# taz.de -- Drogenpolitik in Uruguay: Der Pionier mit dem grünen Daumen | |
> Seit April 2014 ist der Eigenanbau von Cannabis in Uruguay legal. Julio | |
> Ley, Anbaupionier der ersten Stunde, geht die Liberalisierung nicht weit | |
> genug. | |
Bild: „Wer selber anbaut, hat einen ganz anderen Zugang zu Cannabis“: Julio… | |
FLORIDA taz | Vielleicht wird Julio Rey einmal als einer der bedeutendsten | |
Söhne der Kleinstadt Florida in Uruguay gelten. Doch noch weist nichts in | |
dem bescheidenen Ort mit seinen 33.000 EinwohnerInnen auf einen Vorkämpfer | |
für die Legalisierung des Cannabisanbaus hin. Und dass er hier, rund | |
hundert Kilometer nördlich der Hauptstadt Montevideo, legal seine | |
Pflänzchen stehen hat. | |
Sechs mal zwei Meter siebzig misst das Indoor-Gewächshaus. Von außen wirkt | |
es wie ein kleiner unscheinbarer Schuppen. „Wer selber anbaut, hat einen | |
ganz anderen Zugang zu Cannabis.“ Rey schiebt die Nylonplane zur Seite. Das | |
Licht ist grell, zweimal 400 Watt, zwei Ventilatoren brummen, sorgen für | |
gute Belüftung. | |
Etwas übernächtigt steht der 38-Jährige zwischen seinen Pflanzen. Klein, | |
mit gut gerundetem Bauch, ein Dirk-Bach-Typ würde man in Deutschland sagen. | |
Gestern waren zwei Anbauer aus Colorado hier. Sie haben zusammen gegrillt, | |
gefachsimpelt, Erfahrungen ausgetauscht. „Es war eine lange Nacht.“ | |
Rey war noch ein Jugendlicher, als die Samen in dem Marihuana, das er beim | |
Dealer kaufte, seine Neugier weckten. „Ich habe sie ausgesät und, schwupps, | |
hatte ich meine ersten Pflänzchen.“ Ein Autodidakt mit grünem Daumen. Heute | |
gilt Rey als erfahrener Anbauexperte. Nicht nur Pflanzer aus den USA lassen | |
sich von ihm beraten, auch die Regierungsbehörde und kommerziellen | |
Anbaufirmen fragen an. | |
Punto Rojo, Kush oder DNA heißen die südamerikanischen Kreuzungen. Die | |
Samen stammen überwiegend aus Kolumbien. Sein Liebling ist die Malva Ryder. | |
Geschickt schneidet er mit einer kleinen Spezialschere eine Blüte ab, kramt | |
sein Taschenmikroskop heraus, drückt das eine Auge zu und begutachtet mit | |
dem offenen die Harztröpfchen an der Blüte. „Die ist jetzt vier Monate alt, | |
in den kommenden Tagen wird geerntet, dann müssen die Blüten noch 15 Tage | |
trocknen.“ | |
16 Pflanzen stehen in Blüte. „Die bekommen zwölf Stunden Licht und zwölf | |
Stunden Dunkelheit.“ Das sei der beste Rhythmus, um das Austreiben und | |
Ausblühen zu stimulieren, danach kämen sie unter ein noch stärkeres Licht, | |
um die Blüten reifen zu lassen. Selbstverständlich nur Weibchen. „Was | |
knallt, ist die weibliche Pflanze, nicht die männliche.“ | |
## Der Cannabis-Konsum ist in Uruguay seit 1974 straffrei | |
„Hier“, hebt Rey eine andere Plane an, „stehen schon die Nachwuchszöglin… | |
bereit.“ Die 14 Pflanzen bekommen einen sechsstündigen Rhythmus aus Licht | |
und Dunkelheit verpasst. Das sei das Beste für die erste Wachstumsphase. | |
„Deshalb können wir drei- bis viermal im Jahr ernten statt nur zweimal, wie | |
es der natürliche Zyklus wäre.“ | |
Der Konsum von Cannabis ist in Uruguay bereits seit 1974 straffrei. Die | |
Zahl der KonsumentInnen wird auf 150.000 geschätzt. Man geht davon aus, | |
dass Cannabis rund 90 Prozent der auf dem Schwarzmarkt verkauften illegalen | |
Drogen ausmacht. | |
Und genau den versucht der uruguayische Staat zu unterlaufen. Seit April | |
2014 darf jeder in Uruguay legal Cannabis anbauen, der sich als | |
Eigenanbauer oder Clubmitglied registrieren lässt. | |
## Der Staat als Marihuanaproduzent | |
Vom straffreien Konsum zum legalen Anbau – das war ein langer und | |
abwechslungsreicher Kampf, erinnert sich der Pionier. 2007 habe es in | |
Montevideo erste Anzeichen für den Willen zur Legalisierung gegeben. 2010 | |
gründete er mit Freunden die Movida Cannabica Florida, die erste Gruppe im | |
Landesinnern. „Wir waren damals etwa zehn Leute und haben die erste | |
öffentliche Veranstaltung über legale und illegale Drogen gemacht, zu denen | |
sogar Behördenvertreter kamen.“ | |
Sie reisten durchs ganze Land, immer in Legalisierungsmission. 2012 | |
kündigte Präsident José „Pepe“ Mujica an, den Cannabisanbau neu zu regel… | |
Sein Vorschlag sah, über den privaten Eigenanbau hinaus, den staatseigenen | |
Anbau und Verkauf über Apotheken vor. Dagegen lief die politische | |
Opposition Sturm. Der Staat als Marihuanaproduzent war den Rechten eine | |
unerträgliche Vorstellung. Am Ende ruderte Mujica zurück und sprach sich | |
für den Anbau durch Privatunternehmen aus. | |
„Pepes Ankündigung hat uns alle völlig überrascht, aber auch empört“, m… | |
Rey heute. „Schließlich wollten wir den Eigenanbau.“ Die | |
Legalisierungsbefürworter verstärkten den Druck auf die Regierungspartei, | |
sie verlangten eine Debatte über die Freigabe des Eigenanbaus. Dann brachte | |
Mujica die Idee mit dem Register auf, das als völlig inakzeptabel galt. | |
„Der Eigenanbauer ist von Natur aus gegen das System eingestellt“, sagt | |
Rey, „sowohl gegen eine staatliche Bevormundung als auch gegen den | |
Narco-Traffico.“ | |
## Ein bisschen Hippie sein | |
Aber der Staat stellte sich stur: ohne Register kein Eigenanbau. Am Ende | |
akzeptieren Rey und seine Leute den Kompromiss, ein Teil der Bewegung stieg | |
aus. „Auch bei uns in Florida kam es an dieser Frage zum Bruch.“ | |
Julio Rey legt ein großes rotes Buch auf den Tisch. „Hier ist die | |
Gründungsakte vom 13. Juli 2014 und die Vereinssatzung unserer Cofradía la | |
Hoja Roja Club Cannábico.“ Cofradía, Zunft, weil es ein wenig klandestin | |
klingt; Hoja Roja, rotes Blatt, erinnere an ihren Originalnamen als | |
Basisgruppe; und Club Cannábico ist der offizielle Teil, den jeder Verein | |
im Titel tragen muss. 18 Mitglieder hat der Verein, die Akte weist Rey als | |
Sekretär aus. | |
„Ich will kein Einzelanbauer sein“, sagt er, „ich habe es gerne etwas | |
kooperativer.“ Das heißt für ihn: etwas zusammen machen, ein bisschen | |
Hippie sein, außerhalb der Marktlogik produzieren, das sei doch was ganz | |
anderes, als auf den Schwarzmarkt oder in die Apotheke zu gehen. Diese | |
Sicht teilen auch seine Vereinsfreunde. | |
## Geld oder Gemeinschaftsarbeit | |
Die Mitglieder kommen aus Florida und Umgebung. Wer aufgenommen werden | |
möchte, braucht die Empfehlung eines Mitglieds. Aufnahmegebühr und | |
Mitgliedsbeitrag sind erschwinglich. „Es gibt Clubs in Montevideo, die | |
verlangen bis zu 300 Dollar im Monat. Hier kannst du deinen Beitrag in Form | |
von Geld oder Gemeinschaftsarbeit entrichten.“ | |
Zwar ist das Cannabis-Gesetz seit April in Kraft, aber das dazu gehörige | |
Regelwerk ist erst zu etwa 60 Prozent fixiert. „Von Liberalisierung kann | |
bei diesem Gesetz keine Rede sein“, kritisiert Rey. „Es geht in erster | |
Linie um staatliche Kontrolle und Reglementierung.“ Wer, was, wo und unter | |
welchen Bedingungen anbauen und verkaufen darf, ist zwar prinzipiell | |
festgelegt, aber noch immer fehlen genauere Vorschriften. | |
Das geht von der Änderung des Vereinsrechts hin zu den Auflagen für den | |
Schutz und die Überwachung der Anbauflächen. Auch die Cofradía la Hoja Roja | |
Club Cannábico hat noch nicht mit dem Bau des geplanten Gewächshauses | |
begonnen. „Dort wächst noch immer Gras“, deutet Rey auf das | |
Nachbargrundstück, wo einmal die Vereinsplantage entstehen soll. | |
## Ein altes Mütterchen fragt nach | |
Probleme sieht Rey in seiner Stadt nicht. Es zahle sich aus, dass sie schon | |
früh an die Öffentlichkeit gegangen seien und den Kontakt zu Behörden und | |
Bevölkerung gesucht hätten. „Hier kennt doch fast jeder jeden.“ Erst | |
neulich sei ein altes Mütterchen gekommen, die von diesen Pflänzchen gehört | |
hatte, die so beruhigend seien. Ob sie nicht eines haben könnte, fragte | |
sie. | |
Bleibt das Sicherheitsproblem. Ein Meter achtzig hohe Zäune sind nötig, | |
glaubt Rey, möglicherweise eine Überwachungskamera. Angst vor Diebstahl, | |
Angst vor Zerstörung durch Leute, die etwas gegen den Anbau haben könnten. | |
Die Idee, mittels einer Kooperative als Produzent aufzutreten, hat sich für | |
Rey und seine Mitstreiter deswegen schnell zerschlagen. Viel zu hoch seien | |
die Investitionskosten allein für den Schutz und die Überwachung einer | |
größeren Plantage. „Wir blieben beim Eigenanbau und den Clubs, wie wir von | |
Anfang an wollten.“ | |
Trotzdem haben die Floridaner die möglichen Großproduzenten beraten. Am | |
Ende werden von den 18 Bewerberfirmen drei bis fünf ausgewählt, um zunächst | |
22 Tonnen Cannabis zu produzieren. Das ist die staatliche Schätzung für den | |
Jahresbedarf. „Ich glaube, dass es zu wenig ist“, ist Rey skeptisch. Auch | |
dass mit dem Verkauf über die Apotheken Anfang kommenden Jahres begonnen | |
werden kann, glaubt er nicht. „Bisher steht wenig von der notwendigen | |
Logistik. Und die natürliche Wachstumsphase der Pflanzen spricht auch | |
dagegen.“ | |
## Der Präsidenschafts-Kandidat gießt im Wahlkampf Öl ins Feuer | |
Zudem hat der wohl aussichtsreichste Kandidat bei der Stichwahl ums | |
Präsidentenamt am kommenden Sonntag noch etwas Öl ins Feuer gegossen. So | |
stellte Tabaré Vázquez den Vertrieb von Cannabis über Apotheken aus | |
Sicherheitsgründen in Frage. Der eher konservative Sozialist Vázquez gilt | |
ohnehin nicht als Unterstützer des Gesetzes. Theoretisch ist es möglich, | |
das Gesetz zurückzuziehen. „Aber politisch ist eine Rücknahme nicht | |
durchführbar.“ | |
Trotzdem ist Rey alarmiert. „Bei Tabaré müssen wir aufpassen.“ Zudem soll… | |
nach den Umfragen 64 Prozent der UruguayerInnen das Gesetz ablehnen. Rey | |
hält dagegen. „Das Gesetz ist beschlossen. Fragen wir die Bevölkerung, wo | |
ihrer Meinung nach Marihuana verkauft werden soll: beim Dealer oder in der | |
Apotheke?“ | |
Für ihn ist das auch eine Frage der Qualität. In der einen Hand hält er die | |
gerade abgeschnittene Blüte, in der anderen einen grünbraunen Klumpen. „Bei | |
dieser Blüte weiß ich, woher sie kommt, was sie beinhaltet. Und wenn der | |
Staat dir das verkauft, dann gab es vorher eine Qualitätskontrolle.“ Der | |
grünbraune Klumpen dagegen komme aus Paraguay, erläutert er sachkundig, | |
werde hektarweise angebaut und von erbärmlich schlecht bezahlten Campesinos | |
bearbeitet. | |
„Möglicherweise sind verbotene Agrogifte drin, aber ganz sicher Ammoniak, | |
damit es leichter gepresst werden kann. Deshalb stinkt es fast immer nach | |
Urin.“ Oder die ganze Ladung werde in einem Tankwagen geschmuggelt und | |
rieche nach Tankstelle. Hinzu komme die Kette aus Korruption und Gewalt. | |
Für Julio Rey aus Florida macht das „einen großen Unterschied“. | |
30 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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