# taz.de -- „Dream Pop“ von Hope Sandoval: Die Zeit anhalten | |
> Tief einatmen, abtauchen, und dann erfrischt wieder hochkommen – eine | |
> Annäherung an die Band Mazzy Star und ihre Sängerin Hope Sandoval. | |
Bild: Fotos von Hope Sandoval? Fast immer unscharf und niemals frontal. | |
Hope Sandoval und ihre sehnsuchtsvolle Stimme zu beschreiben, das heißt so | |
viel, wie einen abgedunkelten Raum auszumessen. Man muss sich erst mal an | |
die widrigen Umstände und die Umrisse der Schatten gewöhnen. Von ganz weit | |
weg dringt ihre warmherzige Geisterstimme, kommt näher und näher, und | |
irgendwann wird man sie einfach nicht mehr los. | |
Das geht offensichtlich vielen so, denn – um nur ein Beispiel zu nennen – | |
„Fade into you“, ein Song, den Hope Sandoval mit ihrer Band Mazzy Star 1994 | |
veröffentlicht hat, wird bis heute immer wieder in Filmen („Starship | |
Troopers“) und US-Serien wie „True Blood“, „CSI:Miami“ oder „Desper… | |
Housewives“ eingesetzt, seine fiebrige Atmosphäre ist ansteckend. | |
„You live your life / You go in shadows / You’ll come apart and you’ll go | |
black / Some kind of light into your darkness / Colors your eyes with | |
what’s not there“ singt Hope Sandoval zu irisierend dunkel-samtener Musik: | |
Ein simples, unendlich repetiertes Gitarrenriff, die leicht aus der | |
Schwerkraft katapultierte Erdenschwere einer Farfisa-Orgel und ein | |
sanft-schaukelnder Rhythmus, bringen „Fade into you“ ins Ziel. | |
Hope Sandovals Musik hat etwas Mantrahaftes, so, wie ja auch in ihrem | |
Vornamen ein Mantra steckt. Sie macht sich rar. Es passiert selten genug, | |
aber wenn die Sängerin eine Bühne betritt, ist der Star stets in Dunkelheit | |
getaucht. Spärliches Licht beleuchtet ihr Haar, die Spots erhellen ihre | |
Silhouette ausschließlich von der Seite. | |
## Die Stummfilm-Anmutung behagt ihr | |
Ganz ähnlich sind Fotos von ihr inszeniert: Fast immer unscharf, in | |
Schwarz-Weiß, und niemals wird Sandoval darauf frontal gezeigt. Diese | |
Stummfilm-Anmutung behagt ihr. Selbst wenn sie singt, ihre Lippen wirken | |
versiegelt. Es ist, als tütet sie jedes Wort einzeln in einen Umschlag und | |
verschickt diesen mit einem vielsagenden Lächeln. | |
Pause. Pause. Pause. | |
Der Rekord steht bis jetzt bei 17 Jahren. So lange hat es gedauert, bis die | |
Kalifornierin mit ihrer Band Mazzy Star neues Material veröffentlicht hat. | |
Vier Alben in 25 Jahren sind insgesamt entstanden. Obwohl Sandoval in | |
dieser Zeit auch noch zwei Soloalben gemacht hat, ist das nicht eben viel | |
Material. | |
Als das aktuelle Mazzy-Star-Album „Seasons of Your Day“ vergangenes Jahr | |
erschien, war sie 47 Jahre alt. Beim Album zuvor war sie gerade 30 | |
geworden. Aber der Sound, den Hope Sandoval mit ihrer Band Mazzy Star | |
macht, ist imstande die Zeit anzuhalten. Man atmet tief ein, taucht mit ihm | |
ab und kommt erfrischt wieder daraus hervor. | |
## Man muss ganz hinhören | |
Hope Sandovals Stimme klingt heute genauso undurchdringlich wie alles, was | |
sie zuvor veröffentlicht hat: sparsam instrumentierte Rocksongs, die sich | |
an Country, Folk und Psychedelia anlehnen. Dazu spielt Hope Sandoval | |
Vibrafon oder Harmonika und schlägt manchmal ein Tambourin. | |
„Dream Pop“ wird ihre Musik genannt. Ihr walzerndes Downtempo ist durchaus | |
einlullend. Noch nicht eingeschlafen, aber auch nicht mehr wach: ein | |
somnambuler Zustand. Hope Sandoval behauptet, sie sei schüchtern, das dürfe | |
man bitte schön nicht mit Arroganz verwechseln. | |
Hope Sandoval zu interviewen, das sei wie einen Stein in einen tiefen | |
Brunnen zu werfen und unendlich auf das Echo seines Einplumpsens zu warten, | |
schrieb ein britischer Kollege einmal. Kein einziger von Sandovals | |
Songtexten wurde je auf einem ihrer Alben abgedruckt. | |
Man muss ganz hinhören, um ihr Hauchen zu verstehen.Was manche veranlasst | |
hat, zu behaupten, sie benutze Worte nur, um damit Klänge aus dem Jenseits | |
zu erzeugen. Und dann trifft Hope Sandoval doch gelegentlich verblüffende | |
Aussagen: „Was Poesie angeht, zählt für mich vor allem Dylan Thomas.“ | |
## Der Schnee in Wales | |
Der walisische Dichter schildert in der Story „Weihnachten eines Kinds in | |
Wales“, wie Einzelheiten in der Erinnerung zu etwas anderem verschwimmen. | |
„Bevor ich einschlafe, denke ich einen Moment daran, dass es sechs Tage | |
hintereinander geschneit hat, als ich zwölf Jahre alt war. | |
Oder hat es zwölf Tage hintereinander geschneit, als ich sechs Jahre alt | |
war? Der Schnee in Wales ist so weiß wie in Lappland, aber es gibt keine | |
Rentiere.“ Man muss dabei an die Musik von Hope Sandoval denken. Fällt in | |
Los Angeles jemals Schnee? Vielleicht hat Hope Sandoval als Kind davon | |
geträumt. | |
Aufgewachsen ist sie unter schwierigsten Umständen im Osten der Stadt, in | |
einer mexikanisch-amerikanischen Familie. Sie hat neun Geschwister, einer | |
ihrer Brüder war Mitglied einer Gang. „Unsere Wohnstraße im Viertel galt | |
als verrufen.“ Popmusik hat tatsächlich ihr Leben gerettet. | |
Mit einer Schulfreundin besucht sie 1980 ein Konzert der L.-A.-Punkband X. | |
Deren Sängerin Exene Cervenka wird zu ihrem Vorbild. Wie diese beginnt Hope | |
Sandoval eigene Songs zu schreiben, trifft auf den Gitarristen Dave Roback, | |
mit dem sie noch heute bei Mazzy Star zusammenspielt. | |
Für das 17 Jahre lange Schweigen von Mazzy Star liefert Hope Sandoval eine | |
verblüffende Erklärung. „Mir war nicht danach, Musik zu veröffentlichen.“ | |
Songs geschrieben habe sie die ganze Zeit über. Die Geister aus diesen | |
Songs spuken weiter. | |
23 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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