| # taz.de -- Dreikönigstreffen der FDP: Lindners leise Vorstellung | |
| > Die FDP ist aus dem Bundestag raus und nur noch in sechs | |
| > Landesparlamenten. Kann es einen Neuanfang geben? Eine Tragödie in drei | |
| > Akten. | |
| Bild: 45.000 Euro lässt sich die FDP ihren Auftritt in der Stuttgarter Oper ko… | |
| STUTTGART taz | Konstantin Kuhle lässt sich ins Sofa fallen. Der Chef der | |
| Jungen Liberalen trägt an diesem Dienstagmorgen im Frühstücksraum eines | |
| Stuttgarter Innenstadthotels Cargohose zum schwarzen Hemd; die Rasur musste | |
| wohl ausfallen. Die Nacht war kurz. Am Abend zuvor hatte die | |
| baden-württembergische FDP zum Dreikönigsball geladen. Dies Jahr hieß die | |
| brave Sause Dreikönigs-Lounge; die Wortwahl erzählt schon einiges über das | |
| neuerdings angestrebte Selbstbild der FDP. Blazer statt Anzug. Lässig statt | |
| lärmig. Nähe statt Kühle. | |
| Heute, am Morgen danach, soll endlich sichtbar werden, was die Bundes-FDP | |
| seit über einem Jahr angekündigt hat. Neue Leitlinien. Neues Outfit. Neues | |
| Selbstverständnis. „Liberale Politik kann es nur ohne Opportunismus geben“, | |
| hat Parteichef Christian Lindner gesagt. Und dass Dreikönig 2015 bei den | |
| Wählern eine Entscheidung anstoßen soll: „Von ,Eigentlich bräuchten wir | |
| die‘ zu ,Dann wähle ich die jetzt‘.“ | |
| Konstantin Kuhle, der Juli-Vorsitzende, umreißt seine Erwartungen an | |
| Lindners Auftritt so: „Wir wollen entritualisierte Politik, die Menschen | |
| wollen von der FDP überrascht werden.“ Aber wie soll das gehen bei einer | |
| Partei, die seit ihrem Rauswurf aus dem Bundestag 2013 unter den | |
| öffentlichen Aufmerksamkeitsradar gerutscht ist? Deren Mitglieder | |
| mitleidiges Lächeln ernten? Deren Berliner Parteizentrale auf finanziell | |
| absolutem Minimalniveau operiert? Kuhle spricht von einem „Spirit“, der | |
| heute spürbar werden soll. Erzeugen muss den sein Parteivorsitzender. | |
| Seit Wochen wird darüber gerätselt, was die FDP an diesem 112. | |
| Dreikönigstreffen so sagenhaft Neues präsentieren könnte. Die Partei | |
| zeichnete in der schwarz-gelben Regierungskoalition eine Überheblichkeit | |
| aus, die man hierzulande zuletzt bei der rot-grünen Jungscombo | |
| Schröder/Fischer erlebt hatte. FDP-Minister versorgten ihresgleichen | |
| ungeniert mit Posten, in der Koalition stellten sie sich mehrfach gegen | |
| Merkel. Sie zofften sich öffentlich und stellten in der Eurodebatte die | |
| Grundsatzfrage. | |
| Als sie schließlich von den angewiderten Wählern mit 4,8 Prozent aus dem | |
| Bundestag gejagt wurden, saß der Schock tief. Ob als Opposition oder in der | |
| Regierung – im Parlament vertreten war die FDP bis dahin immer gewesen. Den | |
| ruinierten Laden übernahm dann der 34 Jahre alte Christian Lindner. | |
| Und der muss jetzt liefern. | |
| ## Leistungssteigerung qua neuem Outfit? | |
| Fragt sich, worin diese Lieferung bestehen soll. Ein Jahr lang hat sich die | |
| FDP still verhalten. Sie hat durch eine Unternehmensberatung ihr Image | |
| analysieren lassen, sie hat ihre Basis gefragt, was sie von ihrer Partei | |
| noch erwartet. Gemeinsam mit den Mitgliedern hat sich die Partei ein neues | |
| Leitbild gegeben. Das soll der Vorsitzende an diesem Dienstagmittag in der | |
| Staatsoper präsentieren. Das und ein neues Logo. Die Parteifarben werden | |
| etwas gedämpfter, hinzu tritt ein knalliges Magenta. Man denkt bei diesem | |
| Pink an Achtzigerjahre, an Strähnchenfrisuren, auch an den Radrennfahrer | |
| Jan Ullrich, der sich im Telekom-Trikot das Epo einpfiff. | |
| Leistungssteigerung qua neuem Outfit? Das wird nicht reichen. | |
| 45.000 Euro lässt sich die FDP ihren Auftritt in der Stuttgarter Oper | |
| kosten. Eine Riesensumme für eine mental wie finanziell gerupfte Partei. | |
| Man müsse sich das leisten, heißt es aus dem Thomas-Dehler-Haus, Dreikönig | |
| sei ein Termin für maximale mediale Aufmerksamkeit. Es könnte die letzte | |
| Vorstellung sein. Bald wird die Oper renoviert und erst einmal geschlossen; | |
| gut möglich, dass danach der Prunk der Oper nicht wiederkehrt. | |
| Als Christian Lindner um 12.03 Uhr nach vorn an den Bühnenrand tritt, ist | |
| schon habituell vieles anders. Es gibt kein Pult, statt dessen einen blau | |
| unterlegten Ring, in dem der Parteivorsitzende redend auf und ab wandert. | |
| Um ihn herum sitzen im Halbkreis drei Frauen und drei Männer – für die FDP | |
| ein ungewohnter Anblick. | |
| Und noch etwas ist neu: Lindner schreit nicht rum. Eine Spezialität von | |
| Spitzenliberalen der zurückliegenden Jahre war das lautstarke Anbrüllen der | |
| Zuhörerschaft. Guido Westerwelle eignete ein militärischer Tonfall. Rainer | |
| Brüderle belferte ins Publikum. Selbst der glücklose Philipp Rösler bemühte | |
| sich, seine Zuhörer per Lautstärke auf Trab zu bringen. Das Ergebnis waren | |
| tosende Standing Ovations. Auf diese Weise dankte das Publikum die gnädig | |
| eintretende Ruhe. | |
| Christian Lindner macht das nicht. Im Gegenteil, statt seine Zuhörer | |
| aufzuputschen, zieht er sie zuerst einmal in die Niederung des Scheiterns. | |
| „Es geht heute nicht um uns“, sagt er. Es gehe auch nicht um Karrieren, | |
| eine Partei sei kein Selbstzweck. „Es geht um unser Land.“ | |
| Die FDP habe ihre Fehler aufgearbeitet. In seinen Gesprächen mit der Basis | |
| habe sich gezeigt, dass die einen völlig anderen Blick auf Schwarz-Gelb | |
| habe. „Die Führung sah die Erfolge, die Basis die ausbleibenden Erfolge.“ | |
| Dass die FDP in der Merkel-Koalition nicht auf dem Finanzministerium | |
| bestanden habe, sei ein tödlicher Fehler gewesen. | |
| ## Vorbei die Zeit der Zögerlichkeit | |
| „So etwas wird mir in meinem politischen Leben nie wieder passieren“, sagt | |
| er in den aufbrausenden Applaus hinein. „Ehe ein anderer das Fähnlein der | |
| FDP einrollt, gehen wir lieber mit wehenden Fahnen von Bord.“ Nun aber – | |
| man ahnte es – müsse die Zeit der Zögerlichkeit vorbei sein. „Wenn ich | |
| sage, wir müssen uns befreien, gilt das auch für den Parteivorsitzenden.“ | |
| Es ist dies der erste Akt, in dem der Parteivorsitzende die Scherben | |
| aufsammelt. Von denen, die das Desaster der FDP mit zu verantworten haben, | |
| ist kaum einer nach Stuttgart gekommen. Philipp Rösler ist sanft beim | |
| Weltwirtschaftsforum gelandet, Rainer Brüderle ist auf Reisen, Guido | |
| Westerwelle schwerkrank. Hermann Otto Solms, Wolfgang Gerhardt und Klaus | |
| Kinkel sind treu erschienen. Kinkel, einst Außenminister unter Helmut Kohl, | |
| gefragt nach dem Aufbruch der FDP, hat vor der Veranstaltung einen | |
| interessanten Satz gesagt. „Wir brauchen mehr Turner in der Zirkuskuppel; | |
| der Lindner macht das gut, aber er ist da oben ein bisschen allein.“ | |
| Man kann das so sehen. Christian Lindner schultert da vorne auf der | |
| Opernbühne die Last seiner Partei. Als er im zweiten Teil seiner Rede die | |
| Themen der erneuerten FDP auffächert, schaut seine Generalsekretärin Nicola | |
| Beer erschöpft, immer tiefer sinkt ihr Kopf zwischen die Schulterblätter. | |
| Die toughe Hamburger Spitzenkandidatin Katja Suding trinkt ein Glas Wasser | |
| nach dem anderen. Lindner ackert sich derweil durch die Themen. Bildung, | |
| Innovation, Datenschutz – nichts Neues. | |
| Kein Wunder, eine Partei, die vom Wähler auf die Ersatzbank geschickt | |
| wurde, kann Politik nicht neu erfinden. Dabei müsste Christian Lindner hier | |
| und jetzt den Aufbruch markieren. Doch er hat jetzt nur noch das | |
| Steuerthema im Köcher. Die Spannung zwischen Darsteller und Publikum – sie | |
| erschlafft nun spürbar. | |
| ## Weltoffenheit für die FDP | |
| Im dritten Akt jedoch holt er sich die Aufmerksamkeit zurück. Es geht um | |
| Pegida, um die AfD. Um Abgrenzung. Ja, es gebe reale Integrationsprobleme, | |
| „Leugnen macht keinen Sinn.“ Aber wer das Grundgesetz achte, wer seinen | |
| Lebensunterhalt verdiene, bei dem sei es egal, an welchen Gott er glaube. | |
| Man solle sich nicht täuschen – morgen seien es vielleicht Homosexuelle | |
| oder Kinderlose, die ausgegrenzt würden. Er reklamiert Weltoffenheit für | |
| seine FDP. | |
| Lindner läuft die Redezeit davon. Jetzt gilt es. Auf und ab tigert er durch | |
| den blauen Rednerkreis. Seine Hände durchschneiden die Luft des Theaters; | |
| mal ballt er sie zu Fäusten, dann wieder umarmen sie das Auditorium, sie | |
| schaufeln Sätze oder stechen mit gestrecktem Zeigefinger ins Licht. Er | |
| macht das gut. Er beschwört die FDP. Aber es ist die, die es lange nicht | |
| mehr gibt. Unbeirrt spricht der Parteichef von Optimismus und Tatkraft, von | |
| Freiheit und Überzeugung, deren Wert sich nicht an Umfragen messen ließe. | |
| „Wir sind bereit, in Deutschland wieder Verantwortung zu übernehmen“, | |
| lautet sein letzter programmatischer Satz. | |
| Ende. Die Anspannung löst sich. Der Beifall ist ordentlich, aber kein | |
| Vergleich zu den minutenlangen Ovationen der früheren FDP. Lindner steht im | |
| Licht, mit ihm die anderen fünf Spitzenliberalen. Der Bühnensituation | |
| entsprechend greift Lindner nach links und rechts, um seine Mitstreiter | |
| nach vorn zum Publikum zu bringen. Genau jetzt werden die Bilder | |
| produziert, genau jetzt. Aber es ist vergebens. Die Generalsekretärin | |
| lächelt scheu, sie bleibt lieber, wo sie ist. Es ist wohl noch zu früh, | |
| eine stolze Liberale zu sein. | |
| 6 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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