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# taz.de -- Haarmode in Südafrika: „Ich liebe mein brasilianisches Haar“
> Afrikanische Haarstile haben unter Südafrikas schwarzen Frauen
> europäische Frisuren verdrängt. Als Zusatz gibt es importiertes Echthaar.
Bild: Mehr als nur eine Frisur: In Südafrika werden Haare zum politischen Stat…
JOHANNESBURG taz | Das knallige Pink an den Wänden macht Laune. Künstliche
Haarteile in modischen Farbschattierungen hängen an den Wänden. Eine
„soapie“ des französischen Fernsehens unterhält den ganzen Laden.
Willkommen im kleinen Haarsalon von Vicky Fobi in der Station Street in
Braamfontein – einem aufstrebenden Viertel in Johannesburg.
Mit ihrer wild gelockten Perücke mit blonden und roten Strähnchen setzt
Vicky den Trend in ihrem Geschäft. „Echtes Haar aus Brasilien ist total
angesagt“, lacht die junge Frau aus Kamerun und zieht mit ihren rosa
Fingernägeln an ihren Korkenzieherlöckchen. „Es hält viel länger als die
Haarteile aus Synthetik.“ Viele ihrer Kundinnen sparen über einen langen
Zeitraum, um das Geld dann in ihrem Salon für echtes Haar zum Einnähen
auszugeben.
„Haar ist für Frauen Thema Nummer eins, wenn es um Schönheit geht“, meint
Vicky. „Jede Frau in den Dörfern beschäftigt sich damit. Sie sitzen vor den
Hütten und lassen sich von den Schwestern und Müttern die Haare flechten.“
Die Frisuren hängen sehr von Modetrends ab, sagt sie. Eng am Kopf
anliegende Zopfreihen, in Südafrika „corn rows“ genannt, sind in diesem
Sommer besonders gefragt. Angeknüpfte Haarteile und natürliche Frisuren
dominieren im Winter. „Afrikanisches Haar ist sehr hart und wird durch die
winzig gelockte Struktur schnell trocken. Also müssen wir viel in die
Pflege investieren, unser Haar braucht viel Feuchtigkeit, damit es nicht
abbricht.“
Lerato Molerane sitzt in einem alten Frisierstuhl und berät sich mit ihrer
aus Simbabwe ausgewanderten Friseuse Judith Chimbume. „Ich liebe mein
brasilianisches Haar“, sagt die 34-jährige Südafrikanerin. „Es kostet zwar
knapp 3.000 Rand (250 Euro), hält aber Jahre.“ Auch indisches Echthaar ist
gefragt. Routiniert durchtrennt Judith mit einer Rasierklinge die schwarzen
Wollfäden, die Leratos Haarteil an ihre eigenen Zöpfe binden. Dann legt sie
es in eine kleine „Waschmaschine“ und reinigt das kostbare Stück.
## „Mein Haar ist zu störrisch“
Auch Lerato hat für die langen schwarzen Wellen einige Monate gespart.
„Einen Afro finde ich auch toll, aber mein Haar ist zu störrisch, es bricht
ständig ab, wenn ich es länger lasse. Für mich ist ein langes Haarteil die
beste Lösung“, schwärmt die Krankenschwester.
Die jungen trendigen schwarzen Studentinnen, die in Braamfontein das
Straßenbild prägen, zahlen normalerweise zwischen 200 und 600 Rand für
Zopffrisuren in Vickys Salon. Dazu kommen Pflegeprodukte und „Glattmacher“.
Der Bedarf für modische Frisuren hat in nur wenigen Jahren unzählige
Haarsalons in dem Boomviertel in Universitätsnähe geschaffen.
Immer stammen die Besitzer aus Afrika, aber selten aus Südafrika. „Die
Migranten bringen oft mehr Fähigkeiten mit“, sagt Lesley Cohen, Planerin
und Kuratorin im Kunstmuseum an der Witwatersrand Universität in
Braamfontein. Der neue Schwung im Viertel hat auch das „Wits Arts Museum“
inspiriert. Eine Ausstellung zum Thema „Doing Hair – Art and Hair in
Africa“ hat dort gerade stattgefunden. „Das Geschäft mit afrikanischem Haar
boomt um uns herum und wir wollten diese Atmosphäre und die Salons in das
Museum bringen.“
## Frisur als sozial-politisches Statement
Einblicke in die Historie afrikanischer Frisuren zeigen, dass der Stil
häufig mit jugendlicher persönlicher Identität und auch sozial-politischem
Ausdruck verbunden ist, aber auch mit politischer Kontrolle. In
Apartheid-Südafrika wurde Haar als Mittel zur Bestimmung der
Rassenzugehörigkeit eingesetzt. Die Ausstellung zeigte, dass ähnliche
Praktiken auf dem ganzen afrikanischen Kontinent in den vergangenen 100
Jahren ausgeübt worden sind.
Afrikanische Frisuren sind grundsätzlich erst einmal eine Frage der
Handhabung, glaubt Geschäftsfrau Connie Mashaba. „Unser Haar ist grob und
lässt sich schwer kämmen.“ 1985 hatte sie zusammen mit ihrem Ehemann die
Idee, eine Firma für afrikanische Haarpflegeprodukte zu gründen: „Black
Like Me“ ist bis heute Marktführer in Südafrika.
„Wir waren Pioniere in der Haarpflege und damals waren Dauerwellen der
letzte Schrei.“ Dann kamen in den 1990ern Haarglättemittel. Beides waren
Stile, die europäischen Modeschöpfungen nachgeahmt waren. „Früher nahmen
die Leute Petroleum-Gelee und ein altes Bügeleisen, um ihre Haare zu
glätten. Das verbrennt aber das Haar.“
## Der „Hier-bin-ich“-Look
Erst später wurde der Wunsch nach natürlichem afrikanischem Aussehen und
entsprechenden Frisuren größer. „Keine Chemikalien, sondern einfach
Dreadlocks.“ Dieser „Hier-bin-ich“-Look ist jetzt auch wieder „in“, s…
Mashaba. Und zusätzlich wird damit gespielt: Haarteile und Perücken sind in
den letzten vier Jahren der Verkaufsschlager geworden.
„Dieser Trend ist kostspielig, aber Frauen wollen sich einfach gut fühlen“,
sagt Mashaba. „Das kann aber auch negative Effekte haben, denn das Haar
atmet zu wenig, oder die geflochtenen Zöpfe unter den Haarteilen sind zu
fest und die Haarwurzeln wachsen nicht mehr.“ Somit ist „Hair Food“ eines
der beliebtesten Produkte von „Black Like Me“, um das Haar mit Nährstoffen
und Feuchtigkeit zu versorgen.
Frisiersalons sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Regulierung
gibt es nicht; jeder, der etwas unternehmerischen Geist mitbringt, kann
einen Haarsalon eröffnen. „Wir brauchen mehr ausgebildete Friseure“, seufzt
Firmenchefin Mashaba.
## „Wir wollen etwas aus uns machen“
Die Kamerunerin Vicky Fobi hat keine Fachausbildung. „Aber wir Ausländer
sind zielorientiert, wenn wir in Südafrika sind. Wir wollen etwas aus uns
machen und Geld verdienen, weil in unserer Heimat die Möglichkeiten
beschränkt sind.“ Als sie vor rund zehn Jahren ihren Salon eröffnete, war
sie eine der ersten Unternehmerinnen, die das Potenzial in dem damals noch
als gefährlich geltenden Viertel erkannte. Sie brachte Geld aus Kamerun mit
und renovierte das heruntergekommene Geschäft.
Heute beheimatet es nicht nur zahlreiche Frisiersessel, sondern auch eine
Faxmaschine. Davor steht eine lange Warteschlange junger Studenten, sie
zieht sich quer durch den Salon. Dazwischen sitzen Kunden, die eifrig mit
ihren Friseusen die jüngsten Neuigkeiten besprechen.
Vicky vermietet jeden Frisiersessel einzeln an Friseure, die stundenweise
auftauchen. „Ich weiß gar nicht, wie viele Leute ich wirklich hier habe.
Angestellt ist niemand. Manchmal ist der Salon schon morgens richtig voll.
Umsatzzahlen habe ich gar keine im Kopf. Aber wir können davon leben.“
Und die Männer? Da ist es viel einfacher: Der „brush cut“ scheint das
einzig Wahre. „Südafrikanische Männer lieben den ganz kurzen Haarschnitt
oder Glatze. Sie wollen einfach gepflegt und ordentlich aussehen“, erklärt
Mashaba. Und dafür braucht man keine Salons. Das erledigt man in ein paar
Minuten auf dem Gehweg unter einer Plastikplane.
1 Jan 2015
## AUTOREN
Martina Schwikowski
## TAGS
Südafrika
Friseure
Haare
Afro-Punk
Schriftsteller
Konsum
Schwerpunkt TTIP
Hutu-Miliz FDLR
UN
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