# taz.de -- Die Streitfrage: „Wir sind sehr selbstbezogen!“ | |
> Ist das Abendland hysterisch? Auf jeden Fall nehmen wir uns zu wichtig, | |
> findet die Sozialpsychologin Andrea Abele-Brehm. Volker Beck | |
> widerspricht. | |
Bild: Pegida, Bärgida, Legida, Magida, Kögida: Wie hysterisch ist das Abendla… | |
Seitdem rechte Demonstranten durch die Städte ziehen und im Namen von | |
Pegida, Bärgida und Legida die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes | |
beschwören, fragt man sich doch: „Ist das Abendland eigentlich hysterisch?“ | |
Die Ereignisse der letzten Woche unterstreichen diesen Gedanken jedenfalls: | |
Terrortweet mit anschließendem Demo-Verbot und die Einschränkung des | |
Versammlungsrechts. | |
Doch bevor man fragt, ob und wie hysterisch das Abendland ist, sollte man | |
wissen, was das überhaupt bedeutet. Oft sind Hysteriker auf ein Publikum | |
angewiesen. Denn sie sind innerlich unsicher und benötigen die Bestätigung | |
von außen. Jemanden, der sagt: „Du bist ganz toll!“ Häufige Synonyme sind | |
übrigens: ichbezogen, geltungsbedürftig und unreflektiert. | |
Hier knüpft Andreas Zick an. Er ist Sozialpsychologe an der Universität | |
Bielefeld und weiß, dass Hysterie oft mit Geltungssucht einhergeht. Zur | |
Streitfrage der taz.am wochenende sagt er deshalb: „Diese Geltungssucht | |
findet man bei jenen, die die Verteidigung des Abendlandes für sich in | |
Anspruch nehmen.“ Durch diese Ich-Bezogenheit, meint Zick, übersehe man | |
aber, dass das Abendland bunt geworden sei und es noch andere Menschen | |
gebe, mit denen man sich beschäftigen und um die man sich kümmern müsse. | |
Tatsächlich hat eine Studie des „Sachverständigenrates deutscher Stiftungen | |
für Integration und Migration“ von 2014 ergeben, dass viele Deutsche – mit | |
und ohne Migrationshintergrund – gar nicht wissen, wie bunt das Abendland | |
ist. Nur zehn Prozent schätzen die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime | |
korrekt bei 3,8 bis 4,3 Millionen ein. „Wir sind sehr selbstbezogen“, sagt | |
auch Andrea Abele-Brehm, die Sozialpsychologie an der Universität | |
Erlangen-Nürnberg doziert. „Erst wenn uns ein,Problem' sehr nah kommt – | |
räumlich oder mental – beschäftigen wir uns damit“, sagt sie der taz.am | |
wochenende, „ansonsten haben wir lange Erfahrungen mit dem Ignorieren und | |
Wegschauen.“ | |
„Hysterisch? Im Gegenteil!“, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker | |
Beck zur Streitfrage. Es gibt nämlich nicht nur Menschen die wegschauen, | |
sondern viele die hinsehen. Selten wäre eine demokratische und positive | |
Empörungskultur in diesem Land so spürbar wie gerade, findet Beck. Ihm | |
gefällt, dass „jede Woche zehntausende Menschen für Demokratie, Freiheit | |
und gegen Menschenfeindlichkeit auf den Straßen demonstrieren.“ Und | |
tatsächlich waren in den letzten Wochen meist mehr Gegendemonstranten in | |
den deutschen Großstädten unterwegs als Pegida-Anhänger. | |
## Kritik an Polizei und Medien | |
Silvio Lang, Sprecher von „Nazi frei! Dresden stellt sich quer“ kritisiert | |
in der taz.am wochenende das Verhalten der Polizei. Am Montag hatte diese | |
die Demonstrationen in Dresden wegen einer Terrordrohung abgesagt. „Die | |
Dresdner Polizei hat auf jeden Fall mit ihrem generellen Versammlungsverbot | |
für Montag Hysterie auslösen wollen“, sagt Lang. Er glaubt, sie habe eine | |
diffuse Bedrohung bewusst hoch gepusht und überdreht, um davon abzulenken, | |
dass sie die reale Gefahr, ausgehend von Pegida, nicht mehr kontrollieren | |
könne. Zudem halte er die Aufmerksamkeit der Medien für die Rassisten von | |
Pegida für falsch. „Etwas weniger davon und etwas mehr Aufmerksamkeit für | |
die Opfer des Pegida-Rassismus wäre angebracht“, findet Lang. | |
Haben auch Polizei und Medien ihren Teil zur allgemeinen Hysterie | |
beitragen? Das findet zumindest Büsra Delikaya. Sie studiert Geschichte und | |
Germanistik an der Universität Potsdam und hat die Streitfrage bei Facebook | |
kommentiert: „Ohne diese systematische Panikmache würde erst gar keine | |
Hysterie ausbrechen.“ | |
Die Streitfrage „Ist das Abendland hysterisch?“ beantworten außerdem der | |
evangelische Jungendpfarrer Lothar König, die Religionspädagogin Lamya | |
Kaddor, der SPD-Politiker Burkhard Jung und der Historiker Heinrich August | |
Winkler – in der taz.am wochenende vom 24./25. Januar 2015. | |
Anmerkung: Dieser Text wurde an einigen Stellen korrigiert und präzisiert. | |
24 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Christine Stöckel | |
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