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# taz.de -- Gedenken an Rosa Luxemburg: „Es gab eine reale Alternative“
> An diesem Wochenende wird Rosa Luxemburgs gedacht. Deren Politik erhalte
> durch den Kapitalismus der Gegenwart neue Aktualität, sagt die Soziologin
> Frigga Haug.
Bild: Gedenken an Rosa Luxemburg.
taz: Frau Haug, ist Rosa Luxemburg heute noch aktuell?
Frigga Haug: Sie ist wieder aktueller als sie es lange Zeit war. Die Zeit
des Kalten Krieges war eine Zeit der Kompromisse, die dem Kapitalismus
abgerungen werden konnten: der Wohlfahrtsstaat, in dem sich Gewerkschafter
und Kapitalisten an einen Tisch setzten und verhandelten, wie viel der
erwirtschafteten Reichtümer diese an jene, die ihn schufen, abzugeben
bereit waren. Und die Bereitschaft, etwas davon abzugeben, war durchaus da.
Denn es gab ja eine real existierende Alternative, und es sollte gezeigt
werden, dass Kapitalismus das attraktivere Modell war, auch für die
Arbeitenden.
Das hat sich ab den 1980er Jahren verändert.
Die Krise des Fordismus brachte diese Verhältnisse ins Wanken, und nach
1989 wurden fast über Nacht die alten Waffen hervorgeholt: Krieg den
Hütten, Friede den Palästen, wie Volker Braun 1989 schrieb. Für unsere
heutige Politik müssen wir nicht so sehr aus der Geschichte der Kompromisse
lernen, sondern aus den barbarischen Zeiten zu Beginn des Kapitalismus. In
dieser neuen Lage können wir wieder Rosa Luxemburgs Politik prüfen, ob ihre
Begriffe und Vorschläge, die in einem jungen wilden Kapitalismus passten,
in unsere neue Wildnis passen.
Was von Luxemburgs Konzepten lässt sich heute noch verwenden?
Sehr aktuell ist ihr Versuch, auf die Selbstermächtigung der Massen zu
setzen und damit auf Schulung und Bildung als zentrale Mittel der ständigen
Aufklärung und Re-Organisierung. Es ist schwierig, den Begriff Revolution
so einfach zu verwenden, wenn man nicht gerade ein Waschmittel anpreisen
will, sondern Gesellschaftsveränderung. Dennoch scheint mir ihr Konzept der
„revolutionären Realpolitik“ strategisch wichtig.
Worum geht es dabei?
Dabei geht es ihr darum, den Gegensatz von Reform und Revolution zu
verschieben in ein produktives Spannungsverhältnis. Mit den Begriffen
„Nahziel“ für reformerische Tagespolitik und „Fernziel“ für die
sozialistische Perspektive gibt sie einen Rahmen, in dem Politik alltäglich
handlungsfähig ist und zugleich die einzelnen Schritte auf das Fernziel
ausgerichtet sind wie Eisenfeilspäne auf einen Magneten.
Wie sind Sie auf Luxemburg gestoßen?
Während meiner Studienzeit, politisch aktiv im Sozialistischen Deutschen
Studentenbund, aber auch später in den Hochzeiten der Frauenbewegung oder
in meiner Zeit an der FU Berlin, lag Rosa Luxemburg tatsächlich außerhalb
meines Horizonts. In der Linken herrschte damals die Auffassung, sie habe
theoretisch nichts geleistet. Dann mehrte sich dazu noch die Kunde, sie
habe neben neben ihrer politischen Bedeutungslosigkeit ein wunderbar
weibliches Wesen gehabt und den Spatz auf der Fensterbank ebenso geliebt
wie die Katze zuhause.
Da wurde es Ihnen zuviel?
Ich lehrte damals in einem von Studentinnen organisierten Frauenseminar an
der Uni Hamburg. Wir empfanden eine solche Lesart als herabwürdigend und
beschlossen, schon feministisch aufmüpfig, sie selbst zu studieren, die
Geschichtsschreibung also nicht länger einer patriarchalen Kultur zu
überlassen.
Sie haben Rosa Luxemburg also zunächst aus einer feministischen Perspektive
studiert?
Rosa Luxemburg war keine Frauenrechtlerin. Sie machte Menschheitspolitik
und hielt keine eigene Frauenpolitik für nötig. Unser Ansatz, zunächst
einmal von den knapp 4.000 Seiten ihrer Schriften nur die Stellen zu lesen,
die von Frauen handelten, war denn auch ziemlich kontraproduktiv – das
wären nur 14 Seiten gewesen. An ihrem Ansatz für Frauenpolitik bedeutsam
ist ihr Zugang, statt auf Theorie auf Erfahrung zu setzen, auf Lernen durch
eigenes Tun, aufs Experiment, wo Neues erobert werden muss. Ihre Politik
setzt auf Alltag und langfristige Veränderung und verknüpft verschiedene
Bereiche. Das bietet einen Rahmen, in dem vom Frauenstandpunkt Politik in
allgemeiner Perspektive gemacht werden kann, ohne dass Frauen darin
verloren gehen.
Von Rosa Luxemburg kennen viele nur das Zitat „Freiheit ist immer die
Freiheit der Andersdenkenden“. Ist sie als Denkerin und Politikerin durch
dieses Zitat gut repräsentiert?
Helmut Kohl vertrat die Auffassung, dass dieser Satz das einzige und größte
war, für das Luxemburg in Erinnerung behalten werden sollte. Aber in diesem
Selbstverständnis macht der Satz aus einer Revolutionärin eine tolerante
Friedenstaube, liberal und standpunktlos von Kopf bis Fuß. In Wahrheit
stammt er aus der Kritik am Aufbau des Sozialismus nach der russischen
Revolution. Luxemburg wandte sich leidenschaftlich gegen das Diktat von
oben. Der Aufbau des Sozialismus, so sah sie es, sei unmöglich ohne
Diskussion zwischen unterschiedlichen Auffassungen, ohne Einbezug
schöpferischer Fantasie der vielen.
War das im Osten anders? Dort wurde Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts
jedes Jahr von Staats wegen gedacht.
Als ich 2007 eine Vortragsreise durch die Ex-DDR machte, um mein Buch über
Rosa Luxemburg vorzustellen, fragte ich an jedem Ort die Anwesenden, was
sie von Luxemburg wüssten. Ich wollte nicht zuviel verdoppeln. Alle
wussten, dass sie eine Märtyrerin war und daher jährlich Blumen und Kränze
zu ihrem Grab getragen wurden. Über ihre Auffassungen war nichts bekannt.
Im Staatssozialismus konnte man mit Luxemburgs Politik von unten nichts
anfangen. So waren sie auch weitgehend unbekannt und man erhob sie zur
Heiligen.
Das hätte ihr nicht gefallen.
Sie hätte dies unerträglich gefunden. Die Nichteinbeziehung der Massen, hat
sie geschrieben, führe am Ende zu einer Art bürgerlicher Diktatur. Sie
leite in Wirklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe, und eine Elite der
Arbeiterschaft werde von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den
Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig
zuzustimmen, im Grunde also eine Cliquenwirtschaft – eine Diktatur
allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur
einer Handvoll Politiker, also Diktatur im rein bürgerlichen Sinne, schrieb
sie.
Bei einer der Luxemburg-Demonstrationen kurz vor der Wende wurde ein Plakat
mit eben jenem Zitat getragen. Hat sich die Opposition in der DDR auf
Luxemburg bezogen?
Ich kenne keine expliziten Bezugnahmen von Oppositionellen auf Rosa
Luxemburg. Da Stalin Luxemburg ja verurteilt hätte, wäre wohl jeder direkte
Bezug als Luxemburgismus verurteilt worden. Auch ihre Schriften wurden in
der DDR überhaupt erst zwischen 1970 und 1975 in der DDR aufgelegt.
10 Jan 2014
## AUTOREN
Juliane Schumacher
## TAGS
Demonstrationen
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