| # taz.de -- Religionskritik in Demokratien: Gottes Liebe ist bitter | |
| > Religionen sind totalitäre Ideologien. Sie dürfen in einer Demokratie nur | |
| > existieren, solange sie täglich aufs Schärfste angegriffen werden können. | |
| Bild: Totalitär trotz Bedeutungsschwund: eine christiliche Kirche zur Krippena… | |
| Dass es China gibt, beweist, dass es auch Gott gibt. So sieht es zumindest | |
| der Prediger. Wenn jemand nicht daran glaube, dass der Allmächtige | |
| existiere, weil er noch nie gesehen worden sei, sagte der Prediger, so | |
| solle man diesen Jemand doch einmal fragen, ob er glaube, dass es China | |
| gebe. Dieses Land haben die meisten Menschen auch noch nicht gesehen, | |
| trotzdem zieht niemand seine Existenz in Zweifel. | |
| Mich verblüffte gar nicht so sehr die geistige Schlichtheit, die der | |
| Prediger in der Al-Nur-Moschee in Berlin-Neukölln seinen Zuhörern | |
| angedeihen ließ – und ja, das ist die Moschee, in der in den Zeitungstexten | |
| und Fernsehberichten aus der Hauptstadt immer die Salafisten beten. Mich | |
| verblüffte, dass ich diese Herleitung so gut kannte. Aus meiner Jugend in | |
| meiner eigenen Kirche, einer christlichen Gemeinschaft, die es verstand, | |
| die spartanische Optik des Protestantismus mit der hierarchischen | |
| Organisation des Katholizismus zu verbinden. | |
| Mir wurde Gott schon mit Afrika, Australien und Feuerland bewiesen. Braucht | |
| es da noch Blasphemie, die Beleidigung von Göttern und Propheten, wenn | |
| Religionen sich selbst derart lächerlich machen? | |
| Ja, unbedingt. Vielen religiösen Menschen würde sonst einiges von dem | |
| Irrwitz entgehen, der sich im Namen ihres Glaubens so abspielt. Und | |
| außerdem, wie sonst sollte eine offene Gesellschaft eine Religion in ihrer | |
| Mitte ertragen können? Offene Gesellschaften, und als eine solche verstehen | |
| sich die europäischen gern, beruhen schließlich darauf, dass alles | |
| verhandelbar sein muss. Es gibt keine Gewissheiten. Demgegenüber behaupten | |
| Religionen höhere, übermenschliche Wahrheiten, sie haben etwas im Kern | |
| Unverhandelbares. Etwas Totalitäres. | |
| Mit einer offenen Gesellschaft ist das unvereinbar. | |
| Im religiös begründeten Terror wird diese Unvereinbarkeit besonders grell | |
| ausgeleuchtet und am besten sichtbar. Aber sie ist auch schon recht gut zu | |
| erkennen, wenn eine orthodoxe jüdische Zeitung von den gestellten Fotos des | |
| Trauermarsches der PolitikerInnen in Paris die Frauen wegretuschiert. | |
| ## Die süße Versuchung des Hasses | |
| Mit der Religion XY habe das aber eigentlich nichts zu tun, verlässlich | |
| findet sich für diesen Satz immer ein Sprechautomat. Was ist denn das, die | |
| Religion, der Islam, das Christentum, der Hinduismus? Die in den Schriften | |
| niedergelegte Theorie, die sich oft in Abwertungen jener ergeht, die nicht | |
| ins Gefüge passen wollen. Ungläubige, Frauen, Homosexuelle? | |
| Oder die Praxis? Das, was der Mensch aus dem Text macht? Die christlich | |
| bemäntelten Massenmorde an Juden in Europa? Die Terrorkriege zwischen | |
| Katholiken und Protestanten in Nordirland? Selbst die gern als harmlose | |
| Grinsegläubige verstandenen Buddhisten schafften es 2013 in Myanmar, ein | |
| antimuslimisches Pogrom mittleren Ausmaßes auf die Beine zu stellen. | |
| Myanmar ist weit weg, die Kreuzzüge wurden schon länger nicht mehr | |
| verfilmt. Und so erzählen sich Menschen beruhigend, die Religion sei | |
| zivilisiert worden. Das Christliche hat hierzulande an Macht verloren, das | |
| stimmt. Sein Verdienst war diese Schwäche nicht, die Kämpfe | |
| jahrhundertelang und blutig. Das Religiöse klammert sich an seine Macht, | |
| das war am Streit über das Kruzifix in bayerischen Klassenzimmern zu sehen | |
| und ebenso immer dann, wenn sich die Religiösen gegenseitig beispringen, um | |
| angebliche Schmähungen zu beklagen. Sie wollen keinen weiteren Verlust | |
| ihres Einflusses dulden, und wie sollten sie auch, alles andere wäre | |
| Selbstaufgabe. | |
| Am totalitären Kern der Religionen hat das Schwinden der eigenen Kraft | |
| nichts geändert. Es gibt immer noch die höhere Wahrheit, jene, die sie | |
| erkannt haben, und die anderen, die das leider nicht schaffen. Die | |
| Zumutungen der Vielfalt werden allenfalls zähneknirschend hingenommen – wie | |
| von Gelehrten der Al-Azhar-Universität in Kairo, die Muslime dazu aufrufen, | |
| die neuen, nach dem Anschlag entstandenen Mohammedkarikaturen in der | |
| Zeitschrift Charlie Hebdo zu ignorieren. Die Gläubigen sollten der | |
| „Versuchung des Hasses“ widerstehen. | |
| ## Abtreibungsgegner in den USA: Im Zweifel mit der Waffe | |
| Ach ja, die süße Versuchung des Hasses. Die Liebe von Glaubensbrüdern kann | |
| allerdings ebenso bitter sein. Eine Frau, die ich vor Jahren kennenlernte, | |
| als ich sie für meine Kirche missionieren sollte, flehte den Priester, den | |
| ich begleitete, an, dafür zu sorgen, dass „die mich nicht kriegen“. Die – | |
| das waren die Anhänger der Konkurrenz, welche die Frau lieber psychisch | |
| erledigen wollten, als ihre Seele mit uns Ungläubigen den direkten Weg zur | |
| Hölle entlangspazieren zu lassen. Im umgekehrten Fall hätten aber auch wir | |
| die Stalker sein können, immer im festen Glauben, wir würden ein Schäfchen | |
| unserer Herde retten. | |
| Von großer Zuneigung für fehlgeleitete Seelen getragen sind auch die | |
| Abtreibungsgegner in den USA, die Menschen im Zweifel mit der Waffe von | |
| falschen Ideen abbringen. Die US-amerikanische Gesellschaft hat es auf die | |
| sanfte Tour versucht mit den Religionen, da wird im Mainstream möglichst | |
| gar nicht beleidigt, die Karikaturen aus Charlie Hebdo haben viele | |
| US-Medien zensiert. Das Scheitern dieses Weges ist offensichtlich, die | |
| ausschließenden Eigenschaften von Religion treten dort machtvoll zutage, | |
| befördern Gewalt, nehmen zerstörerischen Einfluss auf Politik. | |
| Glaube muss lächerlich gemacht werden dürfen, wenn er in demokratischen | |
| Gesellschaften existieren will. Es ist die einzige Möglichkeit, das | |
| Unverhandelbare, die höhere Wahrheit auf Augenhöhe herunterzuholen und, | |
| eben weil sie sich so hoch oben wähnt, auch noch ein bisschen weiter nach | |
| unten. Eine Sicherheit für alle, die nicht glauben, und jene, die anders | |
| glauben, eine beständige Prüfung, dass Religion XY immer noch so schwach | |
| ist, dass sie es nicht wagen kann, sich in das Leben derer einzumischen, | |
| die ihre Glaubenssätze nicht teilen. | |
| Es ist nämlich nur eine Annahme, religiöse Terroristen wie jene aus Paris | |
| seien Irre, aus der Steinzeit herübermarodierende Horden, überfordert von | |
| der Moderne, Anachronismen. Wer weiß, vielleicht sind sie die Avantgarde | |
| einer neuen religiösen Inbrunst. Geschichte bedeutet nicht steten | |
| Fortschritt in einem westlichen Sinne. Die radikaleren Glaubensbranchen, ob | |
| sie sich nun evangelikal oder salafistisch nennen, erfreuen sich wachsenden | |
| Zuspruchs. | |
| Der Preis ist, dass Gefühle verletzt werden. Man kann sich wünschen, die | |
| Beleidigungen wären kenntnisreicher und weniger blöde. Ein Recht darauf | |
| gibt es nicht. | |
| 17 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Schulz | |
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