| # taz.de -- Kolumne Afrobeat: Im Schlangennest | |
| > UN-Einsätze konnten kaum etwas gegen Milizen bewirken. Politiker lassen | |
| > sich keine Agenda diktieren, sondern nutzen die militärische Hilfe für | |
| > ihre Zwecke. | |
| Bild: Tschadische Truppen werden in Niger von US-Soldaten trainiert. | |
| Vor einem Jahr schien es, als hätten die Vereinten Nationen endlich das | |
| Geheimrezept gegen Warlords in Afrika gefunden. Eine offensive | |
| UN-Kampftruppe mit Scharfschützen und Hubschraubern, begleitet von | |
| Spezialeinheiten der kongolesischen Armee, besiegte in nur wenigen Wochen | |
| die stärkste Rebellenbewegung der Demokratischen Republik Kongo: die M23 | |
| (Bewegung des 23. März), geführt von hartgesottenen Bürgerkriegsveteranen. | |
| Die Tutsi-Krieger, die ein Jahr zuvor triumphal in die ostkongolesische | |
| Millionenstadt Goma einmarschiert waren, zogen sich geschlagen über die | |
| Berge nach Uganda zurück. Martin Kobler, der deutsche Chef der UN-Mission | |
| im Kongo (Monusco), ließ sich mit seiner „Force Intervention Brigade“ (FIB) | |
| als Held einer neuen Form des robusten Peacekeepings feiern. | |
| Heute gibt es so viele internationale Eingreiftruppen in Afrika wie nie | |
| seit Ende der Kolonialzeit: neun UN-Blauhelmmissionen mit über 84.000 | |
| Uniformierten, dazu rund 9.000 Franzosen und bis zu 6.000 US-Amerikaner in | |
| eigener Mission, und das war noch vor den Ebola-Einsätzen in Westafrika. | |
| Dazu kommt die afrikanische Eingreiftruppe „Amisom“ in Somalia mit weiteren | |
| 22.000 Mann. | |
| Der UN-Siegeszug im Kongo Ende 2013 folgte auf einen noch robusteren | |
| Kampfeinsatz Frankreichs gegen Islamisten in Mali Anfang 2013. Im Laufe des | |
| Jahres 2014 hätte das Modell stehen können – so in der Zentralafrikanischen | |
| Republik, als dort fast alle Muslime von Milizen verjagt oder ermordet | |
| wurden. | |
| Auch im Kongo selbst war der Sieg über die M23 keineswegs als Abschluss der | |
| UN-Offensivtätigkeit gedacht, sondern als ihr Auftakt: Alle 54 im Ostkongo | |
| identifizierten bewaffneten Gruppen sollten die Waffen strecken, allen | |
| voran die gefürchtete ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur | |
| Befreiung Ruandas), Nachfolgeorganisation der Völkermordtäter in Ruanda | |
| 1994. Das regionale Gleichgewicht im Afrika der Großen Seen ließ es als | |
| zwingend erscheinen, nach der stärksten Tutsi-Rebellengruppe auch die | |
| stärkste Hutu-Miliz zu „neutralisieren“, wie es in UN-Resolutionen so sch�… | |
| heißt. | |
| Auf dem Papier funktioniert das. In der Zentralafrikanischen Republik steht | |
| jetzt eine große UN-Truppe. Am 2. Januar 2015 läuft ein UN-Ultimatum an die | |
| FDLR im Kongo ab, die Waffen niederzulegen oder mit UN-Militärschlägen dazu | |
| gezwungen zu werden. Wird 2015 also das Jahr, in dem das gigantische | |
| internationale Truppenarsenal in Afrika endgültig Kriegsverbrecher in die | |
| Schranken weist? | |
| ## Staaten neutralisieren UN | |
| An dringenden Zielen fehlt es ja nicht, von Boko Haram in Nigeria bis zu | |
| al-Shabaab in Somalia und Kenia. Ganze Heerscharen von Strategen und | |
| Spezialkräften warten auf ihren Einsatz. Aber dort, wo Einsätze bereits | |
| anlaufen, geschieht nichts. Die UN-Soldaten in Zentralafrika tun nichts | |
| gegen Milizen. Und wenn im Kongo das FDLR-Ultimatum am 2. Januar abläuft, | |
| werden die meisten UN-Verantwortlichen sich noch im Weihnachtsurlaub | |
| befinden. | |
| Derweil geben sich die Blauhelme im Kongo machtlos gegen eine Serie von | |
| Massakern, die um die Stadt Beni im Ostkongo mehrere hundert Tote gefordert | |
| haben. Die Bevölkerung macht dafür Teile des eigenen Militärs | |
| verantwortlich. Damit sind der UN-Interventionsbrigade die Hände gebunden: | |
| Sie operiert nämlich nur gemeinsam mit Kongos Armee, obwohl es in ihrem | |
| Mandat anders steht. | |
| Nach dem UN-Geheimrezept gegen Warlords im Kongo 2013 hat Kongos Staat 2014 | |
| offenbar ein Geheimrezept gegen die UNO gefunden: Man chaotisiert die | |
| eigene Truppe so sehr, dass die UN-Kräfte ohne Partner dastehen, und schon | |
| sind sie als erste „neutralisiert“. Kongos Regierung hat überdies wenig | |
| Interesse an einer Schwächung der FDLR, weil sie mit der Regierung Ruandas | |
| im Clinch liegt. Ähnlich vertrackte Konstellationen gibt es in allen | |
| anderen Krisengebieten. | |
| Afrika ist eben kein Kontinent in Bittstellung, der sehnsüchtig darauf | |
| wartet, dass fremde Truppen vom Himmel fallen und Sicherheit schenken. Die | |
| afrikanische Politik ist ein Schlangennest von Interessenkonflikten, in | |
| denen skrupellose Akteure auch Terrorgruppen instrumentalisieren, ohne | |
| Rücksicht auf zivile Opfer. Internationale Truppen sind da manchmal als | |
| Verstärkung willkommen, aber man lässt sich von ihnen keineswegs die Agenda | |
| diktieren. | |
| Den beiden größten UN-Missionen in Afrika, im Kongo und in Sudans Region | |
| Darfur, droht sogar das vorzeitige Aus. Beide Präsidenten, Joseph Kabila | |
| und Omar Hassan al-Bashir, fordern den Abzug der Blauhelme aus ihren | |
| Ländern, beide Mission bereiten sich innerlich bereits darauf vor. | |
| ## Das neue Interventionsrezept | |
| An die Stelle großer UN-Truppen sollen, so hat es die Afrikanische Union | |
| (AU) beschlossen, eine ständige afrikanische Eingreiftruppe treten, mit | |
| regionalen Brigaden zum flexiblen Feuerwehreinsatz. Im ersten Halbjahr 2015 | |
| wird diese „Interventionskapazität“ von Uganda geleitet, danach von | |
| Südafrika. Südafrikas Präsident Jacob Zuma befindet sich dieser Tage auf | |
| Besuch bei Ugandas Präsident Yoweri Museveni – zwei Herrscher mit | |
| regionalen Machtambitionen. | |
| Der Aufbau afrikanischer Eingreiftruppen ist längst zur lukrativen | |
| Industrie geworden. Berater und Ausbilder aus Europa, auch aus der | |
| Bundeswehr, sind von Mali bis Somalia unterwegs, um desolate afrikanische | |
| Armeen zu reformieren, neu auszurüsten und neu aufzustellen – immer mit dem | |
| Ziel, sie als Ordnungskräfte einzusetzen, wenn irgendwo die Hütte brennt. | |
| Aber bringt das Frieden? | |
| Die Erfahrung lehrt, dass solche Interventionen der Ausplünderung des | |
| Gastlandes und der Korruption in den eigenen Reihen Tür und Tor öffnen | |
| können. Ganz zu schweigen davon, dass international auf Vordermann | |
| gebrachte afrikanische Armeen über kurz oder lang auf die Idee kommen | |
| können, auch im eigenen Land aufzuräumen, wie zuletzt in Burkina Faso. | |
| Das Wachstum großer internationaler Militärmissionen in Afrika bedeutete | |
| eine Militarisierung der internationalen Politik auf dem Kontinent. Nun | |
| folgt darauf die Militarisierung der afrikanischen Politik. | |
| 29 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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