| # taz.de -- Neue Töne in der Drogendebatte: „Ein Coffeeshop reicht nicht“ | |
| > Thomas Isenberg, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD, fordert einen | |
| > Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik - und die kontrollierte Abgabe von | |
| > Cannabis. | |
| Bild: Warum nicht zwei, drei Pflänzchen auf der Fensterbank erlauben? | |
| taz: Herr Isenberg, angesichts der Probleme im Görlitzer Park fordert | |
| Innensenator Henkel (CDU) eine härtere Gangart in der Drogenpolitik. Was | |
| ist Ihre Haltung dazu? | |
| Thomas Isenberg: Die Situation im Görlitzer Park ist tragisch. Ich sehe da | |
| viel Leid und gesundheitliche Probleme. Aber einseitige | |
| Interventionsstrategien, also Repression, helfen überhaupt nicht weiter. | |
| Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik. Das geht | |
| nur mit dem Bund. Aber Berlin muss sich an die Spitze einer neuen | |
| Drogenpolitik stellen. | |
| Was muss sich ändern? | |
| Wir brauchen einen Einstieg in die kontrollierte Legalisierung von | |
| Cannabis: Einführung von lizenzierten Abgabestellen, etwa kontrollierte | |
| Coffeeshops oder in bestimmten Fällen Apotheken. Darüber hinaus: | |
| Kontrollierte und seriöse Produktions- und Handelswege, die sicherstellen, | |
| dass nicht andere Stoffe untergemischt sind. Warum nicht auch den Anbau von | |
| zwei, drei Pflanzen in der eigenen Wohnung für den Eigenbedarf | |
| legalisieren? Und selbstverständlich keine weitere Kriminalisierung, etwa | |
| durch Senkung der geltenden Mengen für den Eigenbedarf. Flankierend muss | |
| der Jugendschutz sichergestellt und die Aufklärungs- und Präventionsarbeit | |
| verstärkt werden. | |
| Für einen SPD-Politiker klingt das beinahe revolutionär. Was sagt der Rest | |
| Ihrer Partei dazu? | |
| Seit ich die Diskussion vor ein paar Wochen eröffnet habe, bekomme ich | |
| äußerst viel Unterstützung von allen Flügeln der Partei. Egal, ob es sich | |
| um Sozialpolitiker, Rechtspolitiker, Innenpolitiker oder | |
| Gesundheitspolitiker handelt – der Tenor lautet: So wie jetzt kann es nicht | |
| weitergehen. Die Kriminalisierung muss weg, auch um Drogenkonsumenten | |
| zugänglich für Präventionsangebote zu machen. Fakt ist doch: Die | |
| Kriminalisierung verhindert, dass sich Jugendliche und Eltern an | |
| Beratungsstellen wenden. | |
| Marihuana ist die am meisten konsumierte illegale Droge in Berlin. Über | |
| 250.000 Berliner haben laut Drogenbericht 2013 gekifft. Die Zahlen steigen | |
| kontinuierlich. Was treibt Sie an? | |
| Wir haben eine Verantwortung dafür, dass Menschen – wenn sie denn schon | |
| Cannabis konsumieren – vor weiteren gesundheitlichen Schäden geschützt | |
| werden. Aus Gesprächen mit Suchthilfemedizinern weiß ich, dass es viele | |
| Komplikationen gibt, weil obskure Schwarzmarkthändler das Marihuana mit | |
| Blei oder anderen chemischen Substanzen strecken. Und es geht auch darum, | |
| all den Menschen zu helfen, die Cannabis aus medizinischen Gründen | |
| benötigen, etwa bei multipler Sklerose oder Schmerzen. Auch sie müssen sich | |
| ihren Stoff zumeist auf illegale Weise beschaffen. | |
| Die Debatte um Legalisierung ist nicht neu. Warum starten Sie die | |
| Initiative gerade jetzt? | |
| Vor 15, 20 Jahren gab es zu der Frage Entkriminalisierung von Cannabis | |
| sogar SPD-Parteitagsbeschlüsse. Das ist den letzten Jahren komplett aus dem | |
| Fokus geraten. Die Legalisierungsdebatten in den USA und Uruguay sind für | |
| die SPD nun Anlass, uns neu zu positionieren. Es gibt dazu eine Studie der | |
| Friedrich-Ebert-Stiftung. Im Bundestag hat gerade eine Anhörung zur Novelle | |
| des Betäubungsmittelgesetzes stattgefunden. Darauf müssen wir aufbauen. | |
| Was heißt das konkret? | |
| Das Land Berlin und die politischen Parteien müssen die Vorreiterrolle | |
| übernehmen. Die SPD-Fraktion wird Anfang 2015 im Abgeordnetenhaus einen | |
| Workshop veranstalten. Das wird keine Medienveranstaltung sein, sondern ein | |
| Fachdialog für Beteiligte aus dem Suchthilfebereich und der | |
| Präventionspolitik. Im Mittelpunkt steht die Frage der Gesundheitspolitik. | |
| Ich würde es aber sehr begrüßen, wenn sich auch Polizei und | |
| Staatsanwaltschaft beteiligen. Eingeladen sind auch die | |
| SPD-Arbeitsgemeinschaften und SPD-Fachleute aus den Vorständen oder | |
| Bezirksverordnetenversammlungen. Die Jusos haben sich den von mir | |
| eingebrachten Vorschlägen bereits angeschlossen. Ziel ist auch, Anträge für | |
| die Parteitage zu erarbeiten, die in den nächsten zwei Jahren anstehen. | |
| Müsste Berlin nicht eine Bundesratsinitiative starten? | |
| Richtig. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Ergebnis der | |
| innerparteilichen Diskussion eine Beschlussfassung ist, die Eingang in das | |
| SPD-Wahlprogramm finden könnte. Meine Hoffnung ist, dass daraus eine | |
| Bundesratsinitiative entsteht. Am liebsten gemeinsam mit dem | |
| Koalitionspartner als Initiative des Landes. | |
| Die CDU und die Landesdrogenbeauftragte Christine Köhler-Azara sind aber | |
| für eine härtere Linie. | |
| Dann muss die SPD das eben alleine machen. Und auch über die zeitliche | |
| Grenze dieser Legislaturperiode hinausschauen. | |
| In Berlin gilt die Regelung, dass bis zu 15 Gramm Cannabis für den | |
| Eigenverbrauch geduldet sind. Die CDU möchte die straffreie Menge auf sechs | |
| Gramm begrenzen. Was sagt die SPD dazu? | |
| Gemeinsam mit dem rechtspolitischen Sprecher der SPD, Sven Kohlmeier, habe | |
| ich mich gegen eine Senkung der Freimenge ausgesprochen. Ich gehe davon | |
| aus, dass die CDU das respektiert. | |
| Friedrichshain-Kreuzberg plant einen Modellversuch zur kontrollierten | |
| Abgabe von Cannabis in Form eines Coffeeshops. Die SPD im Bezirk | |
| unterstützt das Vorhaben. Warum hat man von der Landes-SPD dazu noch nichts | |
| gehört? | |
| Es wäre zu begrüßen, wenn das Bezirksamt den Antrag bald schreibt und beim | |
| zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit | |
| Unterstützung des Landes Berlin einreicht. Denn dann erst fängt die | |
| eigentliche politische Diskussion auf Bundesebene an. Aber ein Coffeeshop | |
| löst nicht die Probleme im Görlitzer Park. Es gibt dort noch andere Drogen | |
| und Kriminalitätsmuster. | |
| Aber es wäre ein Anfang. | |
| Natürlich. Ein Coffeeshop in Berlin wäre ein erster Meilenstein. Aber ich | |
| warne davor, die Diskussion auf einen einzelnen Coffeeshop zu beschränken. | |
| Es geht hier nicht um kurzfristige Symbolpolitik. Wir kommen um einen | |
| Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik insgesamt nicht herum – auch wenn | |
| das ein langer Weg ist. | |
| 8 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
| ## TAGS | |
| Cannabis | |
| Marihuana | |
| Legalisierung | |
| Coffeeshop | |
| Görlitzer Park | |
| SPD Berlin | |
| Uruguay | |
| Cannabis | |
| Cannabis | |
| Görlitzer Park | |
| Görlitzer Park | |
| Cannabis | |
| Cannabis | |
| USA | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Psychologe über Drogenpolitik in Urugay: „Das sind keine Karamellbonbons“ | |
| Mit dem Strafrecht lässt sich Drogenhandel nicht wirksam regulieren. Das | |
| zumindest glaubt Milton Romani vom urugayischen Drogenausschuss. | |
| Modellversuch mit Cannabis: Coffeeshop löst sich in Luft auf | |
| Auch bei einem Modellversuch gäbe es keine öffentliche Abgabe von Cannabis | |
| an alle, so die Grünen. Der Kundenkreis würde im Vorfeld genau festgelegt. | |
| Buch über einen Cannabisproduzenten: Typenkabinett der Grasfreunde | |
| Rainer Schmidts Buch „Die Cannabis GmbH“ weist auf Probleme der | |
| Drogengesetze hin. Es ist didaktisch wertvoll, literarisch eher mau. | |
| Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg: „Psst, Bob Marley“ | |
| Dealer, wütende Anwohner, massive Polizeipräsenz. Die Lage im Görlitzer | |
| Park in Berlin ist verfahren. Ein Gespräch mit „Cannabis GmbH“-Autor Rainer | |
| Schmidt. | |
| Streitgespräch zum Görlitzer Park: „Mir fehlt bei euch die Empathie" | |
| Manche Park-Anwohner fühlen sich von Drogendealern belästigt, | |
| Flüchtlingsunterstützer fordern von den Nachbarn mehr Solidarität. Die taz | |
| holt beide Seiten an einen Tisch. | |
| Drogenpolitik in Uruguay: Der Pionier mit dem grünen Daumen | |
| Seit April 2014 ist der Eigenanbau von Cannabis in Uruguay legal. Julio | |
| Ley, Anbaupionier der ersten Stunde, geht die Liberalisierung nicht weit | |
| genug. | |
| Coffeeshop für die Schanze gefordert: Standortfaktor Dope | |
| Der Stadtteilbeirat Sternschanze will die Dealer vor Hamburgs Roter Flora | |
| weghaben und fordert stattdessen den legalen Cannabis-Verkauf. | |
| Kampf gegen Drogenkriminalität: Henkel auf dem Holzweg | |
| Der CDU-Innensenator spielt den starken Mann: Um den Görlitzer Park | |
| schieben Polizisten Dauerwache. Das Gebiet soll zur „Null-Toleranz-Zone“ | |
| werden. | |
| Cannabis-Abstimmungen in den USA: Überall Mehrheit für Legalisierung | |
| In weiteren drei US-Bundesstaaten wird Kiffen zukünftig legal. Nur in | |
| Florida scheitert „Medical Marihuana“ an der 60-Prozent-Hürde. |