# taz.de -- Bildband über Gewalt gegen Frauen: Der Alltag nach dem Attentat | |
> Die Fotografin Ann-Christine Woehrl dokumentiert das Schicksal von | |
> Frauen, die einen Säure- und Brandanschlag überlebten. | |
Bild: Porträt einer jungen Frau in Kampala (Ausschnitt). | |
Mit dunklen Augen blickt Makima in die Kamera, ein hellgrünes Tuch schmückt | |
ihren Kopf und umrahmt ihr dichtes schwarzes Haar. An ihrem Hals und einer | |
Hand bedecken Verbände offene Wunden. Die Verletzungen in ihrem Gesicht | |
sind abgeheilt, so könnte man sagen. Aber das ist wohl das falsche Wort bei | |
einer Wunde, deren Narben ein Leben lang Schmerzen verursachen werden – | |
physisch wie psychisch. | |
Eine Säureattacke hat im Antlitz der jungen Inderin Spuren hinterlassen, | |
die nicht mehr zu tilgen sind. Die Entstellung kam über Nacht. Makima hatte | |
den Heiratsantrag eines Mannes aus ihrer Nachbarschaft abgelehnt. Als sie | |
schlief, suchte sie die Mutter des Nachbarn heim und schüttete ihr die | |
Säure ins Gesicht. | |
Ihr Schicksal ist kein Einzelfall. Jedes Jahr werden weltweit etwa 1.500 | |
Säureanschläge registriert und es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer | |
weit über diese Zahl hinausgeht. Die Opfer sind überwiegend Frauen. Die | |
Täter überwiegend Männer. Wie in Makimas Fall spielen vor allem kulturelle | |
Faktoren wie Mannes- und Familienehre eine Rolle: Frauen werden aufgrund zu | |
geringer Mitgiftzahlungen von ihren Ehemännern angegriffen, aus Eifersucht | |
attackiert oder für Trennungen bestraft. | |
## Säure ist eine zugängliche Ware | |
Aber auch neidische Ehefrauen, enttäuschte Schwiegermütter oder Exgeliebte | |
werden zu Täterinnen. Insbesondere Länder wie Bangladesch, Indien, | |
Kambodscha, Nepal, Pakistan und Uganda sind betroffen. Durch die breite | |
Verwendung in den ansässigen Textil- und Schmuckindustrien ist Säure dort | |
eine billige und leicht zugängliche Waffe. Auch Autobatterien, die in | |
vielen Haushalten den Strom liefern, werden für die Verbrechen angezapft. | |
Säure zerstört nicht nur Haut und Gewebe binnen kürzester Zeit, sie ätzt | |
sich durch bis zu den Knochen, zerfrisst Nase und Ohren, zerstört die Augen | |
und entstellt Gesichter bis zur Unkenntlichkeit. Die Betroffenen erleiden | |
einen Gesichtsverlust im doppelten Sinne, denn der Entstellung folgt meist | |
die soziale Isolation. Sie werden in der Öffentlichkeit gemieden und | |
ignoriert; viele gehen nur noch verschleiert auf die Straße oder verlassen | |
aus Scham und Depression jahrelang nicht mehr das Haus – werden | |
gewissermaßen unsichtbar. | |
Makima ist trotz allem sichtbar; präsent auf dem Cover eines | |
eindrucksvollen Bildbandes und dem Plakat einer ebenso eindrücklichen | |
Fotografieausstellung im Münchner Völkerkundemuseum. Buch und Ausstellung | |
zeigen die Bilder des Projekts „Un/Sichtbar“ der Fotografin Ann-Christine | |
Woehrl. Über zwei Jahre hat sie besonders betroffene Regionen der Welt | |
bereist und Frauen aufgesucht, die Säure- und Brandanschläge überlebten. | |
Achtundvierzig davon hat sie eine Zeit lang begleitet und porträtiert. | |
Vielen ist sie dabei persönlich nahe gekommen, manchen wie zur besten | |
Freundin geworden – bedacht mit aller Dankbarkeit, dass da jemand ist, der | |
hinsieht, zuhört und wahrnimmt. Dass sich die Frauen so authentisch und | |
selbstbewusst vor der Kamera zeigen, zeugt vom Vertrauen, das in diesen | |
Begegnungen entstanden ist. Es ist aber auch das Ergebnis ihres einsamen | |
Ringens, trotz aller Entstellung wieder zu sich zu stehen. | |
## Bilder, die nicht im Schrecken verharren | |
Vor schwarzem Hintergrund, gekleidet in farbenprächtige Stoffe, haftet den | |
Porträtierten etwas Feierliches, Ikonenhaftes an. Andere Bilder führen | |
lebensnah in ihren Alltag. Interviews und Texte erweitern diese Einblicke, | |
die intim, aber nie voyeuristisch sind. Ann-Christine Woehrl dokumentiert | |
die Geschichten der Frauen, ihre Schmerzen, Hoffnungen und Wege zurück ins | |
Leben auf sensible Weise. Ihre Fotografien beschönigen nichts, aber sie | |
verharren auch nicht im Schrecken. | |
Wer den ersten Anblick aushält, kann sich durch sie zu den Persönlichkeiten | |
hinter den beschädigten Gesichtern führen lassen. Dann werden die | |
unsichtbar Gemachten wieder sichtbar. Dann erzählen die Bilder nicht nur | |
von Opfern, sondern auch von Hoffnung und Überlebenswille. Und von der | |
Überwindung der sozialen Isolation. Da ist zum Beispiel die 25 Jahre alte | |
Flavia aus Uganda, die ihr Gesicht jahrelang hinter einem Schleier | |
verbirgt, bis sie sich eines Tages traut, ihn wegzulassen und zum | |
Salsatanzen zu gehen, wo die Männer sie mittlerweile häufig und gerne | |
auffordern. | |
Oder die gleichaltrige Neehaari in Indien, die in Begleitung der Fotografin | |
zum ersten Mal in der Öffentlichkeit ihre Maskierung abnimmt und diesen Tag | |
zu ihrem persönlichen Unabhängigkeitstag erklärt. Makima ballt | |
selbstbewusst die Finger der verletzten Hand zu einer Faust, etwas von | |
ihrer Schönheit scheint ungebrochen. Mut und Selbstvertrauen – allen | |
widrigen Umständen zum Trotz – ist die Botschaft dieser Bilder. | |
24 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Hillengaß | |
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