| # taz.de -- Lyrik von Rapperin Kate Tempest: Sprachgewaltig und stürmisch | |
| > Sie kann es auch ganz ohne Musik: Die britische Musikerin Kate Tempest | |
| > hat ihren Gedichtband „Hold Your Own“ veröffentlicht. | |
| Bild: Rapperin und Lyrikerin Kate Tempest bei den Mercury Prize Awards 2014. | |
| Es ist seit je Wesensmerkmal des HipHop, dass in und mit ihm Worte zur | |
| Waffe werden. Spätestens mit Public Enemy oder N.W.A (Niggaz Wit Attitudes) | |
| in den späten Achtzigern wurde der Sprechgesang die verbale Rache der | |
| Unterprivilegierten – so weit, so bekannt. Und auch wenn die Britin Kate | |
| Tempest, die im vergangenen Jahr mit „Everybody Down“ eines der wichtigsten | |
| politischen HipHop-Alben des Jahres veröffentlichte, mit dem frühen Rap | |
| US-amerikanischer, schwarzer Prägung nicht allzu viel gemein hat, so trifft | |
| doch in mehrfacher Hinsicht auf Kate Tempest zu, was die Kunst des Rap | |
| mitbegründet hat: Die Worte werden bei ihr zur Waffe. | |
| Mit einigem Recht könnte man dies ein ausgelutschtes Sprachbild nennen | |
| (obgleich in diesen Tagen, in denen die Wirkungsmacht von Kunst diskutiert | |
| wird, auch ein treffendes). Schaut man aber auf den bisherigen Output in | |
| den verschiedenen Genres und die angekündigten Werke der 29-jährigen | |
| Londonerin – in diesem Jahr könnte schon das nächste Album folgen, 2016 | |
| soll es einen Roman geben –, so ist die Gewalt der Worte eben das, was in | |
| all ihrem Schaffen als kleinster gemeinsamer Nenner bleibt. | |
| Denn die Frau, die sich nach dem Sturm benannte (tempest: dt. „Sturm“), | |
| bewegt sich im Ausdruck zwischen Spoken Word, Speakers’ Corner und | |
| Hinterhof-Rap. Zuallererst ist sie aber eine starke Stimme, eine politische | |
| Lyrikerin. Und dann eine Musikerin. | |
| Schon „Everybody Down“, im Mai vergangenen Jahres erschienen, war | |
| eigentlich ein Rap-Epos, eine durchgängige Erzählung in Songs, die nur | |
| vordergründig davon handelte, wie eine Clique Jugendlicher in London in | |
| Kneipen und Clubs abhängt. Eigentlich geht es in den Songs um die | |
| existenziellen Nöte ihrer Protagonisten – und darum, dass sie sich | |
| politisch nirgends zugehörig fühlen. | |
| ## „Voice of a generation?“ | |
| Nun zeigt Tempest, dass sie’s auch ganz ohne Musik kann: Ende vergangenen | |
| Jahres erschien – bisher nur in Großbritannien – mit „Hold Your Own“ i… | |
| zweiter Gedichtband. In London war sie damit ein kleines Ereignis, zur | |
| Vorstellung des Buchs kamen fast tausend Leute. | |
| Tempest, bürgerlich Kate Esther Calvert, wurde in Großbritannien zuweilen | |
| schon als voice of a generation rezipiert, weil sie das Lebensgefühl der | |
| gehetzten und vernetzten jüngeren Altersklassen so gut spiegele. Sie hält | |
| davon nicht so viel, wie sie kürzlich im Gespräch am Rande eines Konzerts | |
| in Berlin sagte: „Ich versuche einfach, Kunst zu machen, an die ich glaube. | |
| Ich habe viel zu sagen, aber ich will nicht für andere sprechen. Die Leute | |
| brauchen mich nicht, um für sie zu sprechen.“ Sie redet in breitestem | |
| Cockney-Zungenschlag – genauso, wie sie auch rappt. | |
| In „Hold Your Own“ erscheint Tempest nun noch mehr als in ihrer Musik als | |
| feministische Dichterin, als Lyrikerin der Postgender-Generation. Teiresias | |
| ist der Mythos, auf dem der Band beruht. In der Hesiod-Auslegung der | |
| griechischen Sage verwandelt sich die Figur Tereisias erst in eine Frau und | |
| dann wieder zurück in einen Mann. Tereisias soll daraufhin die Frage | |
| beantworten, welches Geschlecht die größere Lust beim Sex empfinde. | |
| Für Tempests Adaption ist entscheidend, dass „Tiresias“ (engl.) die | |
| Körperlichkeit beider Geschlechter erfahren hat. Sie fügt nun der Narration | |
| einen Erzählstrang im Heute hinzu und schafft eine Figur, mit der sie | |
| männlich und weiblich konnotierte Verhaltensweisen gegenüberstellen kann. | |
| ## Sie erinnert an LyrikerInnen der Beatgeneration | |
| Genderfragen ziehen sich so durch „Hold Your Own“ (man würde den Titel wohl | |
| mit „Sich behaupten“, „Bestehen“ oder „Mithalten“ übersetzen oder,… | |
| Imperativ ohne Ausrufezeichen: „Behaupte dich“). Die Zuschreibungen des | |
| typisch männlichen oder typisch weiblichen Agierens beschäftigen Tempest in | |
| mehreren Gedichten, zum Beispiel in „The Cypher“, in dem sie konstatiert, | |
| dass diese auf Theorien und Konventionen beruhten („And I’m feeling bigger | |
| than / all of these buildings“). | |
| Manchmal klingt die Britin pathetisch (im ursprünglichen Sinne) – dann | |
| erinnert sie an Lyriker und Lyrikerinnen der Beatgeneration wie Allen | |
| Ginsberg oder Anne Waldman. Manchmal kommt sie ironischer daher wie in | |
| „These things I know“: „Don’t read women’s magazines / They’re bad … | |
| stomach“, lautet eine der eingestreuten Lebensweisheiten. | |
| Politisch war Tempests Kunst auch schon auf dem Album „Everybody Down“. | |
| Dort erzählt sie in Wortsalven von prekären Lebens- und | |
| Arbeitsverhältnissen ihrer Protagonisten, die Pete, Becky und David heißen | |
| (in dem Roman, den sie gerade schreibt, soll die Geschichte fortgesetzt | |
| werden). | |
| Die Story klingt manchmal wie Tempests persönliche Bestandsaufnahme des | |
| Spätkapitalismus und verweist auf größere Diskurse. Wenn Protagonist Pete | |
| in „Lonely Daze“ zu einem Job-Beratungsgespräch geht, verläuft das so: „ | |
| ’Now, have you thought about retail?‘ / ’Yes, fine with me.‘ / ’Oh an… | |
| can see here that you have a degree.‘ / ’Yes‘, says Pete, ’in Internati… | |
| Relations.‘/ ’Great, let’s see if Primark has space for a placement.‘ �… | |
| Während Tempest musikalisch auf „Everybody Down“ noch nicht über volle | |
| Distanz überzeugt – gegen Ende hat das Album Längen –, hat „Hold Your O… | |
| wenige Schwächen. In Großbritannien hofft man ohnehin, sie könne der Lyrik | |
| einen Schub geben – für ihr Debüt „Brand New Ancients“ erhielt sie den … | |
| das Genre wichtigen Ted Hughes Award. Ins Deutsche übersetzt worden ist die | |
| Künstlerin, deren Sprachgefühl einem im Original geradezu entgegenspringt, | |
| noch nicht. | |
| 12 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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