# taz.de -- Philosoph Gebauer über Sport-Spektakel: „Weit weg von der Erde“ | |
> Der Sport ist käuflich und die Handball-WM in Katar ist absurd, sagt | |
> Philosoph Gunter Gebauer. Aber er schätzt den kommunikativen Wert des | |
> Sports. | |
Bild: Schön bunt: Eröffnung der Handball-WM in Katar. | |
taz: Herr Gebauer, bei der Handball-WM in Katar finden die Spiele in | |
gigantischen Stadien vor überwiegend leeren Rängen statt. Wie pervers ist | |
das denn? | |
Gunter Gebauer: Das ganze Sportsystem in Katar ist pervers. Der moderne | |
Sport, insbesondere der Handball, hat gar keinen Ort in Katar, weil er die | |
Bewohner nicht interessiert. Zudem wurden diese großen Stadien gebaut - und | |
werden noch gebaut für die Fußball-WM 2022 - und mit Zuschauern gefüllt, | |
die für das Zuschauen bezahlt werden. Da werden ein künstliches Publikum | |
und eine künstliche Sportbegeisterung in einer künstlichen Sportwelt | |
geschaffen. | |
Ist dieser absurde Gigantismus ein Sonderfall, weil sich das reiche Katar | |
als Fußball-WM-Ausrichter 2022 profilieren will? | |
Katar ist die absolute Spitze des Gigantismus. Der unermessliche Reichtum | |
Katars wird benutzt, um die weltweite Aufmerksamkeit durch Sport zu | |
erreichen. Auf der anderen Seite muss Katar eine ganze Menge Athleten | |
einbürgern, damit überhaupt Mannschaften zustande kommen. Das ist ja kein | |
Wunder, Katar hat ja - abgesehen von der fehlenden Sporttradition - eine so | |
geringe Bevölkerungszahl, dass man nicht erwarten kann, dass so ein | |
winziger Wüstenflecken Bedeutsamkeit durch eigene Leistung erringen kann. | |
Dennoch könnte ein kleines Land nicht derartige Sportereignisse ausrichten, | |
wenn nicht das ganze internationale Sportsystem mitspielen würde. | |
Das beruht auf einer perfekten Harmonie der Gegenseitigkeit. Die | |
Sportverbände - insbesondere der Handball-Verband, der keine große Rolle in | |
der Welt spielt, aber gerne spielen möchte - sind alle geradezu geldgierig. | |
Wenn ihnen der Teppich ausgerollt wird und sie mit Reichtümern überschüttet | |
werden, das lässt die Herzen von Sportfunktionären höher schlagen. | |
Werden wirtschaftliche Interessen im Leistungssport mittlerweile höher | |
angesiedelt als die sportlichen Aspekte? | |
Das eine schließt das andere nicht aus. Sportliche Aspekte können in Katar | |
ja gewährleistet werden. Bayern München schwärmt von seinem Trainingslager | |
dort. Es wird alles getan, um die Sportler zufriedenzustellen, es wird noch | |
mehr getan, um die Funktionäre glücklich zu machen. Und dann können im | |
Fernsehen tolle Bilder entstehen. Das ist heute das Allerwichtigste, weil | |
ja vor Ort nur wenige Menschen als Zuschauer teilnehmen können. Die leeren | |
Ränge werden einfach von den Kameramännern aus dem Bild ausgeblendet. Aber | |
wenn die Welt insgesamt bedient wird mit wunderbaren Fernsehbildern, dann | |
ist ja alles in Ordnung für den Sport. Er ist einer der wichtigsten | |
Bilderproduzenten überhaupt, neben königlichen Hochzeiten und | |
Promi-Empfängen. | |
Und das Image eines Landes wie Katar profitiert davon? | |
Katar geht es um Symbolpolitik. Dieser Staat ist sehr jung und immens | |
reich, aber um eine Rolle in der Welt zu spielen, spielt der Emir geschickt | |
die Karte der Symbolpolitik. Der Sport ist ein ganz wichtiger Faktor für | |
diesen Sektor der Politik geworden. Das konnte man ja auch in Sotschi | |
sehen. Ausgerechnet dieses große Land Russland unter Putin meinte es nötig | |
zu haben, gewaltige Spiele zu veranstalten, um der Welt zu imponieren. Das | |
hat Beijing ja auch vorher schon gezeigt. Der Sport ist eine Möglichkeit, | |
in die Liga der großen, angesehenen und mächtigen Länder aufgenommen zu | |
werden. | |
War das früher nicht auch schon so? Olympia war immer auch Propaganda. | |
Diese Tendenz ist viel intensiver geworden. Natürlich war der Sport schon | |
immer ein Spektakel. Aber mit den Olympischen Spielen und den | |
Weltmeisterschaften ist etwas gekippt: die Zuschauerbeteiligung ist | |
ungeheuer angewachsen, die Geldströme haben ungeheuer zugenommen. Mit den | |
weltweiten Direktübertragungen im Fernsehen entsteht eine weltumspannende | |
Community, die sich das zusammen anschaut. Die ersten Olympischen Spiele, | |
die weltweit übertragen wurden, waren die aus Mexiko 1968. Damals konnte | |
ich als Weitspringer live in Berlin mit ansehen, wie Bob Beamon den | |
Fabelweltrekord aufgestellt hat, und sofort beschließen, dass ich meine | |
Weitspringerkarriere abbrechen würde. Ich will damit sagen: Man sieht | |
unglaubliche Dinge live, womöglich von einem anderen Kontinent, und alle, | |
die das gesehen haben, haben ein ähnliches Erlebnis gehabt, das heißt, man | |
kann sich austauschen. Der kommunikative Wert, die gemeinschaftsbildende | |
Funktion von Sport ist ungeheuer. | |
Und dann werden die schönen Bilder des Sports missbraucht. | |
Ja, weil es mit Hilfe des Fernsehens und der internationalen Medien möglich | |
ist, ein schönes Image des Veranstalterlandes herzustellen. Wenn die Spiele | |
losgehen - das ist ja eine alte Weisheit -, redet niemand mehr von den | |
politischen Schwierigkeiten oder Menschenrechtsverletzungen, sondern man | |
interessiert sich nur noch für den Sport. | |
Das IOC scheint diese Entwicklung auch bemerkt zu haben und hat kürzlich | |
die Agenda 2020 verabschiedet. In Zukunft sollen Olympiabewerbungen mit | |
geringeren Kosten und größerer Nachhaltigkeit bessere Chancen haben als | |
teure und aufgeblasene Event-Spiele. | |
Beim IOC ist es ja immer geboten, skeptisch zu sein. Das IOC hat im Laufe | |
der letzen 30, 40 Jahre das Selbstverständnis entwickelt, eine Art | |
Weltmacht zu sein. Eine andere Art Weltmacht als die UNO oder die USA, aber | |
auf dem symbolischen Gebiet eine führende Weltmacht. Man muss sich nur mal | |
ansehen, mit welchem Luxus und Aufwand IOC-Sessions stattfinden und mit | |
welcher Selbstverständlichkeit erwartet wird, dass die Politiker diesem | |
Gremium ihre Aufwartung machen. Aber immerhin: Im IOC hat man begriffen, | |
dass es so nicht weitergeht. | |
Olympiabewerbungen in Europa wurden zuletzt von Bürgern verhindert, zum | |
Beispiel in München oder in Oslo. | |
Der Schock für das IOC war, dass Oslo die Bewerbung zurückgezogen hat. | |
Damit hatte niemand gerechnet. Wenn solche Länder ausfallen, dann wird es | |
eng, denn dann ist die Gefahr groß, dass die Spiele nur noch in die Hände | |
von Oligarchen und Gewaltherrschern gehen, und das kann nicht im Sinne des | |
IOC sein. Damit verlieren sie mittelfristig ihre Autorität und ihre | |
Sponsoren. | |
Die Agenda 2020 kommt also weniger aus Überzeugung, sondern aus der Not | |
heraus? | |
Ja, sie kommt aus der Not heraus. Das IOC muss aufpassen, dass die Spiele | |
nicht nur in Ländern mit zweifelhaftem Ruf stattfinden. Damit verlieren sie | |
mittelfristig ihre Autorität und ihre Sponsoren. Das IOC hatte Glück, dass | |
London 2012 gezeigt hat, dass ein freiheitliches westliches Land in der | |
Lage ist, großartige Spiele zu organisieren. | |
Was halten Sie von den Bemühungen um Olympia von Berlin und Hamburg? | |
Ich finde, das wurde mit zu heißer Nadel gestrickt, vor allem die | |
Berlin-Bewerbung. Da ist zum Beispiel nicht einmal das kulturelle Angebot | |
Berlins erwähnt, worauf das IOC großen Wert legt. Dabei könnte Deutschland | |
es auch so gut machen wie London, aber es muss für die Bevölkerung glasklar | |
erklärt werden, warum man diese Spiele haben will. Man könnte in der Tat | |
sowohl in Berlin als auch in Hamburg bescheidene Spiele veranstalten. Das | |
wäre für das IOC ein gutes Angebot. | |
Gibt es eine Chance für den Sport, sich wieder zu erden? | |
Ich glaube, die großen Verbände tun gut daran, sich Länder zu suchen, die | |
sportliche Großveranstaltungen so organisieren wollen, dass sie nicht mehr | |
gigantisch sind, sondern dass sie für die Bürger eine Bereicherung | |
darstellen und für die Entwicklung eines Landes positiv sind. Geerdet wird | |
der Sport hingegen nicht mehr - der Sport ist seit einiger Zeit weit weg | |
von der Erde. Bestimmte Dinge wird man nicht mehr zurückbauen können, zum | |
Beispiel die unglaubliche Medienpräsenz. Damit lebt der Sport auch sehr | |
gut, das macht seine gewaltige Symbolik aus, und das muss man gar nicht nur | |
beklagen. Sport ist besser als Krieg und als Spannungen zwischen den | |
Ländern, es gibt eine Art Weltgespräch des Sports. Der Sport selber ist in | |
den Bereich von Show und Glamour gerutscht, viele scheinen sich dort wohl | |
zu fühlen. Der sportliche Wert selbst wird dadurch zurückgedrängt, aber | |
nicht entwertet. | |
24 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Jutta Heess | |
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