# taz.de -- Tag gegen Gewalt an Frauen: Mangelwirtschaft mit Gewaltopfern | |
> Mehr als die Hälfte der Frauen, die in Deutschland in ein Frauenhaus | |
> wollen, findet dort keine Aufnahme. Und die Politik streitet über die | |
> Kosten. | |
Bild: Kein Platz im Frauenhaus – dann geht die Flucht weiter. | |
BERLIN taz | Sie ist Studentin. Sie wurde von ihrem Freund verprügelt und | |
fühlt sich in ihrer Wohnung nicht mehr sicher. Das Frauenhaus aber kann sie | |
nicht aufnehmen. Denn sie hat kein Geld, um ihren Aufenthalt zu bezahlen, | |
und als Bafög-Empfängerin hat sie auch keinen Anspruch auf Hartz IV. Damit | |
aber finanziert das Frauenhaus seine Plätze. | |
Am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen veröffentlichen die | |
Frauenhäuser verstörende Zahlen. Nach einer Stichprobe bei 76 autonomen | |
Frauenhäusern mussten im Jahr 2013 über 7.000 Frauen abgewiesen werden, nur | |
5.000 fanden Aufnahme. Der Grund: Es hakte an der Finanzierung, oder das | |
Haus war schlicht überbelegt. | |
Die genannte Studentin ist also kein Einzelfall. Hartz IV ist eine Leistung | |
für Menschen, die Arbeit suchen. Studentinnen bekommen deshalb nichts – | |
ebenso wenig wie Asylbewerberinnen, die ja Asylbewerberleistungen bekommen, | |
oder Frauen mit Job, die trotzdem nicht genug Geld haben, um den | |
Aufenthalt, der bis zu 100 Euro pro Tag kosten kann, zu finanzieren. Viele | |
Frauen, so fürchten die autonomen Frauenhäuser in einer aktuellen | |
Stellungnahme, bleiben deshalb länger bei ihrem gewalttätigen Partner. | |
Seit ihrem Bestehen herrscht in deutschen Frauenhäusern eine | |
Mangelwirtschaft. Eine Basisfinanzierung soll von den Kommunen kommen, doch | |
dies sind freiwillige Leistungen: Droht eine Haushaltssperre, sind sie | |
meist in Gefahr. Weil dazu noch die vielen Fälle kommen, in dem die Kosten | |
nicht erstattet werden, sind die Frauenhäuser hoffnungslos unterfinanziert. | |
Viele Bewohnerinnen müssen sich ihr Zimmer teilen, auch mit ihren Kindern. | |
Für die oft traumatisierten Kinder gibt es in der Regel keine | |
psychosozialen Angebote. Kommt eine Frau nachts, wird sie meist nur von | |
einer anderen Bewohnerin empfangen, denn für qualifizierte Nachtschichten | |
gibt es kein Geld. | |
## Frauenhäuser wollen Rechtsanspruch | |
Seit Jahren schon erklären PolitikerInnen, dass sie diese Zustände ändern | |
wollen – passiert ist kaum etwas. Nur einzelne Bundesländer wie etwa | |
Schleswig-Holstein finanzieren die Häuser pauschal. Die Folge ist, dass | |
viele mittellose Frauen aus den angrenzenden Bundesländern nach | |
Schleswig-Holstein drängen. | |
Vereinigungen der Frauenhäuser fordern deshalb, dass Gewaltopfer in | |
Deutschland ein gesetzliches Recht auf Unterbringung und psychosoziale | |
Versorgung bekommen sollen. „Die Behindertenhilfe etwa ist im | |
Sozialgesetzbuch geregelt“, sagt Heike Herold, Geschäftsführerin der | |
Frauenhauskoordinierung, die von Verbänden getragene Frauenhäuser vertritt. | |
„Gewaltopfer brauchen fest geregelte Ansprüche, dann müssen auch die | |
entsprechenden Plätze und Leistungen vorgehalten werden.“ | |
Am liebsten wäre den Frauenhäuslerinnen die Ausweitung des Kieler Modells | |
auf das ganze Bundesgebiet – geregelt mit einem Bundesgesetz. Der Bund aber | |
meint, dass er diese Aufgabe gar nicht an sich ziehen darf – | |
verfassungsgemäß sind die Länder zuständig. Mehrere Rechtsgutachten kamen | |
aber zu dem Schluss, dass eine Mischfinanzierung durchaus möglich wäre. | |
## Streit um die Kosten | |
Nun streiten Bund und Länder über die Aufteilung der Kosten. Sönke Rix, | |
frauenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, wäre durchaus für | |
eine Mischfinanzierung. Doch die Union fürchtet die Kosten und beharrt | |
darauf, dass die Länder gefälligst ihre Aufgaben ordentlich wahrnehmen. Rix | |
könnte sich durchaus auch eine Bundeszuständigkeit vorstellen: „Wenn es | |
nötig ist, um gleiche Lebensverhältnisse herzustellen, kann der Bund in die | |
Finanzierung einsteigen“, meint er. Auch dies sieht die Union anders. Sie | |
will, dass sich die Länder koordinieren, damit die Standards überall gleich | |
sind. | |
Mit anderen Worten: Es wird weiter gestritten. Auf Kosten der vielen | |
Gewaltopfer in Deutschland. Das Familienministerium macht derweil mit einer | |
Selfie-Aktion auf sein bundesweites Hilfetelefon aufmerksam. Das gibt | |
Hinweise auf das nächste Frauenhaus. Das dann aber wahrscheinlich voll ist. | |
26 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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