auswirkungen sozialer Bewegungen promoviert. | |
Dort begann der Kulturwandel des politischen Protestes von der Offline- zur | |
Onlinewelt. Kolb stieß auf MoveOn, eine Petitionsplattform im Netz. Damals | |
wurde sie international mit einer Kampagne gegen den Irakkrieg bekannt. Den | |
zu verhindern schien vielen Amerikanern aussichtslos. MoveOn hat ihnen | |
wieder Hoffnung gemacht. Die weltweiten Demos am 15. Februar 2003 gelten | |
als größte Protestaktion aller Zeiten. Das hat Kolb beeindruckt. Mit zwei | |
Freunden baute er in Deutschland Campact auf. | |
Frühere Mitstreiter von Kolb aus der Graswurzelbewegung schmähen die | |
Onlinekampagnen als „Clicktivismus“: schnell zu konsumieren, eine bloße | |
Illusion politischen Handelns. Tatsächlich werben andere Plattformen, etwa | |
Avaaz aus den USA, mit dem Slogan „Mal eben die Welt retten“. Campact | |
grenzt sich hiervon ab. „Zentral ist, es nicht bei Onlineappellen zu | |
belassen“, sagt Kolbs Geschäftspartner Christoph Bautz. „Die können eine | |
dauerhafte Organisierung nicht ersetzen.“ | |
Aber Online kann ein Einstieg sein: „Wir holen die Leute mit | |
niedrigschwelligen Aktionen ab. Aber wir laden sie ein, einen Schritt | |
weiter zu gehen.“ Beim Aktionstag gegen Braunkohle am vergangenen | |
Wochenende in Hannover waren 100 Leute von Campact und 30 von Greenpeace, | |
sagt Bautz. Wenn sich am Ende auch nur eine Handvoll Kohlegegner, die | |
Campact mobilisiert hat, der Greenpeace-Gruppe anschließen, „dann hat sich | |
die Sache schon gelohnt“. | |
## Campact streitet für mehr Demokratie | |
Campacts Blick richtet sich immer auf die Parlamente. „Wir finden | |
repräsentative Demokratie richtig“, sagt Bautz. Kann die politische Macht | |
einer Bürgerbewegung nicht auch woanders liegen – etwa in direkter | |
Demokratie, wie sie der von den Parlamenten enttäuschten Occupy-Bewegung | |
vorschwebte? Bautz winkt ab. „Bewegung braucht ein konkretes Ziel. Occupy | |
war insofern unpolitisch“, sagt er. „Die sind im Diffusen stecken | |
geblieben.“ | |
Campact streitet für mehr Demokratie in Staat und Wirtschaft. Und nach | |
innen? Ortsgruppen sind bei Campact nicht vorgesehen. Die Basis soll sich | |
rühren, orchestriert von der Zentrale. Die drei Geschäftsführer können | |
allein über die Kampagnen entscheiden. „Das tun wir in der Regel aber | |
nicht,“ sagt Kolb. Üblicherweise fallen die Entscheidungen im wöchentlichen | |
Plenum mit den Mitarbeitern, „außer wenn es schnell gehen muss“. Es gebe | |
Fälle, in denen nur wenige Tage zur Mobilisierung bleiben. „Dafür ist eine | |
schlanke Struktur wichtig.“ | |
Üblicherweise jedoch tritt das Netzwerk einige Wochen vor einer politischen | |
Entscheidung auf den Plan. Das ist wesentlich früher als andere | |
Onlineplattformen – aber der Zeitraum ist wesentlich kürzer, als Fach-NGOs | |
ein Thema beackern. In den Umweltschutzvereinen sagen daher etliche: | |
Campact setzt sich auf Themen drauf, macht eine Riesenwelle und kriegt am | |
Ende die ganze Aufmerksamkeit. | |
Mit der Kritik an Campact möchte sich jedoch niemand aus den | |
Umweltschutzverbänden zitieren lassen. Aber Campact werde langsam zu | |
mächtig, heißt es bei den alteingesessenen NGOs. „Wir können die Fach-NGOs | |
gar nicht unter Druck setzen, weil wir ohne sie nicht handlungsfähig | |
wären“, sagt Bautz. Er sieht vielmehr eine „Win-win-Situation“. | |
Das findet auch Gwendolyn Stilling vom Paritätischen Wohlfahrtsverband: | |
„Wir und Campact – da sind ganz verschiedene Kulturen | |
aufeinandergetroffen.“ Gut ergänzt hätten sie sich. Die Vermögensteuer kam | |
trotzdem nicht. Nach der Wahl löste sich das Umfairteilen-Bündnis auf. | |
Vorerst. „Wenn wir wieder ein Möglichkeitsfenster sehen, rufen wir Campact | |
wieder an.“ | |
14 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.campact.de/nl/bestellen/ | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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