# taz.de -- Islamischer Staat: „Dschihadisten sind pragmatisch“ | |
> Behnam T. Said, Verfassungsschützer und Buchautor, über die militärische | |
> und propagandistische Strategie der Terrorgruppe IS. | |
Bild: Beobachter an der türkisch-syrischen Grenze nahe Kobani | |
taz: Herr Said, Sie sind Islamwissenschaftler und arbeiten als Referent | |
beim Hamburger Verfassungsschutz. Sie schreiben an einer Promotion und | |
haben gerade das Buch „Islamischer Staat“ veröffentlicht. Schlafen Sie | |
noch? | |
Behnam Said: Schlaf ist tatsächlich zuletzt ein bisschen zu kurz gekommen. | |
Aber es war halt auch sehr aufregend seit dem Arabischen Frühling 2011. Die | |
vielen neuen Entwicklungen in der arabischen Welt, und jetzt natürlich das | |
Erstarken der dschihadistischen Bewegung in Irak und Syrien. | |
Dort scheint der Islamische Staat (IS) aber derzeit Schwierigkeiten zu | |
bekommen, sein Einflussgebiet weiter auszudehnen? | |
Es scheint tatsächlich eine Überdehnung zu geben. Im Irak musste der IS | |
zuletzt einige Gebietsverluste und Niederlagen hinnehmen, insbesondere beim | |
Kampf um die wichtige Ölraffinerie in Baidschi. Der IS ist zwar die erste | |
dschihadistiche Gruppe, die zu taktischen Rückzügen fähig ist. Aber | |
irgendwann muss er auch beweisen, erobertes Terrain halten und | |
kontrollieren zu können. Beim Angriff auf die kurdische Stadt Kobani hat er | |
sich vermutlich überschätzt. | |
Warum hat der IS überhaupt die Kurden angegriffen? | |
Die offizielle Begründung des IS lautet, sie hätten sich mit Assad | |
verbündet und von Kobani aus den IS angegriffen. | |
Hat der IS bündnispolitisch noch eine Option? | |
Nein. Ein großer Schwachpunkt des IS ist sein Sektierertum. Er macht sich | |
sämtliche anderen Gruppen des Widerstands zu Feinden, die Freie Syrische | |
Armee, das Bündnis Islamische Front oder die al-Qaida nahestehende | |
Al-Nusra-Front. Denkbar wäre höchstens ein Waffenstillstandsabkommen mit | |
einzelnen Gruppen. | |
Die salafistischen Gruppen sind untereinander verfeindet. Geeint sind sie | |
aber in ihrer Feindschaft zum schiitischen Iran. Welche Strategie verfolgt | |
der Iran in der Region? | |
Er versucht seinen Einflussbereich, der sich über Syrien bis zum Libanon | |
erstreckt, zu erhalten und auszuweiten. Die Mullahs in Teheran unterstützen | |
das Regime Assads in Syrien, obwohl es für eine Mischung aus | |
Staatssozialismus und Panarabismus steht. Der Iran unterstützt die | |
schiitische Hisbollah im Libanon, die sich auch aufseiten Assads an den | |
Kämpfen in Syrien beteiligt. Ebenso unterstützt und beeinflusst der Iran im | |
Nachbarstaat Irak die verschiedenen schiitischen Kräfte. | |
Die Fronten sind häufig sehr unübersichtlich, dort despotische Regime, hier | |
demokratische Bewegungen und da die Islamisten. | |
Der Konflikt in Syrien ist vor allem auch ein regionaler | |
Stellvertreterkrieg. Die konservativen Golfstaaten und der Iran fechten | |
ihren Kampf auf syrischem Boden aus. Saudi-Arabien und Katar haben jeweils | |
Schützlinge unter den Milizen. Aus beiden Ländern heraus wird die | |
Islamische Front, in der auch salafistische Kampfverbände vertreten sind, | |
unterstützt. | |
Was wünschen sich die Menschen, die mehrheitlich gegen die alten Regime | |
sind? Was macht die Attraktion eines Terrorstaats à la IS aus? | |
Da hat sich der Arabische Frühling in sein Gegenteil verkehrt. Ein | |
wichtiger Faktor für die Anziehungskraft des IS scheint militärischer | |
Erfolg zu sein. Viele in der arabischen Welt assoziieren einen islamischen | |
Staat mit Begriffen wie Gerechtigkeit, Stabilität, Wohlstand. Dinge, die | |
sich die Leute im Arabischen Frühling erhofft haben, und die sich nicht | |
eingestellt haben. Tunesien zum Beispiel, das eine enorm hohe | |
Arbeitslosenquote hat, stellt eines der größten Kontingente ausländischer | |
Kämpfer für den IS. | |
Für die Rekrutierung hat der IS sich auch auf modernes Teufelszeug und | |
Propaganda im Internet eingelassen. Dabei spielen Naschids, religiöse | |
Kampflieder, eine große Rolle. Die klingen teils wie arabischer Pop, teils | |
wie arabesker Rap. Ganz schön weltlich, oder? | |
Naschids stammen ursprünglich aus der sufistischen Tradition, wo sie Teil | |
des religiösen Ritus sind. In den 70ern wurden sie von der | |
sunnitisch-islamistischen Bewegung in Syrien als Mobilisierungsmittel | |
entdeckt und politisiert. Es gab aus dem puristischen salafistischen Lager | |
immer Kritik an diesen Liedern. Sie würden vom Koranstudium ablenken, auch | |
gebe es keine Begründung für diese Lieder in den Ursprüngen der Religion. | |
Aber die Dschihadisten sind sehr pragmatisch. Sie haben die Lieder quasi | |
islamisch korrekt gestaltet, ohne Instrumente, nur mit A-cappella-Gesang | |
und natürlich mit entsprechenden Botschaften. | |
Wieso sind die Propagandavideos des IS so martialisch? Wären pastorale | |
Friedensbilder nicht überzeugender? | |
Solche Videos und Bilder gibt es. Sie richten sich hauptsächlich an das | |
arabische Publikum, insbesondere im Irak und in Syrien. Um die Stabilität | |
des Islamischen Staats zu vermitteln, ist da zu sehen, wie mit dem | |
Wasserschlauch aus Feuerwehrwagen die Straßen gesäubert werden, wie | |
elektrische Leitungen per Kranwagen mit großem IS-Logo instand gesetzt oder | |
Schulen errichtet werden. Die Message „Wir sorgen für euch“ wird durchaus | |
gesendet. Die abgeschnittenen Köpfe hingegen sollen unter anderem Verräter | |
abschrecken. Der IS geht massiv gegen tatsächliche und vermeintliche | |
Spitzel in ihren Reihen vor. Alle, die sich gegen den IS stellen, sollen | |
wissen, was ihnen blüht. | |
Verschont der IS Menschen, die konvertieren, sich zu seiner Auslegung des | |
Islam bekennen? | |
Feind ist jeder, der sich dem IS entgegenstellt, egal, ob er Schiit, Christ | |
oder Jeside ist. Die Lage sondiert die Miliz schon, bevor sie ein Gebiet | |
erobert, indem sie dort ein lokales Netzwerk aufbaut. In diversen Videos | |
sucht der IS außerdem zu dokumentieren, dass Andersgläubigen die | |
Möglichkeit gegeben wird zu konvertieren. Es gibt jedoch Berichte, dass | |
dies oft nur Täuschungen sind, um die Leute in Sicherheit zu wiegen. | |
Hinterher wurden sie doch umgebracht, deportiert oder versklavt. Selbst an | |
sunnitischen Stämmen wurden Massaker verübt. | |
Diejenigen, die sich der IS-Miliz anschließen, bekommen das doch mit? | |
Ja, das führt bei ausländischen Kämpfern zu Enttäuschungen. Sie haben | |
gedacht, sie beteiligen sich am Aufbau eines islamischen Staatswesen. Und | |
dann sehen sie Muslime gegen Muslime kämpfen. Nicht wenige kehren deshalb | |
desillusioniert zurück. | |
Gesetzt, dem IS geht die Luft aus. Lässt sich sagen, dass die Schwäche der | |
demokratischen Opposition nur eine militärische ist? | |
Da es keine demokratische Wahlen gibt, kann man über Mehrheiten nur | |
spekulieren. Die Radikalisierung und Militarisierung in Syrien hat damit | |
zutun, dass Assad, als die Proteste begannen, nicht bereit war, auf die | |
Leute zuzugehen. Jetzt werden die demokratischen, aber auch moderaten | |
religiösen Kräfte zerdrückt zwischen Assad und den dschihadistischen | |
Milizen. Teilweise bekommen sie Unterstützung von den USA, etwa die | |
Hazzm-Bewegung. Eine Koordination der Gruppen gibt es nur vereinzelt. Der | |
Trend zur Fraktionierung hält an. | |
Ist Unterstützung von außen sinnvoll? | |
Die zivilgesellschaftlichen Kräfte könnten mehr Unterstützung gebrauchen, | |
sowohl auf dem von Assad kontrollierten Gebiet als auch auf dem des IS, wie | |
in Rakka, wo es noch ein vernehmbares Aktivistennetzwerk gibt. Was | |
militärische Unterstützung angeht, muss man sich anhören, was die dortigen | |
Akteure wünschen. Die Freie Syrische Armee beispielsweise fordert | |
Absprachen über die Luftschläge, um deren Effektivität zu steigern. | |
Apropos Luftschläge. Warum würde der IS die USA gerne zum Einsatz von | |
Bodentruppen drängen? | |
Die Bombardierungen durch die US-Luftwaffe setzen ihm offensichtlich zu. | |
Aus dem Irakkrieg meint der IS die Lehre gezogen zu haben, wenn man Bilder | |
von getöteten Soldaten produzieren kann, ließe sich die Moral der | |
US-Bevölkerung schwächen. Sie sagen: Wir haben die USA schon mal | |
rausgedrängt, und wir werden es wieder tun. | |
Rausgedrängt? | |
So ist die Interpretation. | |
Sie machen in Ihrem Buch den Irakkrieg für die Ausbreitung des | |
Dschihadismus verantwortlich. Aber hat nicht der Arabische Frühling | |
gezeigt, dass es auch so dazu kommen kann, dass sich radikale Islamisten | |
breitmachen? | |
Ohne Gesellschaften, die für einen gewissen sozialen Ausgleich sorgen, die | |
politische Partizipation ermöglichen, werden wir Bewegungen wie al-Qaida | |
oder den IS immer wieder sehen. Gewalttätige nichtstaatliche Akteure | |
entstehen hauptsächlich in Staaten, die autoritär gelenkt werden. | |
19 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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