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# taz.de -- Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg: „Psst, Bob Marley“
> Dealer, wütende Anwohner, massive Polizeipräsenz. Die Lage im Görlitzer
> Park in Berlin ist verfahren. Ein Gespräch mit „Cannabis GmbH“-Autor
> Rainer Schmidt.
Bild: Gestutzte Büsche im Görlitzer Park.
BERLIN taz | Wann er das letzte Mal high war, daran kann sich Rainer
Schmidt nicht mehr erinnern. Als er jung war, habe er eine kurze Zeit lang
gekifft. „Aber das hat mir nichts gebracht, ich bin meistens einfach
eingeschlafen.“ Der 50-jährige Journalist und Schriftsteller hat trotzdem
eine klare Meinung zum Kiffen: Cannabiskonsum gehört entkriminalisiert.
Alkoholsucht hat weitaus schlimmere Folgen für die Gesundheit. So steht es
in seinem neuen Roman „Cannabis GmbH“, und so steht es in seiner
Stern-Titelgeschichte „Die bekiffte Republik“ von Ende November.
Schmidt, der einst Chefredakteur der Zeitschriften Rolling Stone und
Musikexpress war, wärmt seine Hände an einer Tasse Orangen-Ingwer-Tee. Er
sitzt auf einer schwarzen Couch im Café Edelweiss, mitten im Görlitzer
Park. Draußen sind es minus zwei Grad Celsius, der Park ist leer bis auf
zwei Dealer, die nervös um sich schauen. Vor einem Monat standen da noch um
die 50.
Nicht weil es wärmer war, sondern weil die Polizei nur ein bis zwei Mal pro
Woche vorbeischaute. Inzwischen aber hat sich die Task Force „Görlitzer
Park“ gegründet, die mehrmals täglich in und um die Grünanlage in
Berlin-Kreuzberg auf Streife geht. Auf Anordnung des Bezirks wurden zudem
Büsche abgeschnitten und Flutlichter angebracht, damit die Dealer weder
ihren Stoff noch sich selbst verstecken können. Am Parkeingang an der
Glogauer Straße, wo einst die Dealer freundlich und serviceorientiert
grüßten, stehen nur noch traurige Holzstümpfe.
Für Rainer Schmidt ist das ein „Ausdruck nachvollziehbarer, aber dann doch
seltsamer Hilflosigkeit. Jetzt ist etwas passiert, deshalb wird panisch
darauf reagiert. Aber der Schwarzmarkt ist unkontrollierbar, und das ist
das Grundproblem“, sagt Schmidt, während im Hintergrund ein Song von Céline
Dion läuft. Was passiert ist: am nahe gelegenen Görlitzer Bahnhof wurde ein
Dealer im Streit von einem Cafébetreiber erstochen. Zuvor habe der Wirt
angeblich 70 Mal die Polizei gerufen, weil ihn die Dealer belästigten.
Helfen konnte ihm aber keiner. Also übte er Selbstjustiz.
## Im „Lonely Planet“ verzeichnet
Auch die Anwohner am Görlitzer Park beschweren sich seit Monaten über den
Zustand auf der Grünanlage. Immer mehr Dealer sind es geworden – die
meisten von ihnen Flüchtlinge ohne Arbeitserlaubnis –, und immer mehr
Touristen zog es auf der Suche nach Haschisch in den Park, der bereits im
„Lonely Planet“ verzeichnet ist. Hinzu kam, dass obwohl der „Görli“ bi…
nur für Cannabis-Handel bekannt war, im Frühjahr ein Kind beim Spielen
eingerollte Kokaintütchen gefunden haben soll.
Rainer Schmidt, der selbst in Charlottenburg wohnt, kann das Unbehagen der
Anwohner ganz gut nachvollziehen: „Viele Leute wollen den Ort, den sie
eigentlich als Heimat betrachten, nicht mehr begehen, sie trauen sich nicht
mehr durch den Görli.“ Das habe etwas mit den Ausmaßen zu tun, die das
Geschehen im Park angenommen habe, der Umlauf harter Drogen, die Gewalt und
kriminelle Energie – da merke selbst der sonst so tolerante und alternative
Kreuzberger, dass das so nicht weitergehen könne.
Aber bewirken die Razzien auf der Grünanlage nicht lediglich, dass die
Dealer weiterziehen, an eine andere Ecke der Stadt? „Man kann es ja
niemandem vorwerfen, wenn er ein Problem vor seiner Haustür hat und ihm
keiner hilft, dass sein erstes Ziel ist, es nicht mehr vor der eigenen
Haustür zu haben. Das ist jetzt nicht nett, aber durchaus nachvollziehbar.“
## Jahrelang Hanf angebaut
An seinem mittlerweile dritten Roman „Cannabis GmbH“ fing Schmidt vor rund
eineinhalb Jahren an zu schreiben. Als Inspiration für den Plot diente ihm
die Begegnung mit einem Hamburger Familienvater, der jahrelang im großen
Stil ökologisch reines Hanf anbaute, seine Ernte an einen Hauptabnehmer
verkaufte und schließlich dafür ins Gefängnis wanderte.
Für Letzteres hat der Autor keinerlei Verständnis: „Cannabis ist die meist
konsumierte illegale Droge in Deutschland. Wir sprechen hier von Millionen
Konsumenten. Durch die Kriminalisierung von Cannabisanbau und -konsum
werden zig Leben zerstört. Und das ist ein Problem, das gelöst werden
muss.“ Über hunderttausend Verfahren gäbe es in Deutschland jedes Jahr.
Viele würden zwar fallen gelassen, doch sei man einmal in der Datei, werde
man nicht wieder gelöscht. Eine klare Stigmatisierung, in der Schmidt eine
ideologische Dimension erkennt, eine „Verteuflungspolitik“, die schon
jahrzehntelang währe aber nirgendwo hinführe.
„Würden wir uns jetzt hier im Park etwas kaufen, wüssten wir gar nicht, was
da drin ist. Da kann Haarspray drin sein, Talkum, oder Flüssigplastik.
Alles, was das Gras schwerer macht. Und dann gehen wir nach Hause, rollen
uns einen und kriegen Kopfschmerzen davon. Bei wem wollen wir uns denn
beschweren?“, fragt der Nichtkiffer – natürlich rhetorisch. Um den
Millionen Konsumenten Zugang zu qualitativ hochwertigem Gras zu verschaffen
und gleichzeitig den Schwarzmarkt mit all seinen unangenehmen
Nebenwirkungen zu begrenzen, sieht Schmidt langfristig nur eine Lösung:
Eine staatlich kontrollierte, lizensierte Abgabestelle, so wie es das
kontrovers diskutierte Modellprojekt des Bezirks Kreuzberg-Friedrichshain
vorsieht. Ein Coffeeshop, also, mitten in Berlin. Wie aussichtsreich ist
das?
## Kiffer. nicht Verbrecher
„Im Betäubungsmittelgesetz“, so Schmidt, „gibt es Ausnahmegenehmigungen …
die Abgabe von Betäubungsmitteln, wenn es denn wissenschaftliche oder
öffentliche Interessenlagen gibt, die dies rechtfertigen.“ Um diese
Ausnahmegenehmigung bemühten sich derzeit nicht nur der Berliner Bezirk,
sondern auch Modellprojekte in Frankfurt und Hamburg. „Unter der jetzigen
Regierung glauben viele, dass es nicht so wahrscheinlich ist, eine
Genehmigung zu bekommen. Aber trotzdem versuchen sie es ernsthaft, um zu
sehen, womit es abgelehnt wird.“ Wenn der Dialog erstmal da sei, sagt
Schmidt, könne man über Einzelheiten noch diskutieren.
Im Zuge seiner Buchpromo hat Rainer Schmidt in den vergangenen Wochen das
Cannabis-Thema für so viele Medien rauf- und runtergebetet, dass seine
Argumentation äußerst schlüssig und überzeugend wirkt. Vor allem aber wird
deutlich, dass es ihm um den Schutz der Konsumenten geht. Und zwar nicht
des psychotischen Jugendlichen, der seine gesamte Freizeit über der Bong
hängt, sondern der unzähligen Erwachsenen, die „damit klarkommen“, „zur
Entspannung“ kiffen, daran „Spaß haben“. Die ganz normalen Leute also, d…
ihr Feierabendbier lieber gegen einen -joint tauschen wollen – ohne sich
deswegen gleich zum Verbrecher zu machen.
Von einem „Glücksunternehmen“ ist in Schmidts Roman immer wieder die Rede.
Der Protagonist, ein Hanf-Anbauer namens „Dude“, ist überzeugt, dass er mit
seiner Tätigkeit die Menschen glücklich macht. Wirkt dieses
Glücksversprechen angesichts der aktuellen Lage um die dealenden
Flüchtlinge im Görlitzer Park nicht geradezu absurd? „Ich bin froh, dass
ich nicht Bürgermeister bin“, sagt Rainer Schmidt und lacht. „Ich glaube,
der arme Bezirk kann diese ganzen Probleme gar nicht lösen. Die müssen
teilweise ausbaden, was an anderer Stelle schief läuft.“
## Das andere Görli-Problem
Schmidts Romanheld Dude hätte sich in der Realität mit der Szene am Görli
nie abgegeben. Vielmehr könnte er einer der empörten Anwohner sein.
Schließlich ist er quasi ein mittelständischer Unternehmer, der sehr gern –
so steht es schon im Vorwort – Steuern abgeführt hätte; und eben nicht ein
Gambier, der vor den undemokratischen Verhältnissen seiner Heimat geflohen
ist, um die eisigen Wintertage in Berlin „Psst, Bob Marley“-zischend auf
Parkbänken zu verbringen.
Die Nachfrage nach dem Cannabis ist dennoch in beiden Fällen ähnlich
motiviert: Die Leute gehen Gras kaufen, weil sie sich einen schönen Abend
machen wollen. Und wie schön er letztlich wird, das hängt von der Qualität
des Stoffes ab. „Wenn man die Wahl hätte, würde man natürlich eher in ein
lizensiertes Fachgeschäft gehen, das bestimmte Auflagen erfüllen muss, als
an die nächste Straßenecke“, sagt Rainer Schmidt und zuckt mit den
Schultern.
Doch das Görli-Problem ist nicht allein der Drogenhandel. Welchen Einfluss
hätte die Eröffnung eines Coffeeshops wohl auf den offensichtlichen
Konflikt mit den Flüchtlingen?
Diese Frage kann derzeit weder Rainer Schmidt noch sonst irgendwer
beantworten, denn noch ist der Kreuzberger Coffeeshop nicht mehr als
Utopie. Doch, dass der Bezirk sich für die Drogenpolitik verantwortlich
fühlen soll, nicht aber für den Umgang mit Flüchtlingen, das ist eine sehr
aktuelle, und nicht ungefährliche These.
20 Dec 2014
## AUTOREN
Fatma Aydemir
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