# taz.de -- Indiens Interessensphären: Demokratie ist nicht alles | |
> Indien setzt in der Außenpolitik auf Interessensphären. So steht auch | |
> einer engeren Verbindung zum autoritären China nichts im Wege. | |
Bild: Paradenprobe für den Tag der Republik am 26. Januar: ein Hund zwischen G… | |
DELHI taz | Europas Politik wird seit Monaten vor allem von einem Thema | |
dominiert: der Krise in der Ukraine. Aber außerhalb Amerikas und Europas | |
spielt das kaum eine Rolle. In Indiens Zeitungen tauchen Berichte darüber | |
meist erst weit hinten auf. Der Grund: Indiens Außenpolitik basiert auf | |
einem in Europa überholt geglaubten Konzept, das aber in vielen Ländern, | |
auch in Russland, eine Renaissance erlebt: Denken in Interessensphären. | |
Für Indien an erster Stelle steht der innere Kernbereich: Pakistan und | |
Südasien insgesamt. Hier ordnet sich Indien keiner internationalen | |
Institution oder einem fremden Staat unter. | |
„Indien hat immer die Vereinten Nationen unterstützt. Aber im Bereich | |
seiner Kerninteressen entscheidet nur Indien. Andere Meinungen spielen | |
keine entscheidende Rolle“, sagt Samir Saran, Vizepräsident des | |
Forschungsinstituts Observer Research Foundation in Delhi. Indien warte | |
nicht auf Zustimmung, um in Bangladesch, Sri Lanka oder auf den Malediven | |
einzugreifen. | |
Brisanz birgt hierbei vor allem die Auseinandersetzung mit Pakistan. Beide | |
Länder besitzen Atomwaffen. Nach mehreren Kriegen (1947, 1965, 1971 und | |
1999) ist das Verhältnis zwischen Islamabad und Delhi ausgesprochen | |
schwierig. | |
Die zweite Interessensphäre ist die erweiterte Nachbarschaft: Japan, | |
Indonesien, Australien, im weiteren Sinne Westasien (was in Europa „Naher | |
Osten“ heißt) oder die BRICS-Staaten. Im Gegensatz zur ersten Sphäre sucht | |
Indien in dieser nach Partnerschaften auf Augenhöhe. „Premierminister Modi | |
legt großen Wert auf diesen Bereich“, sagt Shamika Ravi vom | |
Forschungsinstitut Brookings India: „Seine Umarmung Japans und sein | |
erfolgreicher Auftritt auf dem BRICS-Gipfel sind der Beginn eines | |
grundlegenden Neuanfangs.“ | |
## Regionalverband Asean stärken | |
In Ländern wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder | |
Katar arbeiten viele Inder. Östlich von Indien, Richtung China, will Modi | |
durch stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit den südostasiatischen | |
Regionalverband Asean stärken, als Gegengewicht zum übermächtigen Nachbarn | |
China. | |
Indiens dritte Interessensphäre umfasst die restliche Weltpolitik. „Obwohl | |
Indien auch hier zunehmend eigene Interessen hat, verfügt man weder über | |
den nötigen Einfluss noch die Mittel, diese entschieden durchzusetzen“, | |
meint Saran. Indien betrachte in diesem Bereich das UN-System als äußerst | |
nützlich. | |
Mit fast 8.000 Soldaten ist Indien einer der größten Truppensteller bei | |
internationalen UN-Blauhelmmissionen – Deutschland stellt im Vergleich nur | |
rund 200 Soldaten. Allerdings wird laut Saran dieser Bereich in Zukunft | |
schrumpfen. Mit der wachsenden Bedeutung Indiens werden zukünftig mehr | |
Länder in den Bereich der „erweiterten Nachbarschaft“ rücken, in dem Indi… | |
sich das Recht vorbehält, unilateral zu agieren. | |
## Grenzstreit mit China | |
Und die USA, die EU, China? Hier versucht Delhi, bilateral enge Beziehungen | |
aufzubauen. Für eine engere Kooperation müssten Indiens Politiker einzelne | |
Themen voneinander trennen, meinen Experten. „Indien sollte im Grenzstreit | |
gegenüber China eine harte Haltung einnehmen und gleichzeitig die | |
wirtschaftliche Zusammenarbeit vertiefen“, sagt Saran. | |
Der Außenpolitikexperte Raja Mohan stellt in einem Essay der neuen | |
Regierung ein gutes Zeugnis aus: Modi habe gezeigt, dass Indiens | |
demokratische Werte einer engeren Verbindung zum autoritären China oder dem | |
sozialistischen Vietnam nicht im Wege stehen. | |
Saran sieht einen fundamentalen Wandel in der internationalen Politik: Das | |
20. Jahrhundert war geprägt vom Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten | |
Weltkrieg. Es wurde viel in Europas Infrastruktur investiert. „Doch die | |
Bereitschaft des Westens, in gleichem Maße in die Infrastruktur Asiens zu | |
investieren, ist nicht vorhanden.“ Daher würden Japan, Korea und vor allem | |
China Indiens Zukunft stärker bestimmen als Europa. Zwar fühle man sich | |
Demokratien wie den USA oder Europa eher verbunden, aber „die Zeit der | |
alten Wertediskussionen ist vorbei“. | |
1 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Radunski | |
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