# taz.de -- Streit um Punks in Oldenburg: Spießer unter sich | |
> Punks neben Kleingärtnern, kann das gutgehen? In Oldenburg soll das jetzt | |
> klappen. Beide Gruppen sind sich ziemlich ähnlich. | |
Bild: Für die Kleingärtner ist das viel zu viel Punk. Dabei ist das geordnete… | |
OLDENBURG taz | Nein, es wird kein versöhnlicher Abend, keine | |
Weihnachtsgeschichte, die jetzt so gut passen würde. Zu fest hängen die | |
Bilder, die die einen von den anderen haben, zu bedroht erscheint ein | |
Lebensmodell, das im Kern nicht darauf beruht, ein davon abweichendes zu | |
akzeptieren. | |
Mag sein, dass diese andere Lebensart ab und zu mal wirklich stört, weil | |
einige laute Punkmusiker zum Konzert kommen und Töne herüberwehen in die | |
Gärten und Häuschen. Doch es scheint viel eher so zu sein, dass sie schon | |
deshalb bedrohlich wirkt, weil sie anders ist. Es ist doch eh schon alles | |
so unsicher, ins Wanken geraten, fremd geworden. | |
Oldenburg ist der Schauplatz der Geschichte, im Nordwesten Niedersachsens. | |
Eine homogene Stadt, gesellschaftliche Mitte mit Tendenz zur Spießigkeit, | |
viele Einfamilienhäuser mit Garten. Und Zäunen. Vielleicht schlägt diese | |
Wohnform aufs Gemüt, wobei sich diese Geschichte überall zutragen könnte. | |
Sie ist eine Art Parabel für die gesellschaftlichen Zustände, wie wir sie | |
gerade erleben, für die diffuse Angst vor dem anderen, diese Angst von | |
Pegida und Dügida und wie sie sich alle nennen. | |
In Oldenburg, Stadtteil Osternburg, könnte die Bewegung Osgedap heißen, | |
Osternburger gegen die Ansiedlung von Punks. Der Stadtteil ist das alte | |
Arbeiterviertel, früher war da mal eine Glashütte, heute ist Ikea nicht | |
weit. Nur sind es hier nicht Muslime, die die Kultur des Abendlandes | |
bedrohen, sondern Punks. | |
## Ein Schlichtungsgespräch für alle | |
Oldenburgs Punks, ungefähr zehn, sie halten sich seit 15 Jahren auf einer | |
Fläche am Hafen auf, haben da einige Bauwagen stehen und, äh, ja was | |
eigentlich sonst noch? Weiß keiner, noch nicht mal die Existenz dieses | |
Platzes war bekannt. | |
Jetzt soll ein Hafenbecken gebaut werden, die Punks brauchen einen neuen | |
Platz, die Stadt will ihnen eine Wiese am Rand von Osternburg geben, | |
zwischen der Bahnlinie nach Bremen und einem Kanal. Ein paar Büsche stehen | |
da, es ist ein bisschen weiter weg als jetzt, aber die Punks sind | |
zufrieden. | |
Nur die Anwohner nicht, und nicht die Kleingärtner der „Gartenfreunde | |
Osternburg“. Sie haben ihre Anlage direkt neben der Wiese und sind in | |
Aufruhr. Sie fürchten, die Punks klauen ihren Strom, latschen durch ihre | |
Gärten. Machen Müll und Lärm. | |
Es soll ein Schlichtungsgespräch sein an diesem Abend im späten November. | |
Es sieht nach Versöhnung aus, ein Hauch von Camp David durchweht das | |
Gemeindehaus „Arche“ am Steenkenweg 7. Zum „Runden Tisch“ hat Pfarrer | |
Holger Rauer von der evangelischen Gemeinde geladen. Die Kontrahenten | |
sitzen unter einem bunten Wandbehang, „Dürsten nach Gerechtigkeit“ heißt | |
das Bild darauf. | |
## Punks wollen Stille | |
Gerechtigkeit, so sieht es nach anderthalb Stunden im geklinkerten | |
Gemeindesaal unter gläsernen Ballonlampen aus, kann es nicht geben. Wie | |
auch? | |
Pfarrer Rauer lässt jeden seine Position darlegen, duldet keine Widerrede, | |
will, dass alle zu Wort kommen. Unterbrecher stoppt er mit sonorer Stimme. | |
Da sitzen, rechts neben ihm, Raffi und Christina, die für die Punks | |
sprechen. Raffi trägt, was Punks so tragen, Lederjacke mit Botschaften | |
darauf, Haare zum Iro gestylt. Einer, der höflich redet – aber das legen | |
sie, die links vom Pfarrer sitzen, ihm als Show aus. Der sei ja gar nicht | |
so, vor allem nicht mehr, wenn seine Freunde dabei sind. | |
Christina kommt vom Bauernhof, sieht nur ein bisschen punkig aus mit | |
Piercings, und meldet sich als Erste zu Wort: Sie müsse sich entschuldigen, | |
könne sein, dass ihr Handy mal klingele, ihr Auto sei in der Werkstatt, der | |
Monteur wolle noch anrufen. Irgendwie bezeichnend, dass dann das Handy | |
eines Kleingärtners laut klingelt, dass er drangeht und erst mal | |
telefoniert. Lektion eins: Kleingärtner haben weniger Benehmen als Punks. | |
## Spießige Punks, rebellische Kleingärtner | |
Die Kleingärtner also links vom Pfarrer. Wie Kleingärtner aussehen? Nicht | |
wie Punks, insoweit stimmen die Bilder. Aber dann sind es die Punks, die | |
spießig wirken, und die Kleingärtner die, die sich quer stellen. Wäre das | |
hier Gorleben, würden sie sich ans Gleis ketten. | |
Rauer sagt unbefangen: „Ihr lebt euer Leben anders“ – da runzelt eine Frau | |
mit Goldstegbrille, sie wohnt in der Nähe des Platzes, das erste Mal die | |
Stirn –, „beschreibt das doch mal“. | |
Raffi: „Wir pflegen eine Kultur der Gemeinschaft, kochen zusammen, spielen | |
Brettspiele, tauschen uns über Probleme aus.“ Ersetze „kochen“ durch | |
„grillen“, „Brettspiele“ durch „Skat“, „Probleme“ durch „Unkr… | |
hätte sich auch der Kleingärtner gegenüber gut umschrieben gefühlt. | |
Die, nun ja, geistige Nähe, die nur minimal unterschiedliche Ausgestaltung | |
eines geselligen Beisammenseins nach Feierabend und am Wochenende, wollen | |
die Kleingärtner aber nicht erkennen. Sie haben Fragen. Dietmar Sperling, | |
der Schriftführer des Vereins, will wissen, welche anderen Plätze die Punks | |
„begutachtet“ hätten. Der Subtext ist: Geht woanders hin. | |
## Kleingärtner schreiten ein | |
Christina meldet sich. Sie habe den Platz vorgeschlagen, kenne ihn, weil | |
sie dort ihre Schafe weiden lasse. Da sei es „super idyllisch. Es ist | |
einfach ein schönes Plätzchen“, ruhiger als der jetzige Platz, wo ein | |
Schrotthändler lärmt und die alte Eisenbahnbrücke quietscht, wenn sie zur | |
Durchfahrt von Schiffen hochgekurbelt wird. Lektion zwei: Auch Punks wollen | |
ihre Ruhe. Alternativen? Eine Wiese neben der Sammelstelle für gelbe Säcke | |
– „da stank es, da werden Ratten ohne Ende sein – wer will da schon leben… | |
Lektion drei: Punks mögen keine Ratten. | |
Nächste Frage. „Inwieweit ist die Gefahr vorhanden, dass bei Feiern ihre | |
Gäste durch unsere Anlage gehen?“ Gering, die Punks wollen selbst einen | |
Zaun um ihren Platz, dann hätten Besucher keinen Zugang zu den Gärten. | |
Raffi sagt: „Wir wollen Ihre Privatsphäre schützen, das ist Ihr | |
Vereinsgelände.“ Sperling sagt: „Viele unserer Leute sehen die Gefahr | |
darin, dass hier zwei ganz unterschiedliche Kulturen zusammenkommen. | |
Wir können unsere Leute dann nicht mehr zurückhalten, einer ruft die | |
Polizei und wir haben die erste Konfrontation.“ Und: „Einige haben auch | |
gesagt, sie würden selbst tätig werden.“ Lektion vier: Kleingärtner neigen | |
zur Selbstjustiz. Die Punks sollten wirklich einen Zaun bauen. | |
Es ist ein Abend der leerlaufenden Angriffsversuche aus dem | |
Kleingartenmilieu. Die Punks wollen sich sogar an Ruhezeiten halten, damit | |
die Kleingärtner sich weiter wohl fühlen zwischen ihren Hecken und Beeten. | |
Punks achten Ruhezeiten, Lektion fünf. Als Christina das sagt, wäre es der | |
Moment für den historischen Handschlag, aber es ist das Signal für die Frau | |
mit der Goldstegbrille, die die ganze Zeit kopfschüttelnd, stirnrunzelnd, | |
Hände vor die Augen legend dagesessen hat. | |
## Zum Glück nicht Helene Fischer | |
„Hat sich mal jemand auf YouTube die Konzerte der Punker angekuckt“, fragt | |
sie. Das sei ein Gegröle, „nur Krach“. Ein Unding, denen neben den | |
Kleingärtnern einen Platz zu geben. Es ist der letzte Versuch, das | |
Eindringen der Punks in ihre Welt abzuwenden. Sie sagt: „Was ihr hört, ist | |
nicht Helene Fischer.“ Ruft einer aus dem Publikum, kein Punk: „Zum Glück | |
nicht.“ | |
Da ist klar: Die Punks haben gewonnen, doch es ist kein Sieg. Still gehen | |
Raffi und Christina in den Abend, die Frau, die sich so echauffierte, | |
pöbelt weiter. Was sie sagt, deutet darauf hin, dass die Punks sich dort | |
wirklich nicht wohlfühlen werden. „Die kriegen Zucker in den Arsch | |
geblasen.“ Es hätte andere Plätze gegeben, in Krusenbusch, auch am | |
Stadtrand. „Aber da ist eine Russensiedlung, da dürfen sie keinen Lärm | |
machen, sonst kriegen sie gleich eins auf die Schnauze.“ | |
Sie wird es sich eine Weile anschauen. „Wenn es gar nicht geht, wird | |
Strafanzeige gestellt. Reden bringt nichts.“ Dann schwingt sie sich auf ihr | |
Fahrrad und fährt nach Hause. Morgen lässt sie Winterreifen aufs Auto | |
ziehen. | |
20 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
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