# taz.de -- Neues Album von Erlend Øye: Liebe auf Zeit | |
> Schluss mit Seichtheit und Selbstzufriedenheit: Der norwegische Popstar | |
> Erlend Øye entschleunigt sich – bleibt aber ganz hip dabei. | |
Bild: Immer noch recht white und auch alive: Erlend Øye. | |
Die gute Nachricht zuerst: Erlend Øye nennt sich nicht mehr The Whitest Boy | |
Alive. Der norwegische Künstler veröffentlicht nun Musik unter seinem | |
bürgerlichen Namen. „The Whitest Boy Alive“, so überschrieb seinerzeit ja | |
auch Ulf Poschardt ein Porträt über Alexander Dobrindt. | |
In diesem durchsichtigen Versuch, einen CSU-Politiker vor einer | |
Bundestagswahl in die Schnittmenge der Hipness einzugemeinden – vielleicht | |
weil er eine schicke Brille trägt –, kommt das strukturelle Elend des | |
Affirmativen zum Vorschein. | |
Erlend Øye ist an all dem nicht völlig unschuldig. Mit ausdruckslosem | |
Gesicht sitzt der 38-Jährige an einem überdimensionierten Tisch in einem | |
geräumigen „Private-Dining-Room“ in Berlins Mitte, trägt Cordjackett und | |
schicke Brille. Sie ist seit jeher sein Erkennungszeichen. Mit ihr reiht | |
sich der Norweger auch optisch in die an den Wänden hängenden Porträtfotos | |
von forschen Mitteboys wie dem Journalisten Moritz von Uslar ein. Während | |
Øye Auskunft über sein neues Album „Legao“ gibt, trinkt er Espresso und | |
Mineralwasser, antwortet diplomatisch und wohldosiert. | |
## Moven und Shaken | |
Seine als The Whitest Boy Alive veröffentlichten Songs waren Sinnbild für | |
ein Moven und Shaken, das bisweilen auch ins Anämische kippte. Aus der | |
Liebe zum elektronischen Dancefloor wurde irgendwann in den Nullerjahren | |
selbstzufriedener Pop im Bandformat. | |
Aber Erlend Øye zog die Notbremse, wanderte 2012 nach Sizilien aus, lernte | |
Italienisch, fing neu an. Jetzt, mit seinem kommende Woche erscheinenden | |
Soloalbum „Legao“, lässt er erstmals stärkere Brüche in seiner Musik zu. | |
„Erwachsen“ sei er geworden, informiert der Waschzettel der Plattenfirma, | |
was in der Sphäre des Pop eher verdächtig klingt. Sei’s drum, nun ist das | |
eindimensional Seichte von The Whitest Boy Alive einer Melancholie | |
gewichen, die in all der weiterhin ostentativ zur Schau gestellten | |
professionellen Freundlichkeit zur Abwechslung mal für Subversion sorgt. | |
Egal, ob man sich Erlend Øyes Songs im Bett anhört, im Auto oder beim | |
Abspülen, man bleibt immer an ihrer radikalen Entschleunigung hängen und | |
kommt ins Träumen. „Früher machte mir Schneckentempo Angst, auch, weil es | |
der Ruling Sound war. Und dann entdeckte ich, dass es viel Mut braucht, um | |
diesen Sound für heutige Verhältnisse herzustellen. Denn er hat ja erst mal | |
keinen harten Kern. Oberflächlich gesehen fehlt seiner Leichtigkeit | |
jegliche Aggression, da gibt es nichts, woran man sich reiben kann. Man | |
muss da schon tief eintauchen, um Widerstände und Stacheln exakt | |
herauszuarbeiten.“ | |
Erlend Øye hat sich für „Legao“ Loversrock als Blaupause genommen. So nen… | |
man ein britisches Subgenre des Achtziger-Jahre-Reggae, leicht discofiziert | |
und immer mit einer slicken, absolut charts- und radiokompatiblen Melodie | |
versehen. Die Schotten von Belle & Sebastian haben das vor einiger Zeit | |
stark verfremdet hinbekommen. Und nun macht Erlend Øye etwas Ähnliches. | |
Natürlich singt er ganz anders, der Norweger bietet Loversrock nicht | |
authentisch dar. Auch schaukelt nicht jeder seiner neuen Songs im | |
stilgetreuen Reggaerhythmus durchs Ziel. Und doch klingt dieser | |
Downbeat-Vibe von „Legao“ stimmig, wird die distanzierte Kühle nun durch | |
etwas aufreizend Relaxtes zum Innehalten gezwungen, was oftmals zu tollen | |
Ergebnissen führt und auch ein bisschen skurril wirkt. | |
Das rührt daher, dass sich Øye für die Aufnahmen mit der isländischen | |
Rootsreggae-Band Hjálmar zusammengetan hat. Seine sonore Stimme und das | |
Faible für leichte Grooves und reduzierte Melodien stoßen nun mit erdigen | |
Klangfarben von Drums, Orgel, Blechbläsern und Gitarren zusammen. „Es war | |
so, als wäre ich unverhofft auf einen verborgenen Strang meiner Familie | |
gestoßen. Kommunikationsschwierigkeiten gab es keine, wir sind alle | |
Wikinger und verständigen uns auf Englisch. Kompliziert war eher, dass die | |
Band es gewohnt ist, schnell zu arbeiten, während ich im Studio sehr viel | |
Zeit benötige.“ | |
## Hart erarbeitetes Nichtstun | |
Im Sommer postete der Norweger ein Foto auf seiner Facebook-Seite, das ihn | |
zusammen mit einem Freund in einem Schlauchboot an der sizilianischen | |
Mittelmeerküste zeigt. Dieses Dolce far niente musste sich Øye mühsam | |
erarbeiten. An den Songs feilte er jeden Tag, bis er sich erlaubte, | |
nachmittags jeweils zwei Stunden am Meer zu verbringen. „Als Skandinavier | |
wird man ja in eine sehr protestantische Vorstellung von Disziplin | |
hineingeboren, das beinhaltet auch die Vorstellung, dass Lebensglück stark | |
an beruflichen Erfolg gekoppelt ist. Man darf sich nicht einfach dem | |
Nichtstun hingeben. Man muss Tag und Nacht auf der Hut sein und | |
funktionieren.“ | |
Zu seiner großen Freude machten ihn die fünf Musiker von Hjálmar mit der | |
Verwandtschaft von isländischen Beatsongs der sechziger Jahre und dem | |
italienischen Schlager jener Jahre vertraut. Schon damals wurde wie wild | |
geklaut, sagt Øye. Die Eingängigkeit und Sanftheit italienischer Musik sei | |
dennoch unerreicht, erklärt er und weist auf die Harmonien hin, erzeugt von | |
simplen Akkordfolgen mit großer Aussagekraft. Und doch, eine Übersetzung | |
gelinge nur, wenn das Ambiente der Musik passt. „Wenn mich ein Lied | |
erwischt, dann in erster Linie nicht wegen der Harmonien, sondern wegen | |
seiner Atmosphäre. Sie lässt mich stutzen, wenn ich den Song in der | |
Hotellobby oder im Schwimmbad zufällig höre.“ | |
Tiefsinnig ist der Norweger in Sizilien bislang nicht geworden, auch wenn | |
sich fast alle der zehn Songs um das Thema Liebe und deren Ende drehen. | |
„Loving you is like waiting for the rain to come“, singt er in „Rainman�… | |
„I’m so full of love / But also full of ideas“, so beginnt er das Album m… | |
dem Schmusefox „Fence me in“. „Legao“ ist kein Plädoyer für ewige Lie… | |
Wie gesagt, Melancholisch ist die Stimmung auf dem Album, aber dennoch | |
klingen die Songs stets hoffnungsvoll. | |
Øyes Liebe gilt zurzeit Fernost, dort ist er ein Star. In Seoul hat er etwa | |
das Video zu seinem Song „Garota“ aufgenommen, darin spielt die | |
südkoreanische Schauspielerin Hannah-Lee eine tragende Rolle. Und dann wird | |
Erlend Øye sogar noch etwas philosophisch. „Ewige Liebe ist doch eine | |
Chimäre, in Wahrheit ist das nur Nostalgie für verpasste Chancen. Liebe ist | |
endlich. Also sollte man den Zustand der Verliebtheit genießen, solange er | |
anhält. Ich denke nur noch in kleinen Zeiträumen, dadurch habe ich Liebe | |
neu schätzen gelernt.“ Und bevor er sich empfiehlt, sagt Erlend Øye noch: | |
Der Impuls aus seiner textlichen Vorstellungswelt sei nur für eine Person | |
entschlüsselbar. Tröstlich, dass für alle anderen einfach schöne Songs | |
übrigbleiben. | |
27 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
## TAGS | |
Hipster | |
Island | |
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