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# taz.de -- Zensur in Russland: Die letzte Warnung
> Russlands Kommunikationswächter verfolgen Journalisten willkürklich. Mal
> kämpfen sie für Gläubige, mal gegen sie. Hauptsache, die Kritiker sind
> still.
Bild: Solidarität mit „Charlie Hebdo“ vor der französischen Botschaft in …
Wenn Russlands staatliche Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor auf den Plan
tritt, dräut meist Ungemach. Das war im März vergangenen Jahres so, als die
Kommunikationswächter die Website des Oppositionsführers Garri Kasparow,
das Blog des Antikorruptionskämpfers Aleksei Nawalny sowie unabhängige
Kreml-kritische Onlinemedien lahmlegten.
Und das ist auch jetzt wieder so. Diesmal geht es um die Veröffentlichung
religionskritischer Karikaturen. Stein des Anstoßes für die komplett
humorfreien Behördenmitarbeiter war ein Beitrag unter dem Titel „Sag den
Journalisten, was al-Qaida ist“, den die Wirtschaftszeitung RBK daily am
15. Januar gedruckt und mit Zeichnungen aus dem französischen Satiremagazin
Charlie Hebdo illustriert hatte.
Die Verwarnung der Behörde an die Adresse von RBK daily, die im Falle einer
Wiederholung ein betroffenes Medium seine Lizenz kosten kann, begründete
Roskomnadsor wie folgt: Durch derartiges Material würden die religiösen
Gefühle von Muslimen verletzt und religiöser Hass geschürt. Das gleiche
Schicksal wie RBK daily ereilte im Januar auch neun Internetmedien, die
damit jetzt auf der Abschussliste stehen.
Die Journalisten – in Russland ein bisweilen lebensgefährlicher Beruf –
hätten es ahnen können. Denn bereits vor knapp zwei Wochen hatte die
Behörde eine entsprechende Erklärung abgegeben: „Die Veröffentlichung
solcher Karikaturen in russischen Medien verstößt gegen die ethischen und
moralischen Normen, die in Jahrhunderten ausgearbeitet wurden“, heißt es
da. Zudem könnten Mohammed-Karikaturen Verstöße gegen das Medienrecht und
Anti-Extremismus-Gesetze darstellen.
## Strafen für Solidarität
Die Causa Charlie Hebdo ließ übrigens nicht nur die Medien straucheln. Ein
Russe, der sich mit einem Schild mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ im
Zentrum von Moskau auf die Straße gestellt hatte, wurde wegen einer
unerlaubten Kundgebung zu acht Tagen Arrest verurteilt. Ein zweiter, des
gleichen „Vergehens“ für schuldig befunden, musste eine Geldstrafe in Höhe
von umgerechnet 265 Euro zahlen. Dies hatte jedoch Russlands Außenminister
Sergei Lawrow nicht daran gehindert, wenige Tage zuvor, am 11. Januar, bei
der historischen Solidaritätskundgebung für die Opfer des Anschlags auf
Charlie Hebdo, in Paris Gesicht zu zeigen.
Doch der Frankreich-Auftritt von Lawrow, einem „aufrechten Verteidiger“ der
Meinungsfreiheit, mutete auch noch in anderer Hinsicht skurril an.
Bekanntermaßen sind russische Behörden im Umgang mit Minderheiten – und
eben auch religiösen – nicht gerade zimperlich. Das zeigt nicht zuletzt der
alltägliche Umgang mit Menschen aus dem Kaukasus oder zentralasiatischen
ehemaligen Sowjetrepubliken, die als „Schwarzärsche“ verunglimpft und
bisweilen auch regelrecht gejagt werden. Die meisten von ihnen sind
Muslime, aber das kann ja auch ein Zufall sein.
Was Meinungsfreiheit im Reich von Präsident Wladimir Putin bedeutet,
durften auch die Mitarbeiter des tatarischen Fernsehsenders ATR auf der im
vergangenen März von Russland völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel
Krim erfahren. Am Montag dieser Woche führten Polizisten in der Redaktion
in der Hauptstadt eine Razzia durch und beschlagnahmten Server und anderes
technisches Gerät.
Dies ist wohl alles andere als ein Zufall. Denn die muslimischen, unter
Stalin deportierten Tataren sind den neuen Machthabern nicht wohlgesonnen
und berichten entsprechend kritisch. Fragt sich, wie lange noch. Einige
Medien der Minderheit wurden bereits zum Schweigen gebracht. Den Rest
erledigen die Tataren durch einen Wegzug vielleicht sogar selbst.
29 Jan 2015
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
Religionsfreiheit
Meinungsfreiheit
Charlie Hebdo
Zensur
Russland
Boris Nemzow
New York Times
Film
Paris
Gesetz
Russland
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drucken.
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