# taz.de -- Boykott der Fashion Week: „Wir nähen Kleider, keine Mode“ | |
> Die Textilunternehmerin Sina Trinkwalder kommt nicht zur Berliner Fashion | |
> Week. Die Messe habe nichts mit nachhaltiger Wirtschaft zu tun, so ihre | |
> Kritik. | |
Bild: Es gibt Textilunternehmer, die halten die Berliner Fashion Week für übe… | |
taz: Frau Trinkwalder, Sie schneidern Ökomode, kommen aber nicht zur | |
Berliner Fashion Week. Haben Sie Angst, dass Ihre Kollektion nicht hipp | |
genug ist, und scheuen die Konkurrenz? | |
Sina Trinkwalder: Ich sehe nicht ein, viel Kohle auszugeben für einen | |
schicken Showroom, nette Mädchen und Häppchen. Wir produzieren Bekleidung, | |
keine Mode. Mode ist das, was nach vier Wochen schon wieder out ist. | |
Bekleidung lässt sich drei oder fünf Jahre lang tragen. | |
Auf der Messe präsentiert sich aber auch ein kleines wachsendes Segment | |
grüner Mode. Müssten Sie nicht dabei sein, um zu zeigen: Es geht auch | |
anders? | |
Das ist doch alles nur hübsch, hat aber nichts mit nachhaltiger Wirtschaft | |
zu tun. Wer sauber, sozial und ökologisch wirtschaften will, muss dort | |
produzieren, wo die Ware gebraucht wird, und eine regionale | |
Wertschöpfungskette aufbauen. | |
Sie wollen die gesamte Textilproduktion wieder nach Deutschland holen? | |
Das geht. | |
Im kleinen Stil vielleicht, aber im großen? | |
Wir produzieren zig Millionen Teile im Jahr. Das ist doch nicht klein. Das | |
ist aber sowieso keine Frage der Größe, sondern eine des Willens. | |
Wenn Sie die Alternative zu Textilkonzernen wie H&M und Primark sein | |
wollen, müssen Sie größer werden – wollen Sie zum Beispiel eine eigene | |
Ladenkette gründen? | |
Wir sind in den letzten vier Jahren von 0 auf 150 Mitarbeiter gewachsen. | |
Das ist doch schon mal eine ordentliche Nummer. Vielleicht machen wir auch | |
mal ein paar Läden auf. | |
Ihr Sortiment ist aber beschränkt. In Ihrem Onlineshop findet sich kein | |
Herrenanzug. | |
In unserem Werkverkauf bieten wir bereits hochwertige Anzüge an, aber unter | |
öko-sozialen Bedingungen produziert. Und in zwei Monaten wird es die auch | |
im Onlineshop geben für bis zu 300 Euro. | |
Was kostet eine Jeans bei Ihnen? | |
Die Jeans kostet 79 Euro. Die kann sich jeder leisten und ist komplett in | |
Deutschland hergestellt. | |
Wie passt es zusammen, dass Sie Biobaumwolle aus Tansania und der Türkei | |
holen, aber erklären, Ihre Produkte seien „radikal regional“? | |
Die Baumwolle wächst hierzulande nun mal nicht. Das ist aber auch das | |
Einzige. Der Hanf kommt aus Bayern, an den Feldern fahre ich zweimal im | |
Jahr vorbei. Das Leder kommt ebenfalls aus Bayern. Das sind Abfälle aus | |
zwei Schlachthöfen. Die Schurwolle kommt vom Schäfer, der drei Kilometer | |
entfernt von unserer Fabrik 600 Schafe hat. Die Reißverschlüsse werden in | |
der Nähe von Frankfurt gemacht, die Knöpfe im Schwäbischen, und der | |
Nähfaden kommt aus dem baden-württembergischen Dietenheim. | |
Frau Trinkwalder, jeder kauft ungefähr 60 Kleidungsstücke im Jahr, 30 davon | |
werden kaum getragen. Wäre es nicht besser, alte Kleider zu recyceln, | |
anstatt immer neue Stoffe zu verarbeiten? | |
Jeder sollte nur kaufen, was er wirklich braucht! Wir machen bereits aus | |
Jeans wieder Jeans. Das geht aber nur bei 100 Prozent Naturfaser. Sobald | |
Elasthan mit in der Hose steckt – wie heute in nahezu jeder Jeans –, | |
funktioniert das nicht mehr. Dieses Plastik verstopft die Spinnmaschinen | |
und lässt sich nicht mehr homogen färben. | |
Den Textilarbeiterinnen in Südostasien, wo das Gros der T-Shirts und Hosen | |
gemacht wird, hilft das alles nicht. Wo sind die Grenzen Ihres Konzepts? | |
Bei der Marktlogik und den Machtverhältnissen. In den heutigen | |
Produktionsländern sind die Regierungen gefragt, Auflagen zu machen, und | |
die Firmenchefs der Labels. Diese ziehen sofort weiter, wenn sie ihre Marge | |
gefährdet sehen. Die erwarten mindestens 20 Prozent, während ich mit 3 bis | |
4 Prozent hinkomme. Da hilft auch nicht das von Entwicklungsminister Gerd | |
Müller nach dem Einsturz der bengalischen Textilfabrik Rana Plaza ins Leben | |
gerufene Textilbündnis. Es macht keiner mit, weil es ihm an den Geldbeutel | |
ginge. | |
20 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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