# taz.de -- Gedenken an Rosa und Karl: Mit den Nelken vom Straßenrand | |
> 5.000 TeilnehmerInnen zählt die Polizei, 10.000 zählen die Organisatoren: | |
> Eine bemerkenswerte Veranstaltung ist die Liebknecht-Luxemburg-Demo in | |
> jedem Fall. | |
Bild: Nelken, Fahnen, Fotos an der Gedenkstätte der Sozialisten. | |
Die Frankfurter Allee ist ein idealer Ort für Sturmböen. Auf der | |
kilometerlangen, sechsspurigen Ausfallstraße können sie ungebremst | |
dahinfegen – und reißen dabei am Sonntagvormittag die ein oder andere eben | |
noch stolz in die Höhe gereckte rote Fahne mit sich. Aber von denen gibt es | |
ja genug auf der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration zum Gedenken an die | |
1919 von Freikorpslern ermordeten KommunistInnen, die auch in diesem Jahr | |
die traditionelle Route vom Frankfurter Tor bis zur Gedenkstätte der | |
Sozialisten auf dem Friedhof Friedrichsfelde in der Nähe des S-Bahnhofs | |
Lichtenbergs zieht. | |
Dieses kurz LL-Demo genannte Ereignis ist eine der bemerkenswerten | |
politischen Veranstaltungen Berlins und wohl die einzige Demonstration der | |
Hauptstadt, die tatsächlich pünktlich beginnt – und das an einem | |
Sonntagmorgen um 10 Uhr, also zu einer Zeit, zu der die | |
Durchschnitts-Demonstrantin den Rausch der Soliparty von der letzten Nacht | |
ausschläft. Allerdings ist das übliche Demopublikum hier eben auch nur | |
schwach vertreten. Gut, es gibt einen Antifa-Block, der hübsch mit fest | |
verknoteten Seitentransparenten und einer hohen Dichte an schwarzen | |
Sonnenbrillen marschiert. Aber überwiegend dominieren doch Menschen das | |
Bild, die bei der letzten Demo in Kreuzberg wahrscheinlich eher nicht dabei | |
waren. | |
So wie die sechs älteren GenossInnen der DKP Dortmund, die mit eigenem | |
Transparent und – natürlich – roter Fahne angereist sind. Willi, der | |
Fahnenträger, ist schon seit 20 Jahren jeden Januar dabei, der Rest der | |
Truppe etwas kürzer, einer sogar zum ersten Mal. „Die Stimmung ist gut, und | |
dass hier mal alle miteinander demonstrieren, die sich sonst gegenseitig | |
die Köpfe einhauen, gefällt mir“, sagt der Neuling. Dass neben Luxemburg | |
und Liebknecht auf einigen Transparenten auch Mao und Stalin gedacht wird, | |
findet er allerdings befremdlich, „ich habe halt nicht so ein geschlossenes | |
Weltbild“, sagt er fast entschuldigend. | |
Es läuft hier aber auch eine beachtliche Anzahl junger Menschen mit. | |
Vielleicht nicht gerade die coolsten Kids der Stadt, aber darum geht es ja | |
auch nicht – und wer sich freiwillig als 17-Jähriger mit einer FDJ-Bluse in | |
der Öffentlichkeit zeigt, muss sich zumindest nicht den Vorwurf machen | |
lassen, sich irgendwelchen Modezwängen zu beugen. „Das ist auf jeden Fall | |
die wichtigste Veranstaltung im Jahr für mich“, sagt eine junge Frau aus | |
dem MLPD-Block mit ernstem Gesicht. | |
Eine weitere Besonderheit der Demo ist ihre lange Geschichte: 1919 hatten | |
über 100.000 Menschen an dem Trauermarsch zur Beerdigung der getöteten | |
KommunistInnen teilgenommen, daraus entwickelte sich das jährliche | |
Gedenken. Die Nazis ließen die Gedenkstätte auf dem Friedhof | |
Friedrichsfelde vollständig zerstören. Ab 1946 organisierte die SED die | |
Demonstration, die in der DDR bald zu einem durchchoreografierten Ritual | |
wurde. | |
Seit 1990 raufen sich für diese Demonstration einmal im Jahr die | |
verschiedensten linken Splittergruppen, ParteipolitikerInnen und | |
GenossInnen aus ganz Europa zusammen – und schaffen so eine Veranstaltung | |
mit beachtlicher Teilnehmerzahl, auch wenn sich heute nur noch höchstens | |
ein Zehntel der zu DDR-Zeiten üblichen 100.000 einfindet. In diesem Jahr | |
schätzte die Polizei die Teilnehmerzahl auf 5.000. Die Veranstalter | |
sprechen von der doppelten Zahl. | |
Gleichzeitig ist die Demo aber auch Bild dieser Zersplitterung: Die | |
verschiedenen Blöcke laufen säuberlich getrennt, oft mit großen Lücken | |
dazwischen. Allein das türkische Spektrum teilt sich in fünf Gruppen auf, | |
innerhalb einer halben Stunde werden einem 14 verschiedene Gruppenzeitungen | |
angeboten, und die vorbeiziehenden Fahnen und Transparente wirken nach | |
einer Weile wie ein Beweis für die unzähligen Kombinationsmöglichkeiten der | |
26 Buchstaben des Alphabets. | |
„Der gemeinsame Nenner ist eben das Gedenken an Luxemburg und Liebknecht“, | |
sagt Sidar Carman vom Bundesverband der Migrantinnen, die gerade mit einer | |
der Böen um ihr Transparent ringt. Schließlich seien Luxemburg und | |
Liebknecht zwei wichtige VordenkerInnen „für diese Bewegung, die Welt | |
besser zu machen“, sagt Carman und hat damit den kleinsten gemeinsamen | |
Nenner im Selbstverständnis der TeilnehmerInnen wohl genau auf den Punkt | |
gebracht. | |
Noch schnell am Straßenrand ein paar Nelken kaufen, die hier von pfiffigen | |
Menschen für einen Euro das Stück angeboten werden. Dann das | |
Abschlussritual an der Gedenkstätte: Im Uhrzeigersinn zieht der | |
Menschenstrom zum Gedenkstein in der Mitte des Rondells. Blume ablegen, | |
Foto machen, und weiter geht’s im Fahnenmeer zur Erbsensuppe. | |
11 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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