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# taz.de -- US-Soziologe über Männer: „Wir sind keine wilden Tiere“
> Michael Kimmel erklärt Popbiologie, Männerbashing und Jockokratie. Und
> warum auch die Männer von Gleichstellung profitieren können.
Bild: Manche lassen ihre Aggressionen beim Boxen raus: hier Banker in London.
taz: Herr Kimmel, Ihr Buch ist bevölkert von „angry white men“, zornigen
weißen Männern. Was haben denn Tea-Party-Mitglieder, geschiedene Väter,
Amokläufer und Nazis gemeinsam?
Michael Kimmel: Gemeinsam ist ihnen die Vorstellung, dass sie einen
Anspruch auf etwas haben, das ihnen verwehrt wird. Ich nenne das „aggrieved
entitlement“, gekränkter Anspruch. Das kann man an ihrer Sprache hören,
wenn etwa die Tea Party sagt: „Wir holen uns unser Land zurück.“ Man würde
dann gern zurückfragen: Wie kommt ihr darauf, dass es „euer“ Land ist?
Kürzlich saß ich zum Beispiel mit vier Männern in einer Talkshow, die sich
bei der Jobvergabe diskriminiert fühlten. Das lief unter dem Titel „Eine
schwarze Frau stahl mir meinen Job“. Fakt war: Eine schwarze Frau bekam
einen Job. Wie kommen die darauf, dass es ihr Job ist? Aber das ist ihre
Vorstellung: Unsere Jobs, unser Land werden uns weggenommen. Das verbindet
sie.
Tatsächlich ist es für weiße Männer ökonomisch schwieriger geworden, sie
bekommen neue Konkurrenz. Ist es nicht normal, dass sie da nervös werden?
Das würde voraussetzen, dass es kein Wachstum mehr gibt. Wir leben aber in
Wachstumsgesellschaften. Der Kuchen bleibt nicht gleich groß, er wird
größer.
Mein Kollege klagt, dass er sich bei größeren Zeitungen nicht mehr bewerben
müsse, weil sie nur noch Frauen suchen würden. Schon frustrierend, oder?
Ja, aber vor einigen Jahren hätten Sie als Frau sich dort gar nicht zu
bewerben brauchen. Fair zu spielen ist beschissen, wenn man selbst die
ganze Zeit von Unfairness profitiert hat. Früher hätten Sie gesagt, es geht
nicht gerecht zu – Ihr Kollege aber hätte alles ganz okay gefunden. Heute
sind Sie immer noch unzufrieden, aber Ihr Kollege ist es auch. Das ist neu.
Natürlich fühlen sich Menschen damit unwohl.
Und das führt automatisch dazu, dass man den Hasspredigern im Radio wie
Rush Limbaugh beipflichtet, der gegen Minderheiten und Frauen hetzt?
Sie fühlen sich verletzt und verwirrt. Und geschickte Kommentatoren
manipulieren diese Gefühle: Wir wissen, was ihr fühlt. Wir sagen euch, wer
schuld ist. Und das erzeugt Wut.
Sind diese wütenden weißen Männer etwas Universales? Oder spezifisch
amerikanisch?
Es gibt etwas sehr amerikanisches daran. Der amerikanische Traum sagt, dass
jede Person, egal wo sie herkommt, aus eigener Kraft zu etwas werden kann –
solange der Staat sich nicht einmischt. Diese Geschichte wird aber immer
vom armen weißen Jungen aus erzählt, der durch sein Talent und seine
Disziplin aufsteigt, der Selfmademan. Als Schwarzer oder als Frau konntest
du das natürlich nicht, du warst Eigentum des weißen Mannes. Als diese
beiden Gruppen den amerikanischen Traum auch für sich einforderten, hieß
es: Ach, nein, so war das eigentlich nicht gemeint.
Wenn es um ökonomische Unsicherheiten geht, dann könnte sich eine solche
Bewegung auch an den Staat wenden und dort Abhilfe verlangen, anstatt
Sündenböcke zu suchen, oder?
Na ja, wir haben keinen Staat wie in Europa. Wir machen nie den Staat
verantwortlich, immer das Individuum. Wer nicht reich wird, ist selbst
schuld. Wir werden immer ärmer, aber wir identifizieren uns mit den
Reichen.
Warum setzen einige Männer ihre Wut in Gewalt um und Frauen nicht? Sind es
die Hormone?
Das ist so eine Art Popbiologie. Wenn Testosteron unweigerlich zu Gewalt
führt, warum schlagen dann nicht Tausende Männer ihre Chefs, von denen sie
schikaniert werden? Weil sie keine unbewusste, innere Erlaubnis dafür
haben, es ist tabu. Frauen zu schlagen dagegen ist kein Tabu, das ist ein
kulturelles Muster. Diese Männer fühlen sich unbewusst ermächtigt dazu. Das
ist ihre Verantwortung. Ich glaube, dass die Testosteronthese schlicht
Männerbashing ist: Wir sind eigentlich wilde Tiere – also muss man uns
kontrollieren, einsperren. Ich glaube, dass wir um einiges besser sind, wir
sind fähig zur Selbstkontrolle.
Würden Sie sagen, dass Männer und Frauen ähnlich aggressiv sind?
Es gibt eine enorme Varianz unter Männern und unter Frauen. Es gibt viele
aggressive Frauen und viele Männer, die nicht aggressiv sind. Und die
Frauen sind deshalb nicht weniger weiblich. Und die Männer sind nicht
weniger männlich.
Männer, die dieses aggressive Männerbild durchbrechen und sich etwa als
liebende Väter definieren, haben es schwer. Bei einer Trennung wird oft der
Mutter das Sorgerecht übertragen.
Nun, 80 Prozent der getrennten Paare in den USA bekommen die
Sorgerechtsregelung, die sie wollen. Wir sprechen also nicht über die
Mehrheit. Es stimmt aber, dass viele RichterInnen noch ein Vaterbild aus
den 50er Jahren haben. Die Gerichte müssen hier nacharbeiten.
Wer ist die Zukunft, die traditionellen und wütenden Männer oder die
versorgenden und zugewandten?
Definitiv die zugewandten. Sie profitieren von ihrer neuen Rolle. Das
werden immer mehr Männer merken.
Und doch scheinen die Jungen das archaische Bild zu lieben: Alle
Ballerspiele beruhen zum Beispiel auf gewalttätigen Kämpfen.
Ja, aber das ist die Fantasieebene. Die Ideologie der Männlichkeit ist
gleich geblieben. In der Praxis aber wollen Männer gleichberechtigte
Partnerschaften. Sie wollen gute Väter sein, sie erwarten, dass ihre Frauen
in Vollzeit berufstätig sind, und sie sind mit Frauen einfach befreundet.
Das Familienleben eines heute 25-Jährigen wird dessen Großvater fremd sein.
Dennoch gibt es Jungen, die aus dieser Ideologie blutige Realität machen,
amoklaufende Schüler etwa. Bedauerliche Einzelfälle?
Nein, hier muss man die Kategorien „race“ und „gender“ berücksichtigen…
geht nicht einfach um gestörte Individuen. Es gibt ein Muster: Es sind
zornige weiße Jungen mit ähnlichen Geschichten. Und es gibt einen
bestimmten Kontext, der diese Taten befördert: Sie werden in Vorstädten
oder ländlichen Gegenden begangen. Die Schulen dort sind oft sehr „weiß“
und homogen. Das Klima ist homophob und diskriminierend, es wird alles
gemobbt, was nicht dem favorisierten Männlichkeitsbild entspricht. Dort
entsteht die sogenannte Jock Culture, in der vor allem Sportler (Jocks)
Macht haben und sie nutzen, um andere herabzusetzen. Ihre Hänseleien haben
keinerlei Konsequenzen. Und es sind viele Waffen im Umlauf. Es geht also
auch um mangelnde Diversität und eine „Jockokratie“ in ländlichen Gebieten
in Verbindung mit der Verfügbarkeit von Waffen. Darüber müsste man
sprechen, nicht über psychologische Ausnahmezustände.
Wenn Sie die traditionelle männliche Identität infrage stellen, sind Sie
eine Art Störenfried unter den Männern?
Das kommt darauf an, wen Sie fragen: Viele der Männer, die ich in meinem
Buch porträtiere, mögen mich nicht. Sie wollen die Gleichheit der Frauen
nicht unterstützen, weil sie denken, dadurch etwas zu verlieren. Aber alle
Forschungen zeigen das Gegenteil: Männer profitieren von mehr
Gleichstellung. Sie werden glücklicher. Und die meisten Männer unterstützen
die Gleichheit von Frauen, auch wenn sie es nicht laut sagen.
Warum hört man dann nicht von mehr profeministischen Männern?
Die Mehrheit der Frauen lebt auch einfach ein feministisches Leben, ohne
darüber zu sprechen. Für sie ist das Private nicht politisch. Sie reden
nicht drüber. Sie leben es einfach.
28 Jul 2014
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Männer
Gleichberechtigung
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