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# taz.de -- Görlitzer Park in Berlin: Macht den Park zu!
> Für den Görlitzer Park im Berliner Stadtteil Kreuzberg-Friedrichshain
> gibt es eine Lösung: Man muss ihn wieder schließen und verwildern lassen.
Bild: Wär doch schön, wenn's so auch im Görli grünte: Urwald bei Kassel.
Ein Park in Berlin macht Schlagzeilen. Mit Drogen, Selbstjustiz,
Kriminalität – dunkelstes Kreuzberg im Görlitzer Park, wo es doch hell,
grün, lichtdurchflutet gedacht war. Wenn auf Spiegel Online, in der ARD, im
ZDF oder sonst wo über diesen Park berichtet wird, erklären Moderatoren im
Wochenschauduktus, dass dort der schlimmste Drogenumschlagsplatz in Berlin
sei, dass Schwarze en masse Drogen handeln – „Hello, you all right?“ –,
dass sie Drogen bunkern, auch im Sand auf dem Spielplatz.
Political Correctness? Vergiss sie. Schwarz, Flüchtling und Drogendealer
sind drei Schablonen, die übereinandergelegt ein Ganzes ergeben. Besonders
begehrt in der Berichterstattung: Passanten, die die Drogendealer
„Schwatten“ nennen. Glaubt man Onlinelexika, sei das „nicht allzu
rassistisch“.
Jedes Nachrichtenportal hat seine eigene Theorie, was die Probleme im
Görlitzer Park angeht. Verfehlte Drogenpolitik. Verfehlte Kommunalpolitik.
Verfehlte Asylpolitik. „Der Schwarze Peter wird weitergereicht“, heißt es
ganz unbedarft bei Kontraste. Mit verfehlter Parkpolitik geht es weiter.
Mit verfehlter Sicherheitspolitik. Zu wenig Polizei für durchschnittlich
200 Dealer am Tag, zu wenig Law and Order. Zu lange hätte man zugesehen.
Vor allen Dingen: Der Görlitzer Park sei das Paradebeispiel für nicht
aufgegangene linke Träume. Was um Himmels willen ist an einem Park linke
Träumerei?
Einst war der Görlitzer Park ein Bahnhofsgelände. Berlin hatte wie Paris
viele Kopfbahnhöfe für Ziele in alle Himmelsrichtungen. Am Görlitzer
Bahnhof, der 1866 vom Preußischen König feierlich eingeweiht wurde, kamen
die Züge aus dem Südosten Brandenburgs und Sachsens an. Als Umschlagplatz
für Kohle aus der Lausitz, für Baumaterialien, für alle möglichen
Rohstoffe, die eine Großstadt braucht, war er wichtig.
## Eine DDR-Exklave in Kreuzberg
Nach dem Krieg blieb das Gelände im Besitz der Reichsbahn, der Staatsbahn
der DDR. Bereits 1959 schlug der damalige Kreuzberger Bürgermeister vor,
daraus einen Park zu machen, da der Bahnhof nicht mehr gebraucht werde. Mit
dem Bau der Berliner Mauer verkomplizierte sich die Sache: Das Gelände
gehörte weiterhin der Reichsbahn, lag aber auf Westberliner Gebiet. Die
Backsteinmauern, die damals das Bahnareal eingrenzten und die bis heute
stehen, die vergitterten Tore machten die 14 Hektar zu einer umzäunten
DDR-Exklave.
Eigentlich war es verboten, auf das Gelände zu gehen, auf dem die
Bahnhofsgebäude nach und nach verfielen, auf dem Sand- und Steinberge lagen
und das zur Müllkippe verkam, denn Kreuzberger hievten gern mal ihren
Schrott über die Mauer. Wer sich durch die maroden Eisentore zwängte, kam
doch aufs Gelände. Man konnte Hügel mit Flusskieseln, mit Sand, mit
Bauschutt hochklettern, nach Braunkohle suchen, sich über die Birken
freuen, die sich durch den verseuchten Boden zwängten – die Natur, die
Natur. Auf den Kieselhügeln blühte im Frühjahr der Huflattich so gelb, so
schön, so verzeihend. Wildnis wohl? Es passte nicht zur Tristesse und
passte doch.
Erst in den 80er Jahren kam wieder Bewegung in die Parkidee, 1985 gab die
Reichsbahn das Gelände ab, trotzdem zog es sich hin, der Boden war
verseucht, erst 1996 war der Park fertig. Jeder nutzt ihn fortan nach
seinem Plan. Für Party, für Picknick, für Pause, in Reiseführern steht er,
„Görli“ genannt, Touristen besichtigen ihn – „Do you need something?“
Görli, Görli – für Leute ohne Umlauterfahrung wird daraus Girlie: ein Park
wie ein Mädchen. Unbeleckt? Unbefleckt? Alles phonetisches Missverständnis.
„Girlie“ kann sich merken, wer es als Flüchtling nach Berlin schafft. Den
Pass wegwerfen, Asyl sagen, Girlie suchen – das muss wissen, wer hierher
flüchtet. Girlie, das Mädchen, das klingt nach Zukunft, nach Wärme, nach
Heimat.
## Das Karma des Görli
Es gibt Menschen, die brechen sich ständig die Knochen. Nenn es Karma,
Kismet, Schicksal. Vielleicht gibt es auch Orte, die in keine Form passen.
Einst war der Görlitzer Park das Köpenicker Feld, mit Acker, mit Wald, dann
kam der Bahnhof. Er hielt nicht lange. Danach war er Industriebrache mit
eigensinniger Vegetation. Das durfte nicht sein. Jetzt ist er Park, ein
unartiger, einer, der sich der Kultivierung entzieht. Warum? Darauf gibt es
viele Antworten. Alle sind richtig.
Am Görlitzer Park zeigt sich noch etwas: dass ein Park kein Ersatz für
Zukunftslosigkeit ist. Menschen ohne Perspektive, seien es Arbeitslose,
Obdachlose, Flüchtlinge dürfen ihre Tage im Park verbringen, aber es nützt
ihnen nichts. Ewig in den Himmel gucken? Und nach dem Leben hungern?
Am besten, der Park wird wieder geschlossen. Die Mauer steht noch. Die Tore
kann man neu verbarrikadieren. Macht den Park zu! Überlasst das Gelände,
wie schon einmal, sich selbst. Einen halb abgetragenen Trümmerberg gibt es
bereits: die Kopie des Pamukkales, eines Naturwunders in der Türkei, das in
den Park gestellt wurde, damit sich die türkischstämmigen MigrantInnen wie
zu Hause fühlen sollen. Verwendet wurde Stein, der nicht frostresistent war
und im ersten Winter schon anfing zu bröseln. Bald könnte Huflattich darauf
wachsen.
In ein paar Jahren, wenn Flüchtlinge endlich arbeiten dürfen, wenn Arbeit
gerecht verteilt ist, jeder ein Recht auf Obdach hat, kann man die Tore zum
Park wieder öffnen. Schon möglich, dass die Natur einen dann etwas lehren
kann. Was? Harmonie im Wildwuchs. Ein Wunder also? Vielleicht.
7 Dec 2014
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Görlitzer Park
Urwald
Stadtentwicklung
Görlitzer Park
Flüchtlinge
Naturschutz
Drogenhandel
Görlitzer Park
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