# taz.de -- Roskilde-Festival: Die wirklich wahre lebende Live-Erde | |
> Das Roskilde-Festival 2007 war wieder einmal ein gutes Trainingscamp für | |
> die Apokalypse: Man wühlte sich durch den tiefsten Matsch der | |
> Festivalgeschichte. | |
Bild: Gehört zu Roskilde wie der Korn zum Bier: Schlamm. | |
Als sie mir das Festivalbändchen ums Handgelenk hefteten, fühlte es sich an | |
wie eine provisorische Kabelbinder-Handschelle der Polizei. Der Regen wurde | |
sofort stärker. Die Parkplätze waren schon, als wir ankamen, kaputt. Man | |
ging dann erst mal in den Fotex-Supermarkt frühstücken. Schon da war ich | |
vom Regengetrommel aufs Zelt so fertig, dass ich das Frühstück klaute und | |
mir dann noch einen Refill-Kaffee für umsonst holte. Danach fuhr ich | |
schwarz mit dem IC nach Kopenhagen - hauptsächlich, um in Ruhe auf Klo zu | |
gehen. Ich sah bunt gesprenkelte Designergummistiefel von Paloma Picasso | |
für 130 Euro. | |
Zur Sinnstiftung konnte man das Roskilde-Festival 07 als Statement gegen | |
Live Earth verstehen. Wo die mit Sponsoren wie Smart dealten, hatten "wir" | |
das harmlose Tuborg als Hauptsponsor - und das säuft sowieso jeder Tag und | |
Nacht. Ansonsten ist Roskilde wohl immer noch das weltweit größte von | |
Freiwilligen organisierte Festival. Über 20.000 Volunteers sammeln Dreck | |
ein, sorgen für den Sound und bewachen rund um die Uhr die Autobahnbrücke, | |
damit kein irre gewordener Festivalteilnehmer von dort aus auf die Fahrbahn | |
springt. Letztes Jahr spendete man den Überschuss von 700.000 Euro an ein | |
Aktionsbündnis gegen Sklaverei. Dieses Jahr sollen die Überschüsse an | |
Bauern in Malawi gehen. | |
Donnerstagabend auf dem Weg zum ersten Konzert hatte sich ein rotes Auto | |
festgefahren und hing kopfüber in einem kleinen See. Bei Arcade Fire | |
packten die Kids das gute alte Woodstock-Mythenwerkzeug aus und riefen "No | |
Rain!". Es nutzte aber nichts und wurde dann auch nicht wieder ausprobiert. | |
Die Festivalzeitung hatte gerechnet: 1997 war es seit dem Festival-Beginn | |
1971 wettertechnisch bislang am schlimmsten - damals gabs eine Holzhütte | |
als Sammelstelle für einzelne, im Schlamm steckengebliebene Schuhe. 1997 | |
fiel aber nur halb so viel Regen wie 2007. Zwar finden die meisten Konzerte | |
ja in fünf großen Zelten statt. Nur die orangefarbene Bühne, der größte | |
Eventort, ausgelegt für 40.000 Leute, kennt keine Gnade: Alle stehen im | |
Matsch und werden nass. Björk wirkte hier in ihrem bunten Riesenkleid und | |
barfuß fast gehemmt. Sie sagte nichts - als täte es ihr leid, nicht auch | |
pitschnass zu werden. | |
Am Freitag wurde es besser. Der Boden war zwar hin, von oben kam aber | |
zunächst nichts mehr nach. Die Mädchen aus der Zeltstadt - die angeblich | |
völlig abgesoffen und teils evakuiert worden war - sahen bis zu den Knien | |
moddrig aus, waren aber im Gesicht frisch geschminkt. | |
Annika Trost, die zweite Hälfte von Cobra Killer, hauchte Zartes ins Zelt. | |
Sie verwechselte ihr Mikro mit der Rotweinflasche, soff sich melancholisch | |
und hauchte ihr persönliches Polit-Programm aus: "The next song is about me | |
again." Später kletterte sie auf hohen Absätzen auf die Boxen, sprang aber | |
nicht. Dann doch lieber alte Männer. Lee Scratch Perry hatte nach dem | |
großartig groovigen Anthony B keine Chance und begann nach kurzer Zeit, zum | |
Singsang mit roter Farbe ein Bild zu pinseln. Sonne, Mond und Sterne. | |
Wolken kann er wohl nicht. Man wanderte zu den Beastie Boys ab. Über die | |
freut man sich zwar immer, aber frischer sind die angegrauten New Yorker | |
auch nicht geworden. | |
Es war ein Roskilde, beim dem die meisten Acts auf der orangefarbenen Bühne | |
energetisch verpufften. Man freute sich zum Beispiel auf Queens Of The | |
Stone Age, stand auch einigermaßen sicher ohne Pampe im Schuh, aber | |
letztlich fehlte der Band die Power. Oft war auch der Sound zu lasch. Die | |
Videowand vor einem liegt sowieso fast so weit weg wie MTV. Auch die Red | |
Hot Chili Peppers hatten Kraftprobleme. Die Doppelbelastung, | |
Samstagnachmittag in London bei Live Earth zu spielen und nachts bei uns, | |
machte sie zu introvertierten Improvisierern, die sich minutenlang | |
Gitarren- und Basssoli hingaben. Anthony Kiedis war erkältungsgeplagt und | |
rang mit seiner Stimme. Ihre angejunkten Gesichter unter den Wollmützen | |
sahen aus, als wären sie jetzt am liebsten im Übungskeller. Und The Who | |
überhaupt einzukaufen, scheint einem wie ein Notopfer an Althippies über | |
60, die sonntags mit entsprechendem Ausweis gratis reinkommen. | |
Besser war es auf den kleineren Bühnen. The Whitest Boy Alive, ein Berliner | |
Projekt des Norwegers Erlend Øye, rockten das Odeon-Zelt mit simplen, aber | |
nicht verblödeten, emphatischen Beats - als hätte man Notwist | |
massenkompatibel gemacht. Ein extrem dickes Technogerät fuhren die | |
Brasilianer von Bonde Do Role. Ihr kurzer Auftritt knallte so rein, dass | |
man nur noch auf dem Boden hocken oder tanzen konnte. Stolperte man danach | |
hundert Meter bei Holly Golightly rein, die mit weißem Kleid und Blümchen | |
im Haar leierigen Countrypop auswarf, erschrak man. Sie fragte dann auch | |
noch ernsthaft, wo wir sonntags in die Kirche gehen. | |
Nachts um drei wollte man dann noch zu Dream Of An Opium Eater, wegen des | |
tollen Bandnamens. Dieser Traum stellte sich als Balkankapelle heraus. Am | |
nächsten Tag erst erfuhr man, dass man die Zelte verwechselt hatte und bei | |
Fanfare Ciocarlia war. Am schönsten letztlich die Flaming Lips. Deren | |
euphorischer Poet Wayne Coyne feuerte Konfettigeschosse ins Publikum und | |
ließ sich in einer großen durchsichtigen Plastikkugel über die Köpfe | |
rollen. | |
Am Sonntag schließlich kommt bei den tollen Wilco die Sonne raus. Live. So | |
spät, dass es einem gemein vorkommt. Aber so ist sie in Roskilde eben gern, | |
unsere matschige, lebende Erde. Komische Insekten werden uns überleben. | |
10 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Andreas Becker | |
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