# taz.de -- Britta Habbe über die Rückkehr des Wolfs: „Zecken verursachen m… | |
> Niedersachsens Wolfsbeauftragte über verzerrte Vorstellungen, den Schutz | |
> von Deichschafen – und warum es ihr nicht schadet, auch Jägerin zu sein. | |
Bild: "Ich bin weder für noch gegen den Wolf", sagt die Biologin Britta Habbe | |
taz: Frau Habbe, haben Sie ebenso viele Feinde wie der Wolf? | |
Britta Habbe: Das mag sein. Ich nehme das nicht persönlich. Es ist | |
spannend, dass diese Tierart oftmals so emotional diskutiert wird. Wir | |
müssen hinbekommen, sachlich über das Thema zu reden. Die Wölfe sind da und | |
werden auch bleiben. | |
Was ist der größte Mythos, der Ihnen über den Wolf begegnet? | |
Viele Menschen haben vom Wolf durch die Geschichten und Märchen ein | |
verzerrtes Bild. Dass Übergriffe auf Nutztiere stattfinden können, ist | |
natürlich kein Mythos. Aber viele haben eine gewisse Angst und ein unwohles | |
Gefühl, wenn sie wissen, dass Wölfe in ihrer Gegend unterwegs sind. | |
Wie äußert sich das? | |
Die Menschen fragen sich, ob sie noch joggen gehen können oder was mit | |
ihren Kindern passiert, wenn sie draußen sind. Diese Ängste sind stark | |
durch das Geschichtsbild vom Wolf geprägt… | |
Durch das Bild vom bösen Wolf? | |
Genau. Wenn man sich Rotkäppchen anschaut – und das ist ja das | |
prominenteste Beispiel –, dann kommt der Wolf einfach ziemlich schlecht | |
weg. Aber die ursprüngliche Geschichte hatte eine andere Intention. Sie | |
hatte erotische Elemente, der Wolf war da eher ein Sinnbild. Dann haben die | |
Gebrüder Grimm sie aufgegriffen und im prüden Deutschland die Erotik | |
weggelassen – der Wolf wurde zum richtigen Wolf. | |
Früher gab es allerdings auch echte Konflikte zwischen Menschen und Wölfen. | |
Ja, und die Ablehnung wird dadurch verständlich. Wenn im Mittelalter ein | |
armer Bauer nur eine Ziege hatte und ein Wolf das eine Tier gefressen hat, | |
dann wusste der Bauer nicht, wie er seine Kinder durchbringt. Dass in so | |
einer Situation gehandelt wurde, kann ich nachvollziehen. Aber heute haben | |
wir ganz andere Möglichkeiten, Wölfe von Nutztieren fernzuhalten. | |
Kann ich denn jetzt noch joggen gehen, etwa in Diepholz? | |
Können sie noch. Der Wolf ist natürlich ein Großraubtier, dass dem Menschen | |
von der Kraft her gefährlich werden kann. Aber die weltweite Erfahrung | |
zeigt, dass es sehr, sehr selten vorkommt. Bei den Großprädatoren ist der | |
Wolf derjenige, der am wenigsten Übergriffe auf den Menschen verursacht. Da | |
gibt es Tierarten, die höher im Kurs stehen. | |
Wildschweine etwa? Vor denen habe ich ziemlich große Angst… | |
Nein, eher Löwen oder Tiger. Bei uns im Land wäre es die Zecke. Die gehört | |
zwar nicht zu den Großprädatoren, aber verursacht deutlich mehr Todesfälle | |
als der Wolf. Wenn man sich normal im Wald verhält und die Tiere nicht | |
füttert oder versucht anzulocken, dann ist die Gefahr wirklich sehr gering. | |
Wie sind Sie selbst eigentlich zum Wolf gekommen, Frau Habbe? | |
Ich bin Biologin und habe während des Studiums viel in Wildparks gearbeitet | |
und Führungen gemacht. Schon da lag mein Fokus auf den heimischen | |
Tierarten. Jedes Kind kennt Löwe, Tiger und Elefant, aber beim Fischotter, | |
Waldkauz oder der Schleiereule wird es schon schwierig. Deswegen stand ich | |
auch öfter vor Wolfsgehegen und habe über dessen Rückkehr nach Deutschland | |
berichtet. Als ich dann meinen Jagdschein machte, habe ich mitbekommen, | |
dass die Landesjägerschaft die Stelle für das Wolfsmonitoring ausschrieb. | |
War es eine Voraussetzung, dass Sie Jägerin sind? | |
Geschadet hat es bestimmt nicht. Und es macht auch Sinn, dass man sich | |
jagdlich auskennt. | |
Inwiefern? | |
Weil sich viele spannende jagdliche Fragen zum Thema Wolf ergeben: Wie ist | |
die Auswirkung auf das Schalenwild, wird deren Bestand durch den Wolf | |
reduziert? Ändert das Wild sein Verhalten? | |
Und? | |
Wir haben erst seit 2011 die Bestätigung für ortstreue Wölfe. Für eine | |
wissenschaftliche Bewertung ist das ein zu kurzer Zeitraum. Aber es wird | |
berichtet, dass sich das Wild heimlicher verhält und die Tiere wacher | |
werden. | |
In Mecklenburg-Vorpommern hat die Jägerschaft jüngst gefordert, den Wolf | |
ins Jagdgesetz aufzunehmen. Umweltverbände laufen dagegen Sturm. Was ist | |
Ihre Position? | |
In Niedersachsen gibt es solche Forderungen nicht. Man kann ja schon jetzt | |
sogenannte Problemwölfe entnehmen. Das ist im Management-Plan vorgesehen, | |
wenn sich tatsächlich Individuen herauskristallisieren, die zu nah an | |
Menschen gehen und dreistes Verhalten zeigen. Das gilt auch für Tiere, die | |
gegenüber Nutztieren auffällig sind, indem sie immer wieder eigentlich | |
sichere Zäune überwinden. | |
Ich dachte, der Wolf sei maximal schutzbedürftig. | |
Die Sicherheit des Menschen hat immer oberste Priorität. | |
Trotz Washingtoner Artenschutzabkommens, Berner Konvention und | |
Bundesnaturschutzgesetz? | |
Ja, mit Ausnahmegenehmigung würde das über die Naturschutzbehörde laufen. | |
Generell kann eine darüber hinausgehende Bejagung als Managementmaßnahme | |
bei Großraubtieren dazu beitragen, eine gewisse Akzeptanz zu schaffen. | |
Heute ist der Wolf so streng geschützt, dass viele das Gefühl haben, er | |
breitet sich aus und man kann nichts machen. Wenn irgendwann die Population | |
ausreichend groß ist und eine Bejagung zugelassen würde, bekäme man wieder | |
das Gefühl, mitbestimmen zu können. | |
Der Naturschutzbund Nabu ist strikt dagegen. | |
Man muss ganz klar sagen, dass die Population aktuell noch viel zu gering | |
ist. Irgendwann aber wird man einen günstigen Haltungszustand erreicht | |
haben. Wie dann weiter verfahren wird, wird wohl auf politischer Ebene in | |
Brüssel entschieden. Die Probleme der Nutztierhalter allerdings würden sich | |
durch die Bejagung nicht lösen. Denn ein Ausrotten wird es wohl nicht mehr | |
geben. | |
Wie ist aktuell die Ausbreitung des Wolfes im Land Niedersachsen? | |
Das Kernvorkommen ist in der Heideregion. Auf dem Truppenübungsplatz | |
Munster konnte 2012 das erste Rudel bestätigt werden. Dann haben wir auf | |
dem Truppenübungsplatz Bergen ein Paar, das Nachwuchs hat. Ebenso in | |
Unterlüß auf dem Rheinmetall-Gelände und in Eschede. Auch in Gartow ist ein | |
Wolfsrudel ansässig. Im Raum Fuhrberg sowie im Landkreis Cuxhaven ist | |
jeweils ein territoriales Paar bekannt, im westlichen Niedersachsen, in der | |
Grafschaft Bentheim, gehen wir von einem einzelnen, ortstreuen Tier aus. | |
Die letzten Vorkommnisse, wo es auch um Risse ging, waren im Raum Diepholz | |
in Richtung Vechta. Die Ergebnisse genetischer Analysen, die einen Wolf als | |
Verursacher bestätigten könnten, stehen aber noch aus. Generell kann also | |
jederzeit überall in Niedersachsen ein Wolf auftauchen. Egal, von wo aus | |
ich einen Anruf bekomme – es ist möglich. | |
Überprüfen Sie alle diese Hinweise? | |
Wir haben in jedem Landkreis mittlerweile zwei ehrenamtliche Wolfsberater, | |
die vom Umweltministerium benannt sind. Die sind für die örtliche | |
Bevölkerung die ersten Ansprechpartner. Aber ich fahre auch raus, wenn es | |
etwa nach einer Sichtung noch eine Fährte im Sand gibt oder eine Losung – | |
einen Kothaufen. | |
Man verwechselt ja den Wolf schnell mit Hunden. | |
Genau, deshalb ist eine Sichtung kein Nachweis. Wir sammeln diverse | |
Meldungen von Spuren, Fotos, Rissen und überprüfen sie auf Nachweiskraft. | |
Aufgabe des Wolfsmonitorings ist es, die Population zu überwachen. So ist | |
es auch im niedersächsischen Wolfskonzept aufgeführt, welches das | |
Umweltministerium 2010 herausgegeben hat. Da sich seitdem schon vieles | |
verändert hat, wird das Konzept gerade aktualisiert und fortgeschrieben. | |
Wo muss denn nachgebessert werden? | |
Zum Beispiel sind die Handlungsabläufe bei einem Unfall mit einem Wolf noch | |
nicht flächendeckend geregelt. In den Landkreisen mit Wolfsvorkommen läuft | |
das jetzt über die Polizei. So etwas muss etabliert werden – auch die | |
Frage, was mit verhaltensauffälligen Wölfen passiert. | |
Sie haben von Rudeln gesprochen. Gehört es nicht in den Bereich der | |
Legenden, dass sich Wölfe in der freien Wildbahn um einen Leitwolf scharen? | |
Ein Wolfsrudel ist erstmal eine Gruppe von Wölfen – eigentlich immer eine | |
Familie. Es gibt schon ein Leitpaar: das Elternpaar. Das Rudel grenzt sein | |
Revier gegenüber fremden Wölfen ab, die Welpen bleiben so lange bei den | |
Eltern, bis sie mit etwa ein oder zwei Jahren geschlechtsreif sind. Ab da | |
suchen sie sich ein eigenes Gebiet. In einem Rudel laufen also die | |
Elterntiere, die Jährlinge und die Welpen aus dem aktuellen Jahr mit. | |
Und wie groß wird so ein Rudel? | |
Pro Wurf sind bis zu elf Welpen möglich, ein Rudel könnte also über 20 | |
Tiere erreichen. Aber das ist in Deutschland noch nicht vorgekommen. In | |
Hochzeiten haben wir bis zu 15 Tiere, die zusammen unterwegs sind, im | |
Schnitt sind acht Wölfe in einem Rudel. | |
Jagen die Wölfe auch zusammen? Ich denke da an das Bild des Rudels, das das | |
Beutetier umzingelt und einkreist … | |
Jein. Nur die Elterntiere haben Jagderfahrung und geben sie an ihren | |
Nachwuchs weiter. Gerade erst wurde mir von einer Situation in | |
Niedersachsen berichtet, bei der die beiden starken Wölfe ein Rehwild | |
hetzten und die sechs jungen Wölfe auf dem Berg standen und zuschauten. Das | |
ist eine Situation, die man hier durchaus im Winter erleben kann. Aber | |
Rudel üben keine strategische Jagdmanöver ein. Die Wissenschaft streitet | |
darüber, aber belegt ist es nicht. | |
Von woher sind die Wölfe nach Niedersachsen gekommen? | |
Die Fähe, die sich auf dem Truppenübungsplatz Munster niedergelassen hat, | |
kommt aus Sachsen, aus dem Nochtener Rudel. Das haben wir über genetische | |
Untersuchung herausgefunden. Andere Wölfe kamen aus Sachsen-Anhalt und | |
Brandenburg. Aber wir haben jetzt auch schon Welpen, die selbst in | |
Niedersachsen geboren sind. Letztes Jahr hatten wir im Emsland eine Fähe, | |
von der wir vermutet haben, dass sie aus Westpolen direkt dorthin gelaufen | |
ist. | |
Eine ganz schöne Strecke… | |
…aber durchaus machbar. Wölfe können ungefähr 70 Kilometer in einer Nacht | |
überwinden. Auch ortstreue Wölfe sind viel unterwegs, sie haben ja generell | |
relativ große Streifgebiete. Ein Rudel ist in Deutschland auf etwa 200 bis | |
300 Quadratkilometern unterwegs. | |
Nicht nur in Niedersachsen weisen Gegner des Wolfes auf die dichte | |
Besiedelung hierzulande hin: Dadurch sei ein Zusammenleben mit dem Wolf | |
nicht möglich. | |
Dass hier biologisch gesehen durchaus Platz für die Tiere ist, zeigt sich | |
allein durch ihre Ansiedlung. Wir müssen uns aber als Gesellschaft fragen, | |
wie viel wir bereit sind zu investieren. Klar ist es Mehraufwand in so | |
einer Landschaft, wo viel Tierhaltung im Weidebereich auf enger Fläche ist. | |
Gibt es Regionen in Niedersachsen, wo es schwieriger wird? | |
Das wird sich herausstellen. In Niedersachsen gibt es Haltungsformen von | |
Nutztieren, die es in anderen Regionen nicht so gibt. Ob man zum Beispiel | |
die Schafe auf den Deichen vernünftig schützen kann, können wir noch nicht | |
sagen. Auch gibt es Schafhalter, die Sommer- und Winterweiden haben und an | |
den Küsten sind viele Koppeln nur durch Gräben begrenzt. In diesen Ecken | |
muss viel investiert werden. | |
Kürzlich hat die Landesregierung im Rahmen einer Richtlinie 100.000 Euro | |
pro Jahr zur Verfügung gestellt: für Entschädigungszahlungen und | |
Schutzzäune. | |
Billigkeitsleistung, nicht Entschädigung. | |
Stimmt, weil es kein Rechtsanspruch ist – ein Punkt, den die Schäfer | |
kritisieren. Und ebenso, dass 100.000 Euro nicht ausreichen. | |
Inwiefern? | |
Der Landesschäfer-Verband beklagt Mehrarbeit, die nicht zu leisten sei. Und | |
dass Investition in neue Zäune für viele Schäfer zu teuer seien, auch wenn | |
bis zu 80 Prozent übernommen werden sollen. | |
Man hat sich an den anderen Bundesländern orientiert: Dort ging der | |
jährliche Bedarf nicht über 60.000 Euro hinaus. Laut Umweltministerium soll | |
nachgelegt werden, wenn es zu knapp wird. Dass es leicht wird, hat niemand | |
gesagt. Letztendlich ist es eine natürliche Entwicklung, die sich hier | |
vollzieht. Es war eine politische Entscheidung, solche Tierarten, die | |
ausgerottet waren, unter Schutz zu stellen, damit sie sich wieder ansiedeln | |
können. | |
Die Schäfer sagen: „Ihr“ seid für den Wolf, dann könnt „Ihr“ auch da… | |
bezahlen. | |
Ich bin weder für noch gegen den Wolf. Niemand hat den Wolf bestellt, auch | |
das Umweltministerium nicht. Sie führen aus, was auf EU-Ebene rechtlich | |
beschlossen ist. Die Richtlinie ist ein wichtiger Schritt, um Konflikte zu | |
reduzieren. | |
Ab welcher Population würden Sie sagen, dass sich der Wolf in Niedersachsen | |
wieder etabliert hat? | |
Zur zentraleuropäischen Flachlandpopulation zählen alle deutschen und | |
westpolnischen Wölfe. Eine Bewertung findet auf dieser Ebene statt. Für | |
einen günstigen Erhaltungszustand ist momentan neben vielen weiteren | |
Kriterien eine Individuenanzahl von mindestens 1.000 erwachsenen Wölfen | |
festgelegt. | |
Und wieviele sind es jetzt? | |
In Deutschland haben wir knapp 40 Territorien, also 80 erwachsene Wölfe, in | |
Polen ungefähr nochmal das Gleiche. | |
Wie schnell breiten sich die Wölfe aus? | |
Es geht sehr zügig. Wir haben in Deutschland einen Zuwachs von etwa 30 | |
Prozent. Momentan sind die Wildbestände gut und es ist noch viel Platz. Für | |
eine Population, die sich in der Ausbreitung befindet, ist das optimal. | |
Dann könnten sich die Wölfe bereits in fünf Jahren etabliert haben? | |
Das ist schwierig vorauszusagen. Es wäre möglich, aber es können zum | |
Beispiel immer Krankheiten dazu kommen. Wir müssen das abwarten. | |
29 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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