# taz.de -- Religionsstreit in Indien: „Ich bin nun ein Hindu“ | |
> Massenkonvertierungen von Christen und Muslimen zum Hinduismus sorgen für | |
> Zoff. Über Weihnachten wollen Hindu-Radikale munter weiter konvertieren. | |
Bild: Zur Abwechslung in Grün: der Weihnachtsmann in Mumbai. | |
AGRA dpa/ap | Eines Tages standen plötzlich radikale Hindus im Kabadi-Slum, | |
in dem überwiegend muslimische Müllsammler leben. „Sie versprachen, uns zu | |
helfen. Sie wollten uns Ausweise besorgen und Nahrungsmittelkarten“, sagt | |
Mohammad Ismail. Er ist der Chef der etwa 200 Menschen, die in den Hütten | |
aus Bambusstangen und Planen mitten in Agra leben, der indischen Stadt mit | |
dem Taj Mahal. Doch eine Bedingung dafür gab es: eine religiöse | |
Konvertierungszeremonie. | |
Und so legte die Hindu-Organisation Teppiche auf den schlammigen Boden, | |
baute ein festliches Zelt auf, stellte Fahnen auf und rief einen Priester | |
herbei. „Wir mussten uns alle um das Feuer setzen und Butterschmalz in die | |
Flammen gießen. Dann bekamen wir ein Segenszeichen auf die Stirn und | |
reichten eine Statue der Göttin Kali herum", erzählt Ismail. Er sei – noch | |
das muslimische Käppchen auf dem Kopf – gezwungen worden zu sagen: Ich bin | |
nun ein Hindu. | |
Die Konvertierung in Agra ist kein Einzelfall. Indische Medien berichten | |
von mehreren Massenkonvertierungen zum Hinduismus, oft begünstigt durch | |
Geschenke. Ausgerechnet am ersten Weihnachtsfeiertag ist eine besonders | |
große Zeremonie in Aligarh geplant, an der auch Hunderte Christen | |
teilnehmen sollen. Auch in der Hauptstadt Neu-Delhi wollen hinduistische | |
Organisationen an Weihnachten eine große Feier für zum Hinduismus Bekehrte | |
abhalten. Das berichtete die Hindustan Times am Dienstag. | |
Oppositionspolitiker drängten Ministerpräsident Narendra Modi zu einer | |
Stellungnahme, weil die Zwangskonversionen extremistischen Hindugruppen mit | |
Verbindungen zu Modis hindu-nationalistischer Partei BJP zugeschrieben | |
werden. Die Opposition wirft Modi vor, sich nicht davon zu distanzieren. | |
Indem er dazu schweige, beschädige der Regierungschef die weltlich | |
ausgerichtete indische Gesellschaft und die in der Verfassung garantierte | |
Religionsfreiheit. | |
## Radikale Hindus zeigen Stärke | |
„Wir machen das seit Jahren. Tausende Menschen sind so schon übergetreten“, | |
sagt Rajeshwar Singh, Anführer der Organisation Dharm Jagran Samiti | |
(Gesellschaft der religiösen Erwachung) im westlichen Uttar Pradesh. Sie | |
organisiert das Spektakel in Aligarh. Er betont, die Zeremonie sei | |
„natürlich nur für diejenigen, die freiwillig kommen“. | |
Indien ist per Verfassung ein säkularer Staat. Etwa acht von zehn Indern | |
sind Hindus, hinzu kommen rund 160 Millionen Muslime, 28 Millionen | |
Christen, Sikhs, Buddhisten und andere. Das Zusammenleben verläuft nicht | |
immer friedlich, vielfach kommt es zu – oft von Politikern angefachten – | |
Unruhen und Ausschreitungen. Seit im Mai eine hindu-nationalistische | |
Regierung übernommen hat, lassen radikale Hindus ihre Muskeln besonders oft | |
und besonders auffällig spielen. | |
Dabei seien die Konvertierungen eigentlich Re-Konvertierungen, sagt Dharm | |
Jagran Samit. Denn schließlich seien die Vorfahren der heutigen Muslime und | |
Christen vom Hinduismus übergetreten. Also würden sie nun „heimgeholt“. | |
Dass die Ahnen vor oft Hunderten von Jahren ihre Religion wechselten, | |
spielt dabei keine Rolle. Und überhaupt: Schließlich missionierten die | |
Christen doch auch, und lockten vor allem kastenlose Hindus mit einem | |
besseren Leben. | |
Das Thema reißt die Opposition von den Stühlen. Seit einer Woche wird im | |
Unterhaus des Parlaments kaum noch debattiert, weil sich alle wegen der | |
Konvertierungen in den Haaren liegen. Der Abgeordnete Sakshi Maharaj von | |
der Regierungspartei BJP sagte sogar, der Hindu-Nationalist, der Mahatma | |
Gandhi wegen seiner Offenheit Muslimen gegenüber erschossen habe, sei ein | |
Patriot gewesen. | |
## Sprachunterricht als Gegenwehr | |
Unterdessen fielen Dutzende Vertreter muslimischer Organisationen in den | |
Kabadi-Slum in Agra ein und versuchten, die Bewohner wieder für sich zu | |
gewinnen. Per Fahrrad-Rikscha ließen sie Säcke voll Reis, Mehl und Linsen | |
ankarren – insgesamt Hunderte Kilogramm Nahrungsmittel, die den Bewohnern | |
des Slums für Monate reichen werden. Andere brachten Gelehrte mit, die den | |
Kindern, die bislang kaum zur Schule gingen, nun Arabisch und Urdu | |
beibringen sollen. | |
Auch Politiker besuchten die Zelte, gingen vorbei am einzigen | |
Wasserschlauch des Slums, unter den wenigen Stromkabeln hindurch und durch | |
die zahlreichen herumrennenden Küken. Unter ihnen war Maqsoor Ahmad, der | |
lokale Präsident der islamistischen Jammat-e-Islami. Er redete Slum-Chef | |
Ismail ins Gewissen, er müsse täglich fünfmal beten. | |
„Ich war ein Muslim, ich bin ein Muslim, und ich werde immer ein Muslim | |
sein“, sagt Ismail mittlerweile wieder. Seine Frau Monira Begum kann auch | |
dem ganzen Trubel etwas abgewinnen. „Wir wissen jetzt, dass wir nicht | |
alleine sind“, sagt sie. Genau das aber, meint Jospeh Dias vom Katholischen | |
Säkularen Forum in Indien, sei die Gefahr: All das Gezerre schweiße die | |
Religionsgemeinschaften zusammen und säe Zwietracht zwischen ihnen. | |
25 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Doreen Fiedler | |
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