# taz.de -- Gerben ohne Chromsalze: Für Schuhe und das gute Gewissen | |
> Das Gerben von Leder ist oft eine Umweltsauerei. Eine kleine schwäbische | |
> Firma setzt auf die Öko-Variante. Ihre Hauptwaffe: Olivenblätter. | |
Bild: Für den Gerbextrakt braucht es nur die Blätter, nicht die Früchte. | |
Wieso Chemie, wenn es doch auch natürlich geht? Das ist eine Frage, die | |
gerade in der Lederpoduktion besonders auf der Hand liegt. Beispiel | |
Zalando: Im Frühjahr 2014 musste der Internethändler 1.500 Schuhpaare | |
zurückrufen – weil sie chrombelastet waren. Mit Chrom wird Leder gegerbt. | |
Das Mineralsalz ist in einer seiner Unterformen, die zum Beispiel durch | |
starke Hitzeeinwirkung entstehen kann, krebserregend. | |
Das Unternehmen wet-green aus dem baden-württembergischen Reutlingen hat | |
dagegen eine Öko-Alternative in der Hand: einen biologisch abbaubaren | |
Gerbstoff aus Olivenblättern. Man könnte ihn in verdünnter Form sogar | |
trinken, wenn er nicht so bitter wäre, behauptet Heinz-Peter Germann, | |
Leiter der Produktentwicklung bei wet-green. | |
„Eine echte Revolution“ nennt Germann das Produkt. Er ist promovierter | |
Eiweiß-Chemiker und hat den natürlichen Gerbstoff mitentwickelt. Seit 25 | |
Jahren beschäftigt er sich mit der Ledergerbung. Vor neun Jahren hat | |
Germann in einem Projekt mit Kollegen lange nach Ersatzstoffen gesucht. Ein | |
Extrakt aus Olivenblättern, fanden sie heraus, kann Chemikalien in der | |
Gerbung ersetzen. Die natürlichen Gerbstoffe lagern sich in der Tierhaut | |
ein und stabilisieren die Eiweißverbindungen, das sogenannte Kollagen. Das | |
Leder wird haltbar und geschmeidig. | |
Doch kann eigentlich etwas eine Revolution sein, was schon zu Zeiten Martin | |
Luthers der Normalfall war? Denn eigentlich ist die natürliche Gerbung ja | |
nun wahrlich nichts Neues. Schon vor Jahrhunderten hat man Leder mit | |
Eichen- oder Mimosa-Rinde oder Kastanienholz gegerbt. Ab 1900 etwa wurde | |
dann die Chromgerbung erst zur industriellen Alternative. | |
## Die Gewinnung von Chromsalzen ist sehr energieaufwendig | |
Heute, so gibt es der Fachverband Tegewa an, wird bei der Ledergerbung | |
dagegen weltweit in 80 bis 85 Prozent der Fälle mit Chrom gearbeitet – beim | |
kleinen Rest wird mit alternativen Chemikalien gearbeitet. Naturstoffe? | |
Selten zu finden. Dabei ist die Chromsalzgewinnung, zum Beispiel in | |
Südafrika, energieaufwendig und produziert ein Vielfaches an Reststoffen. | |
Germann stellt einen Plexiglaskasten voller Olivenblätter auf den Tisch und | |
greift hinein. Es raschelt. Die Olivenblätter sind nach dem Baumschnitt | |
übrig oder fallen beim Abschütteln der Oliven auf die Erde. Daraus entsteht | |
das Extrakt, das dunkel ist wie Zuckerrübensirup und genauso süß duftend. | |
Für die Anwendung des Olivengerbstoffs müssen die Anlagen in Fabriken nicht | |
umgerüstet werden. | |
Obwohl das gepriesene Produkt die Welt womöglich ein Stückchen besser | |
machen könnte, möchte die Firma ihr Patent aber nicht so einfach aus der | |
Hand geben. Die Gerbung mit dem Extrakt ist bislang nach Germanns Angaben | |
allerdings 5 bis 15 Prozent teurer als die Gerbung mit Chrom, weil der | |
Stoff in vergleichsweise kleinen Mengen hergestellt wird. Wet-green hält | |
das Patent und will behutsam wachsen. | |
Die Firma vertreibt den Oliven-Gerbstoff bisher nur an wenige Gerbereien, | |
Germann nennt eine aus Deutschland und eine aus der Slowakei, deren ganzer | |
Produktionsablauf ökologischen Kriterien entspricht. Er will nicht, dass | |
„Olivenleder“ zur Mogelpackung wird. Das Produkt soll ein Statement gegen | |
toxische Verfahren sein. Einige Premium-Möbelhersteller und ein | |
Autoproduzent verwenden bereits Olivenleder und werben damit: Den BMWi3, | |
ein Elektroauto, gibt es zum Beispiel mit Olivenlederausstattung. Warum | |
nicht auch andere? | |
## Genug Olivenblätter sind da | |
Verfahrenstechniker und Chemiker Michael Braungart, ein Vordenker in Sachen | |
Kreislaufwirtschaft, sagt, das Verfahren komme für die deutsche und | |
europäische Lederindustrie zu spät. Die Branche ist in den vergangenen | |
Jahrzehnten wegen hoher Lohnkosten hierzulande stark eingebrochen. | |
Dabei wären die Ressourcen für mehr Natur-Gerbung vorhanden: Was im | |
Mittelmeerraum an Olivenblättern anfällt, reicht Germanns Berechnungen | |
zufolge, um Gerbstoff für bis zu 40 Prozent der Weltlederproduktion | |
herzustellen. Aber er sei kein Träumer, sagt er schließlich. Germann würde | |
sich freuen, wenn bald ein Promille dieses Potenzials ausgeschöpft wird. | |
Das wäre vielleicht ein kleiner Schritt für die Menschheit – aber für die | |
Firma wet-green sicher ein gutes Geschäft. | |
11 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Lena Müssigmann | |
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