# taz.de -- Cannabis-Legalisierung in Uruguay: Blühende Landschaft | |
> Vor zehn Jahren hat Uruguay Cannabis legalisiert. Gegner warnten damals | |
> vor Horrorszenarien. Doch mittlerweile ist Gras darüber gewachsen. | |
Bild: 99 weibliche Pflanzen darf ein Cannabisclub in Uruguay gleichzeitig kulti… | |
Montevideo In der Farmacia Antártida ist dienstags viel los. „Da herrscht | |
Hochbetrieb, denn da wird Cannabis geliefert“, sagt Apotheker Sergio Redin. | |
„Am Mittwoch sind dann nur noch wenige Päckchen übrig, wenn überhaupt. Und | |
den Rest der Woche bleibt es ruhig“, fügt er hinzu. Seine Apotheke in der | |
Calle Colonia im Zentrum von Montevideo ist eine von den fünf Prozent der | |
Apotheken in Uruguay, die Cannabis verkaufen. | |
Ein offizieller Aufkleber am Schaufenster weist darauf hin. Die Auslage | |
dahinter ist der typische Mix aus Pflegeprodukten, Parfüms und rezeptfreien | |
Medikamenten. Drinnen gibt es auch verschreibungspflichtige Medikamente. | |
Und wie selbstverständlich auch Cannabis. | |
Seit zehn Jahren ist in Uruguay das Gesetz zur staatlichen Kontrolle und | |
Regulierung von Anbau, Vermarktung und Verkauf von Cannabis in Kraft. | |
„Damals herrschte eine große Angst, viele lehnten das kategorisch ab“, | |
erinnert sich Redin an die Zeit, kurz bevor es im Sommer 2014 losging. | |
Drogenzombies würden die Apotheken stürmen, die Stammkundschaft in Scharen | |
davonlaufen und Banden die Apotheken überfallen, so die Horrorszenarien. | |
Trotzdem hatte sich schon früh eine lange Schlange vor Redins Apotheke | |
gebildet. „Da war von jung bis mittelalt, von Hippie bis Krawattenträger | |
alles dabei“, erzählt er. Alle stellten sich aufgeregt, aber geduldig an. | |
„Als es dann losging, waren unsere Ängste sofort wie weggeblasen.“ Da kamen | |
keine Zombies und selbst seine konservativsten Kunden blieben ihm treu. | |
## Normalen Menschen das Kiffen ermöglichen | |
„Wir wollten dem kriminellen Drogenhandel die Cannabiskonsumenten | |
entziehen“, nennt Julio Calzada einen der wichtigsten Gründe für das | |
Gesetzesvorhaben. Calzada spielte eine führende Rolle bei der Formulierung | |
und Umsetzung des Gesetzes, das im Dezember 2013 während der | |
Präsidentschaft von José Mujica mit knapper Mehrheit verabschiedet wurde | |
und einige Monate später in Kraft trat. Dabei sei es nie um Legalisierung | |
oder Liberalisierung gegangen, sondern um die Regulierung des bereits | |
bestehenden, aber illegalen Cannabismarktes, erklärt er. | |
Und es ging darum, ganz normalen Menschen, die einen Job haben, in die | |
Gesellschaft integriert sind und keine Verbindung zu kriminellen Märkten | |
haben, die Möglichkeit von legalem Konsum zu bieten. Mujica ernannte | |
Calzada zum Leiter der neuen Junta Nacional de Drogas, einer Behörde, die | |
direkt dem Präsidialamt untersteht und zusammen mit dem Secretaría Nacional | |
de Drogas für die Umsetzung und Einhaltung des Gesetzes verantwortlich ist. | |
„[1][Damals waren 60 Prozent der Bevölkerung dagegen], heute sind es knapp | |
unter 30 Prozent“, sagt er. | |
Das Gesetz erlaubt drei Wege, um an Cannabis zu gelangen: den Kauf in der | |
Apotheke, den Selbstanbau von bis zu sechs weiblichen Pflanzen oder die | |
Mitgliedschaft in einem sogenannten Cannabisklub, der stark reguliert ist. | |
So darf ein solcher Klub nicht mehr als 45 Mitglieder haben sowie höchstens | |
99 weibliche Pflanzen anbauen. Weibliche Pflanzen deshalb, weil ihre Blüten | |
eine hohe Konzentration von Tetrahydrocannabinol, kurz THC, enthalten, das | |
für die berauschende oder beruhigende Wirkung verantwortlich ist. | |
Das gesamte System basiert auf der Vergabe von staatlichen Lizenzen an | |
private Marktteilnehmer. Das reicht von den privaten Unternehmen, die den | |
Anbau in großem Stil betreiben, über die Apotheken, die den Verkauf | |
abwickeln, bis hin zu den Klubs, den Selbstanbauern und den Konsumenten. | |
„Es ist nicht der Staat, der anbaut oder verkauft“, erklärt Calzada. | |
## Die Nachfrage ist zu hoch | |
„Er hat uns bei einer Informationsveranstaltung für Apotheken überzeugt“, | |
sagt Redin und deutet auf Julio Calzada. Händeschütteln, man kennt sich. | |
„Als er sagte, dass das durchschnittliche Profil eines Cannabiskonsumenten | |
dem eines ruhigen Menschen entspricht, war ich zwar weiter skeptisch, aber | |
er behielt recht.“ | |
Apotheker Redin hat drei Päckchen auf die Theke gelegt, für jede | |
Cannabisvariante eines. „Es gibt Alpha, Beta und Gamma. Sie unterscheiden | |
sich in ihrem THC-Wert.“ Variante Gamma hat mit 15 Prozent den höchsten | |
THC-Gehalt, Alpha und Beta haben höchstens 9 Prozent. Jedes Päckchen | |
enthält 5 Gramm und kostet umgerechnet etwa 10,50 Euro. | |
Pro Woche kann jeder registrierte Konsument zwei Päckchen kaufen, was mit | |
dem Abgleich des Fingerabdrucks kontrolliert wird. Jedes Päckchen hat einen | |
Strichcode, mit dem jede Station seines Wegs vom Anbauer bis zum | |
Konsumenten bei der Behörde gescannt und registriert wird. „Das | |
Sicherheitssystem der Verkaufskette funktioniert perfekt“, sagt der | |
Apotheker. | |
Das Manko sei die wöchentliche Liefermenge. „Im Durchschnitt werden 6 Kilo | |
geliefert. Verkaufen könnten wir 20 Kilo. Diese Woche haben wir nur etwas | |
mehr als 3 Kilo bekommen“, so der Apotheker. Rationiert wird dennoch nicht. | |
Wer seine zwei Päckchen kaufen will, bekommt sie, bis nichts mehr da ist. | |
Bezahlt wird ausschließlich in bar, eine Steuer fällt nicht an. „Auf | |
Pflanzen und Gemüse erhebt das Finanzamt keine Mehrwertsteuer“, sagt | |
Apotheker Redin und kann sich das Schmunzeln nicht verkneifen. | |
## Vor allem Reichere profitieren | |
Mit 2,25 US-Dollar pro Gramm ist das Cannabis aus der Apotheke teurer als | |
das gepresste Marihuana auf dem illegalen Markt. Aber der | |
Qualitätsunterschied ist enorm. „Das wissen die Konsumenten zu schätzen“, | |
sagt er. Für seine Apotheke ist es ein Zusatzgeschäft. „Eine Verkaufsstelle | |
nur für Cannabis lohnt nicht. Miete, Telefon, Angestellte, das rechnet sich | |
nicht“, sagt er. | |
Klar ist auch, dass die Mittel- und Oberschicht die eigentlichen Nutznießer | |
der Regulierung sind. Obwohl der Preis ähnlich ist, kaufen ärmere | |
Konsumenten weiter auf dem illegalen Markt. Vor allem, weil es in ihren | |
Vierteln keine Apotheken gibt, die es verkaufen. Die Ängste vor Einbruch | |
und Überfällen überwiegen noch immer. | |
Fabiana Vañez hat sich ein Päckchen übers Internet reserviert und holt es | |
nun in der Farmácia Antártida ab. „Seit es die Variante Gamma gibt, kaufe | |
ich wieder in der Apotheke“, bestätigt Fabiana. Alpha und Beta hätten nicht | |
geknallt, lacht sie. Vor zwei Jahren hat sich die 37-Jährige registrieren | |
lassen. „Beim Postamt an der Ecke, war ganz einfach“, sagt sie. | |
Etwas mulmig war ihr dennoch, erzählt sie. Was passiert, wenn ihr | |
Arbeitgeber davon erfährt, hatte sich die Krankenpflegerin tagelang | |
gefragt. Dabei will sie doch gerade von dem Stress an ihren Arbeitsplatz | |
runterkommen. „Dann habe ich entschieden, ich rauche lieber einen Joint als | |
mir Psychopharmaka einzuwerfen“, sagt sie und geht mit ihrem Päckchen | |
davon. | |
## Roll-back? „Wer kann das wollen?“ | |
„Die Registrierungspflicht war die umstrittenste Vorgabe des Gesetzes“, | |
bestätigt Apotheker Redin. Wer legal kaufen oder anbauen will, muss sich | |
bei der Drogenbehörde registrieren lassen. Das geht zwar problemlos, aber | |
es ist ein Outing als potenzieller Konsument. Und das setzt Ängste frei: | |
Was, wenn der politische Wind dreht, das Regulierungsgesetz abgeschafft | |
wird und Innenministerium und Polizeibehörde Zugriff auf das Register | |
bekommen? | |
Im zehnten Stock des Torre Ejecutiva ist der Ausblick auf den Atlantik | |
atemberaubend. „Ich hatte mal ein Büro im Keller“, weiß Daniel Radío sein | |
Privileg zu schätzen. Radío ist Leiter des Drogensekretariats, das im | |
Exekutiv-Turm untergebracht ist, dem zwölfstöckigen Hochhaus im | |
Zweckbaustil an der Plaza Independencia im Zentrum von Montevideo. Radíos | |
Credo lautet regulieren statt verbieten. | |
Von den 100 Millionen US-Dollar des gesamten Cannabismarktes werden heute | |
40 Millionen im regulierten Markt, 40 Millionen im sogenannten grauen Markt | |
und nur noch 20 Millionen auf dem illegalen Markt umgesetzt. Würde morgen | |
das Gesetz außer Kraft gesetzt, würde diese Summe früher oder später wieder | |
in den illegalen Drogenhandel fließen. „Wer kann das wollen?“, fragt er und | |
breitet die Arme aus. | |
Als der liberal-konservative Luis Lacalle Pou die Präsidentschaftswahl | |
gewann und 2020 sein Amt antrat, waren die Befürchtungen groß. Erwartet | |
wurde ein Rollback in der Drogenpolitik, zumal der neue Präsident mit | |
seiner Allianz aus fünf gemäßigt bis rechtsradikalen Parteien über eine | |
Mehrheit im Kongress verfügte. „Nur wenige erinnern sich daran, dass | |
Lacalle Pou 2010 im Kongress das erste Projekt für die Entkriminalisierung | |
von Cannabis vorgestellt hat“, sagt Radío, der damals ebenfalls | |
Abgeordneter war. Die beiden kennen sich seither, der Präsident hat ihn zum | |
Leiter der Drogenbehörde ernannt. | |
## Innenminister wollte Daten | |
Kaum im Amt, begann jedoch der Abwehrkampf. Das Innenministerium wollte | |
Zugang zu den persönlichen Daten der Selbstanbauenden erhalten. „Ich habe | |
klar gemacht, dass ich die Adressen nicht herausgeben werde, und der | |
Präsident hat mich unterstützt“, sagt er. Auch den ständigen Vorwurf, das | |
Gesetz werde den Konsum erst richtig beschleunigen, kontert er. „Unsere | |
Zahlen belegen, dass der Verbrauch im gleichen Tempo zunimmt wie in den | |
Jahrzehnten davor“, sagt Radío. | |
Dennoch fällt seine Bilanz nach vier Jahren seiner Amtszeit nicht positiv | |
aus, räumt er unumwunden ein. Keines seiner Vorhaben hat den Weg von seinem | |
Büro im Exekutivturm in den Kongress geschafft. „Ich wollte die | |
Registrierungspflicht abschaffen.“ Die schließe nämlich alle aus, die | |
keinen festen Wohnsitz in Uruguay haben, und damit im Ausland lebende | |
Uruguayer ebenso wie Menschen ohne festen Wohnsitz. | |
Lacalle Pou wird noch bis März im Amt bleiben. Danach übernimmt der | |
neugewählte gemäßigt-linke Yamandú Orsi das Präsidentenamt. Der wird | |
wahrscheinlich einen neuen Leiter der Drogenbehörde ernennen. Große | |
Änderungen sind aber nicht zu erwarten. Das Thema Cannabis steht aktuell | |
auf keiner Agenda. Radíos Aufmerksamkeit gilt denn auch mehr der | |
gestiegenen Nachfrage in den Apotheken. Seit Cannabis mit 15 Prozent THC | |
angeboten wird, kommen wieder mehr Konsumenten in die Apotheken, erzählt | |
auch er zufrieden. „Wer in der Apotheke keine ordentliche Auswahl hat, geht | |
eben zum Dealer“, sagt der Chef des Drogensekretariats. | |
Die Busfahrt von Montevideo nach Florida dauerte etwas mehr als eine | |
Stunde. In der 33.000 Einwohner zählenden Kleinstadt lebt Julio Rey, | |
[2][Uruguays wohl bekanntester Vorkämpfer] für die Legalisierung von | |
Cannabis. Mit großen Hoffnungen gründete er vor zehn Jahren den | |
Cannabisklub La Hoja Roja. | |
## Jeder will kiffen, keiner will anbauen | |
18 Monate später löste er ihn wieder auf. Die Sicherheitsvorkehrungen, die | |
begrenzte Mitgliederzahl, die hohen Fixkosten und vor allem die geringe | |
Bereitschaft, sich zu engagieren, führten zum Ende. Viele hatten kein | |
Interesse am aktiven Mitmachen und wollten nur ihren monatlichen | |
Cannabisanteil abholen. „Unter Vereinsleben stelle ich mir etwas anderes | |
vor“, sagt Rey. | |
Und das Rote Blatt (deutsch für La Hoja Roja) ist kein Einzelfall. Die | |
meisten Klubs haben heute einen Unternehmer als Eigentümer und | |
professionelle Mitarbeiter, während die Mitglieder meist keine Ahnung vom | |
Anpflanzen, Züchten und Ernten haben. Und bei all den anfallenden Kosten | |
ist die Mitgliedschaft teuer. „Die Klubs sind definitiv nichts für arme | |
Leute“, sagt Rey. | |
Seine Bilanz fällt denn auch gemischt aus: „Dass wir heute offen und frei | |
darüber reden können, ist dem Gesetz zu verdanken“, sagt er. Und es sei ein | |
Erfolg, dass es Cannabisblüten zu kaufen gebe und niemand mehr gezwungen | |
sei, den Mist vom Schwarzmarkt zu rauchen, für den die Pflanze mit | |
Stängeln, Wurzeln, Blättern und Blüten geschreddert und gepresst wird. | |
„Aber wenn ich dir jetzt meinen Joint anbiete und du ihn rauchst, begehen | |
wir beide noch immer eine Straftat“, fügt er hinzu und inhaliert. Dafür | |
wandern noch immer Leute ins Gefängnis. Die Mentalität, Marihuana müsse | |
bekämpft werden, sei auch zehn Jahre später nicht verschwunden und die | |
entsprechenden Strafgesetze nicht geändert. | |
Nach dem Aus von La Hoja Roja hat sich Rey als Selbstanbauer registrieren | |
lassen. Als Konsument hätte er in Floridas Apotheken auch keine Chance, | |
sich Cannabis zu kaufen, denn alle Filialen im Ort gehören ein und | |
demselben Unternehmer. „Und der ist gegen den Verkauf von Cannabis“, so | |
Rey. Als Selbstanbauer darf er sechs weibliche Pflanzen haben, die | |
gleichzeitig blühen dürfen. Das reicht ihm für seinen Eigenbedarf. | |
## Ein Haus in Montevideo | |
Während es in Florida und anderen ländlicheren Gegenden Uruguays schwierig | |
ist, Apotheken zu finden, die Cannabis verkaufen, gibt es in der Hauptstadt | |
selbst andere Probleme. Einen geeigneten Platz für den Anbau zu finden, zum | |
Beispiel. Beim Spaziergang durch ein Mittelklasseviertel kommt man an einem | |
einstöckigen Haus vorbei, an dessen Fassade nichts darauf hindeutet, das | |
sich hier ein Cannabisklub befindet. | |
Auch der Elektrodraht oben auf den hohen Eisengittern fällt nicht auf. | |
Hinweise und Werbung für Cannabisklubs sind verboten, ebenso wie Websites | |
und Social-Media-Auftritte. „Im Umkreis von 150 Metern darf es keine | |
Einrichtung für Minderjährige geben, keine Schule, keinen Kindergarten, | |
keine Sportanlage oder einen Spielplatz“, sagt Gustavo Garrido. „So etwas | |
findet man in Montevideo kaum“, fügt er hinzu. | |
Die meisten der rund 300 Cannabisklubs in Uruguay befinden sich daher am | |
urbanen Rand oder in ländlicher Gegend. Doch Hausbesitzer Gustavo Garrido | |
hatte Glück. Nach einem gründlichen Check der Nachbarschaft stand fest: In | |
dem von seiner Tante geerbten Haus kann ein Klub eingerichtet werden. Vor | |
drei Jahren legte er mit einigen Partnern los. Sie rissen Wände ein, | |
mauerten Fenster zu, verlegten stärkere Elektrokabel für Heizung, | |
Klimaanlage, Lüftung und Licht und erfüllten die Sicherheitsmaßnahmen gegen | |
Einbrüche von außen, etwa mit dem Elektrodraht. | |
„Das ganze Viertel weiß, dass hier ein Cannabisklub ist“, sagt Gustavo | |
Garrido. Die Klischees von angelockten Dealern oder Drogensüchtigen kamen | |
gar nicht erst auf. „Niemand hat sich jemals beschwert oder verlangt, dass | |
wir gehen sollten“, sagt der große, kräftige Mann, dessen Hobby Kampfsport | |
ist. | |
## Gärtner aus Leidenschaft | |
Cannabisblüten aus eigenem Anbau wecken wegen ihrer hohen Qualität | |
Begehrlichkeiten. Einbrüche in Klubs sind zwar selten, aber sie kommen vor. | |
Viele Klubs geben deshalb auch nicht öffentlich bekannt, wo sie zu finden | |
sind. Nichtmitgliedern ist der Zutritt ohnehin komplett untersagt. Alles | |
läuft über Mundpropaganda. Am Anfang kamen manchmal Nachbarn und fragten, | |
ob sie etwas kaufen könnten. „Seitdem sich herumgesprochen hat, dass da | |
nichts geht, kommt keiner mehr.“ | |
Garrido hat aus einem allgemeinen Interesse an Pflanzen heraus Agrartechnik | |
studiert. „Aber was den Cannabisanbau angeht, bin ich Autodidakt“, sagt er. | |
Er erwarb einen technischen Abschluss in Hydrokultur und anschließend ein | |
Diplom in medizinischem Cannabis an der Nationalen Universität von Bogotá | |
in Kolumbien. Vor acht Jahren ließ er sich als Selbstanbauer registrieren | |
und wurde durch geduldiges Trial and Error zu einem erfahrenen | |
Anbauexperten. | |
Der 45-Jährige ist der Techniker, den jeder Klub einstellen muss. „Das hier | |
ist der Anbauplan.“ Er zeigt auf die weiße Tafel an der Wand. Blütezeit | |
steht über 65 aufgelisteten Tagen. Dazu kryptische Kürzel wie PH6.1 oder | |
W.P50-55. „Der grüne Punkt hier neben der 19 markiert den aktuellen | |
Blütetag, die Kürzel sind für Wasser- und Nährstoffwerte für den jeweiligen | |
Wachstumsstand“, erklärt er. Angebaut wird nur in Hydrokultur mit einer | |
Nährlösung aus purifiziertem Wasser, das mit Mineralien wie Kalzium, | |
Magnesium, Stickstoff, Phosphor, Kalium, Zink, Mangan, Gold, Kupfer und | |
Schwefel angereichert ist. Dazu kommt Huminsäure und Fulvosäure, um den | |
pH-Wert zu senken. | |
Im fensterlosen Blühraum summt die Lüftung. Von der Decke strahlen | |
LED-Lampen. Die Luft ist geruchslos, fast steril. Spezielle Filter sorgen | |
dafür, dass vor allem nichts nach draußen dringt. Halbhoch verlaufen weiße | |
Rohrreihen, darin sind in kurzen Abständen die Hydrokulturtöpfe | |
eingelassen. Ein über ein Meter hohes Dickicht aus 99 Pflanzen nimmt den | |
Raum ein. An den Spitzen beginnen die Blüten auszutreiben. „12 Stunden Tag | |
und 12 Stunden Nacht, mit diesem Rhythmus schaffen wir 4 Ernten im Jahr“, | |
sagt er. | |
## Weg mit den letzten Fesseln | |
Wenn unten geerntet wird, werden oben im Vegetationsraum schon die neuen | |
Pflanzen vorbereitet, beschreibt er und geht die Treppe ins erste Stockwerk | |
hinauf. Auch die Jungpflanzen wachsen in Hydrokultur heran, versorgt mit | |
dem für ihr Wachstumsstadium entsprechenden Wasser- und Mineralstoffmix. | |
„Heute gibt es fast nur noch Hybridsorten aus den Cannabisarten Indica und | |
Sativa mit Fantasienamen wie 24K oder OG, das sich Ouutschie spricht“, | |
lacht er. | |
Die Kosten für den Klub sind hoch: „Unsere Stromkosten schwanken zwischen | |
1.000 und 1.500 US-Dollar im Monat.“ Dazu kommen sein Lohn und der von drei | |
weiteren Mitarbeitern. Jeder verdient rund 1.500 US-Dollar im Monat. Bei | |
einem gesetzlichen Mindestlohn von 560 US-Dollar eigentlich kein geringer | |
Verdienst. Allerdings hat das Land nach Angaben der uruguayischen | |
Zentralbank auch die höchsten Lebenshaltungskosten in Lateinamerika. „Auch | |
wenn wir als eingetragener Verein keine Steuern zahlen müssen, geht alles | |
in die Fix- und Lohnkosten“, sagt er. | |
Wie viel die 45 eingetragenen Mitglieder monatlich für ihren | |
40-Gramm-Anteil zahlen, will er nicht sagen. Doch die gesetzliche | |
Reglementierung empfinde er als Fessel: „Wenn wir 200 oder 300 Personen in | |
einem Klub aufnehmen könnten und jedes Mitglied zwischen 5 Gramm, 10 Gramm | |
oder 20 Gramm Abnahme wählen könnte, wäre das ein erheblicher Fortschritt“, | |
sagt Gustavo Garrido. Ein Fortschritt, der der Pionierleistung Uruguays | |
noch einen draufsetzen würde. | |
30 Dec 2024 | |
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