# taz.de -- Zum Tod von Ulrich Beck: Der Bundesrepublikaner | |
> Ulrich Beck hat uns die Auflösung der Nationalstaaten und die | |
> Individualisierung erklärt. Die Lust am Negativen war dem Soziologen | |
> dabei immer fern. | |
Bild: Er war fasziniert vom Möglichkeitsraum des Humanen: Ulrich Beck (1944-20… | |
Ulrich Beck hat für einen Soziologen, eine oft mit Verachtung bedachte | |
Profession, eine geradezu unheimliche öffentliche Wirkung entfaltet. Das | |
verdankte sich einer seltenen Kombination aus wissenschaftlicher Präzision | |
und journalistischem Gespür. Er sah gesellschaftliche Haarrisse, aus denen | |
fundamentale Umbrüche wurden. Dabei half ihm eine Katastrophe: Tschernobyl | |
1986. | |
Beck war damals 42 Jahre und Professor in Bamberg, nicht gerade Zentrum | |
intellektueller Auseinandersetzung. Die Studie „Risikogesellschaft“ machte | |
ihn mit einem Schlag berühmt. Die Diagnose lautete, dass die Klassen, die | |
mit der Industriegesellschaft entstanden waren, mit dieser auch untergingen | |
– oder sich zumindest radikal verwandelten. | |
Die Trennlinie verlief nicht mehr nur zwischen reich und arm, sondern auch | |
anhand der Verteilung von Gefahren. „Not ist hierarchisch, Smog ist | |
demokratisch“ – dieser Aphorismus erhellte, dass die Ökologie ein anderes | |
Denken über die Gesellschaft nötig machte. | |
Diese Grundidee konnte man schon Ende der 70er-Jahre bei anderen, etwa bei | |
Rudi Dutschke, lesen. Dutschke hatte proklamiert, dass angesichts der | |
möglichen Selbstvernichtung im Atomzeitalter die Gattungsfrage die | |
Klassenfrage als Glutkern der Politik abgelöst hatte. „Risikogesellschaft“ | |
war indes nicht noch eine postmarxistische Grabrede auf das Proletariat, | |
sondern einer der ersten Wegweiser für eine Moderne, die von | |
Umweltzerstörung geprägt ist. | |
Dies trug Beck Ende der 80er-Jahre nicht zu Unrecht den Ruf ein, | |
Diagnostiker des postmateriellen, ökologisch bewussten Alternativbürgertums | |
zu sein. Der zeitgleiche Aufstieg der Grünen war der passende Rahmen für | |
dieses Bild. Die Idee, dass moderne Gesellschaften zunehmend damit zu tun | |
haben, die Kollateralschäden ihrer Innovationsschübe zu beseitigen, ist | |
indes ein Art Universalschlüssel zu Becks Denken – weit über die Ökologie | |
hinaus. | |
## Chronist der Auflösung der alten Kollektive | |
Die zweite Theoriegroßbaustelle ergab sich daraus wie von selbst: die | |
Individualisierung. Die Geschichte der Bundesrepublik lässt sich als | |
Auflösung von Kollektiven, von Kirchen über Parteien bis zu Gewerkschaften | |
erzählen. Die Post-68er waren das Ferment in diesem Prozess, dessen | |
Chronist Beck war (wenn auch nicht der einzige). | |
Gegner haben ihm gelegentlich vorgeworfen, zu wenig wissenschaftliche | |
Distanz und zu sehr unterstützender Teil gewesen zu sein. So war es nicht. | |
1990 entwarf er mit seiner Frau, Elisabeth Beck-Gernsheim, in der Studie | |
„Das ganz normale Chaos der Liebe“ ein Panorama der Widersprüche, in denen | |
sich Individuen nach dem Ende der Ehe als gesellschaftliche Zwangsnorm | |
wiederfanden. Bonbonfarben war da nichts. | |
Denn die Auflösung von Traditionen bringen eben auch den Zwang mit sich, | |
sich selbst zu erfinden. Wo die die Normen verblassen, beginnt die Arbeit | |
am Selbst. Beck hat allerdings, anders als der französische Soziologe Alain | |
Ehrenberg und in dessen Gefolge Byung Chul Han, stets daran festgehalten, | |
Individualisierung als Chance zu verstehen, nicht als Nachtmar. | |
Selbstverwirklichung kann, wie jedes Lebenskonzept, scheitern. Es hat, wie | |
alles, unvorhergesehene Nebenwirkungen, und es ist von der Zurichtung durch | |
die Ökonomie bedroht. Aber es ist ein Konzept, das Freiheitsgewinn | |
verspricht. Die Krux dabei bleibt, „wie die Individuen damit umgehen“ | |
(Beck) | |
Das dritte Gebäude, das der Soziologe inspizierte, war ein ebenfalls | |
typisch bundesrepublikanisches Projekt: das Ende des Nationalstaats und die | |
Verwandlung der Gesellschaften in transnationale, hybride Formen. | |
Überflüssig zu sagen, dass Beck, anders als Intellektuelle wie | |
Enzensberger, immun gegen die Gefühls-EU-Skepsis war. Europa grundlegend in | |
Frage zu stellen, schien ihm keine Meinung zu sein, über die man so oder so | |
denken konnte, sondern intellektuelle Regression. Das galt auch für sein | |
Fach. „Die Soziologie, die im Container des Nationalstaats bleibt, arbeite | |
mit Zombie-Kategorien, die in unseren Köpfen herumspuken, und unser Sehen | |
auf Realitäten einstellen, die immer mehr verschwinden.“ | |
## Ein Medienintellektueller ohne priesterliches Gehabe | |
Beck ließ sich zu diesem und jenem interviewen, auch jenseits des eigenen | |
Fachgebiets. Er schrieb Essays über Bundestagswahlen und war auf Wirkung | |
bedacht. Ein eingreifender Medienintellektueller? Ja, durchaus. Aber auf | |
eine demokratische Weise, ohne die priesterlich anmutende Geste des | |
Großtheoretikers, dem qua Status besondere moralische Urteilskompetenz | |
zuwächst. | |
Ulrich Beck war ein – darf man das so sagen? – positiver Denker, fasziniert | |
vom Möglichkeitsraum des Humanen. Die Lust am Negativen, das dunkle, | |
radikale Denken war ihm fern. Man kann sich ihn als intellektuelles | |
Gegenstück zu den französischen Postmodernen vorstellen. | |
Er kannte, anders als die älteren Analytiker der Republik Jürgen Habermas | |
und Hans-Ulrich Wehler, nur diese Gesellschaft. Keine HJ, Flak, Traumata. | |
Er hat das Eigentümliche dieser Republik, vor allem das Postnationale, | |
früher und genauer skizziert als andere. | |
Er war einer von uns. Der Klügste, wahrscheinlich. | |
Am 1. Januar ist er mit 70 Jahren in München gestorben. | |
3 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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