# taz.de -- Blasphemie in der Rechtsprechung: Lästern ist erlaubt | |
> Der Blasphemieparagraf ist eine Strafnorm, die vor allem symbolische | |
> Bedeutung hat. Denn der §166 StGB wird kaum noch angewandt. | |
Bild: Dieter Nuhrs Lästerei: „Die Hälfte der arabischen Patente sind wohl S… | |
Die Konflikte mit mehr oder weniger fundamentalistischen Muslimen, die sich | |
über Karikaturen ihres Propheten Mohammed erregen, haben ihren | |
Ausgangspunkt im Vorwurf der Gotteslästerung. Wer religiöse Bekenntnisse | |
öffentlich und friedensgefährdend beschimpft, muss mit Haft bis zu drei | |
Jahren oder Geldstrafe rechnen, heißt es dazu in Paragraf 166 des deutschen | |
Strafgesetzbuches. Vor deutschen Gerichten spielte der reformierte | |
Blasphemieparagraf in den vergangenen Jahrzehnten aber kaum noch eine | |
Rolle. | |
Lange galt Gotteslästerung als das schwerste aller Verbrechen. Gott war wie | |
eine Person geschützt. Er galt zwar als allmächtig, aber doch kränkbar und | |
reizbar. Wenn er geschmäht wurde, wollte man ihn durch Bestrafung des | |
Sünders versöhnen, damit nicht sein Zorn über das ganze Land kommt. In | |
vielen Kulturen war und ist das Delikt mit der Todesstrafe bedroht, im | |
spätrömischen Recht war es nicht anders. | |
Erst mit der Aufklärung wurde diese Vorstellung zurückgedrängt. Anselm von | |
Feuerbach, der Begründer des modernen deutschen Strafrechts, schrieb 1801 | |
in seinem Lehrbuch: „Dass die Gottheit injuriert [beleidigt] werde, ist | |
unmöglich; dass sie wegen Ehrenbeleidigungen sich an Menschen räche, | |
undenkbar; dass sie durch Strafe ihrer Beleidiger versöhnt werde, Torheit.“ | |
Im deutschen Reichstrafgesetzbuch von 1871 findet sich bereits ein | |
Vorgänger des heutigen Paragrafen 166. Er bestraft die Gotteslästerung zwar | |
noch, aber nicht mehr als Tat gegen Gott, sondern als Beschimpfung einer | |
Kirche oder Religionsgemeinschaft. | |
Diese Konzeption hielt sich bis zur Liberalisierung des deutschen | |
Strafrechts im Jahr 1969. Seitdem ist die Beschimpfung von religiösen | |
Bekenntnissen nur noch strafbar, wenn sie „geeignet ist, den öffentlichen | |
Frieden zu stören“. Geschützt werden also nicht mehr die Ehre der Kirche | |
oder die religiösen Gefühle der Gläubigen, sondern geschützt wird das | |
friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft. | |
## Der öffentliche Friede ist nicht gestört | |
Die bayerische Staatsregierung und die CSU haben diese Reform bis heute | |
nicht wirklich akzeptiert. So unternahm die Union auf Druck der CSU 2000 im | |
Bundestag einen Versuch, die einschränkende Friedensklausel wieder | |
abzuschaffen. Begründung: „90 Prozent der Strafanzeigen von betroffenen | |
Christen werden mit dem Hinweis zurückgewiesen, der öffentliche Friede sei | |
nicht gestört“, sagte der CSU-Abgeordnete Norbert Geis damals im Bundestag. | |
Unbehelligt dürfe der gekreuzigte Jesus Christus als „Balkensepp“ oder als | |
„Lattengustl“ bezeichnet werden, kritisierte die Union. | |
Doch SPD, Grüne und PDS lehnten den Gesetzentwurf 2002 ab. Man müsse | |
verhindern, dass künftig Salman Rushdie, der verfolgte Autor der | |
islamkritischen „Satanischen Verse“, auch in Deutschland bestraft werden | |
könne, argumentierten die Parteien. | |
2007 unternahm Bayern einen neuen Anlauf im Bundesrat. Anlass war damals | |
die MTV-Zeichentrick-Serie „Popetown“, bei der ein infantiler Papst von | |
drei kriminellen Kardinälen gesteuert wird. In der Werbung zu der | |
Fernsehserie war ein amüsierter Jesus vor dem Fernseher zu sehen, im | |
Hintergrund das leere Kreuz und dazu der Text: „Lachen statt rumhängen“. | |
Doch auch dieser Anlauf der CSU für eine Strafverschärfung scheiterte, der | |
Entwurf versandete schon in den Ausschüssen der Länderkammer. Selbst die | |
katholische Kirche unterstützt solche Vorstöße nicht mehr, wie der Aachener | |
Weihbischof Johannes Bündgens auf dem Anwaltstag 2013 versicherte. | |
Auf der anderen Seite gibt es aber auch schon lange Forderungen, den | |
Paragrafen 166 völlig abzuschaffen. Über Religion müsse genauso frei | |
geschimpft, gespottet und gelacht werden können wie über politische | |
Parteien, Showstars oder Fußballvereine. Auch diese mögen manchem heilig | |
sein, aber in einer freien pluralistischen Gesellschaft muss man mit der | |
Meinungs- und Kunstfreiheit der anderen Bürger leben. | |
## Kein Schutz vor Kritik und Spott | |
So argumentierte etwa der 2014 verstorbene Winfried Hassemer, einst | |
Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Die Religionsfreiheit schütze | |
zwar vor Eingriffen in die eigene Religionsausübung, sie schütze aber nicht | |
vor Kritik und Spott. Es genüge, wenn die individuelle Beleidigung eines | |
Gläubigen („du Drecksmoslem“) strafbar ist oder die Volksverhetzung („h�… | |
alle Katholiken auf“). | |
Die Liberalisierungsforderung hatte zuletzt allerdings auch keinen großen | |
Schwung mehr. Denn es gab kaum noch Verurteilungen, worüber sollte man sich | |
da noch aufregen? Im Jahr 2012 zählte das Statistische Bundesamt gerade mal | |
sieben Verurteilungen wegen Beschimpfung religiöser Bekenntnisse sowie | |
Störung der Religionsausübung. | |
Eines der wenigen Strafurteile der letzten Zeit betraf einen Rentner aus | |
Nordrhein-Westfalen, den das Amtsgericht Lüdinghausen 2006 zu einer | |
Bewährungsstrafe verurteilte. Der Mann hatte Klopapapier-Rollen mit einem | |
Koranstempel bedruckt und wollte so zeigen, dass für ihn der Koran in die | |
Toilette gehört. Das Gericht nahm eine Gefahr für den öffentlichen Frieden | |
an, denn nach der provokanten Aktion hatte immerhin die iranische Regierung | |
protestiert. | |
Meist hört man von Paragraf 166 aber nur, wenn er einmal mehr nicht | |
angewandt wurde. So lehnte etwa Anfang 2012 das Amtsgericht | |
Berlin-Tiergarten schon die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen | |
Blogger ab, der die katholische Kirche als „Kinderficker-Sekte“ bezeichnet | |
hatte. Vor dem Hintergrund der Missbrauchsskandale müsse die Kirche | |
derartiges hinnehmen. Auch die Mohammed-Karikaturen können in Deutschland | |
gezeigt werden, weil sie von der Kunstfreiheit geschützt sind, entschied | |
das Oberverwaltungsgericht Berlin 2012. | |
## Der Fall Dieter Nuhr | |
Besonders absurd war ein Zwischenfall im Oktober letzten Jahres. Ein Moslem | |
aus Osnabrück hatte den Kabarettisten Dieter Nuhr wegen Beschimpfung des | |
Islams angezeigt. Ganz Deutschland war empört. Die Süddeutsche Zeitung | |
widmete dem Thema sogar einen Leitartikel: „Weder Bibel noch Koran stehen | |
über dem Grundgesetz.“ Die Staatsanwaltschaft prüfte die Anzeige aber nur | |
kurz und stellte nach einigen Tagen das Verfahren gleich wieder ein. Es | |
handele sich bei Nuhrs Lästereien („die Hälfte der arabischen Patente sind | |
wohl Steinigungsautomaten“) erkennbar um Satire. | |
Zurzeit haben wir ein rechtspolitisches Patt. Die Befürworter einer | |
Verschärfung und die Protagonisten der Abschaffung von Paragraf 166 halten | |
sich die Waage. Auch der deutsche Juristentag sprach sich 2014 für eine | |
unveränderte Beibehaltung aus. Die Strafnorm habe derzeit zwar vor allem | |
symbolische Bedeutung, gebe aber religiösen Minderheiten ein Gefühl von | |
Sicherheit. | |
18 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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