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# taz.de -- Russland und der Flim „Leviathan“: Sorge um das unbefleckte Rus…
> Der Film „Leviathan“ ist für den Oscar nominiert. Der Regisseur Andrei
> Swjaginzew wird in Russland der Nestbeschmutzung bezichtigt.
Bild: Szene aus „Leviathan“ von Andrei Swjaginzew.
Russlands bekanntester Satiriker brachte das Dilemma auf den Punkt: „Sie
wissen jetzt nicht, ob sie stolz oder beleidigt sein sollen“, kommentierte
Wiktor Schenderowitsch die Reaktion der russischen Kulturbürokratie auf die
Oscar-Nominierung des russischen Films „Leviathan“ in der Kategorie
ausländischer Film. Die Oberaufseher der Kultur steckten in einer
Zwickmühle, ob sie dem Regisseur einen Orden verleihen oder ihn doch lieber
gleich außer Landes verjagen sollen.
Eigentlich wäre die erste Nominierung für einen Oscar nach 46 Jahren ein
Grund stolz zu sein. „Krieg und Frieden“ war der letzte Film, der in
Hollywood ausgezeichnet wurde. Gewöhnlich zelebrieren russische
Massenmedien internationale Erfolge wie Ruhmesschlachten in aller Breite.
Niemandem soll es entgehen, dass Russland ein Land der Sieger ist.
Doch im Fall des Regisseurs Andrei Swjaginzew und seines „Leviathans“
obsiegte dann doch die Sorge um das richtige und unbefleckte Russlandbild
über die Bestätigung künstlerischer Schaffenskraft. Der Beobachter fühlt
sich zurückversetzt in die Zeit des sozialistischen Realismus, als die
Wirklichkeit in der Kunst einen schweren Stand hatte. Dahin zurück zieht es
nicht nur den russischen Kulturminister Wladimir Medinski, der dem
melancholischen Epos vom russischen Nordmeer vorhält, russische Stereotype
zu bedienen, um im Westen damit Erfolg zu haben.
Ein Sturm der Empörung brach los. Neue Regeln sollen demnächst verfügen,
dass Filme, die „die nationale Kultur verunglimpfen, die nationale Einheit
bedrohen und die Grundlagen der Verfassung unterminieren“ vom öffentlichen
Verleih ausgeschlossen werden. Das erfordert allerdings, dass aus dem
Kulturministerium ein Ministerium für Wahrheit wird.
## Wer keinen Dreck am Stecken hat
Worüber ist der konservative russische Zuschauer so aufgebracht, und was
stört die Machthaber an der realistisch melancholischen Erzählung des
russischen Lebens in der Provinz? Der Protagonist Nikolai führt in
„Leviathan“ einen aussichtslosen Kampf gegen den Bürgermeister eines
kleinen Orts. Um es vorwegzunehmen, diesen Kampf wird er verlieren, wie es
der Mehrheit der russischen Bürger auch im Leben widerfährt. Der Stadtobere
hat es auf Nikolais Meeresgrundstück abgesehen, wo dessen Familie schon
seit Generationen lebt. Am Ende verliert Nikolai nicht nur Grund und Boden,
sein Haus wird eingerissen, und er landet im Gefängnis.
Der Bürgermeister ist wie in natura aus einem „negativen Selektionsprozess“
hervorgegangen, der der Auswahl russischer Eliten zugrunde liegt. Dessen
ehernes Gesetz: Wer keinen Dreck am Stecken hat, ist chancenlos, denn er
kann Vorgesetzten gefährlich werden.
Diese Geschichte könnte auch woanders spielen. Tatsächlich lag dem Drehbuch
eine amerikanische Geschichte zugrunde. Dennoch ist es ein zutiefst
russischer Film. Das garantieren Stimmungen und Momente wie das
Verdammtsein zur Ausweglosigkeit, die Reflexion, die zur Marter wird, ohne
dem Protagonisten einen Weg zu weisen.
## Der geistliche Vater als trinkfreudiger Geschäftsmann
All das angereichert mit der Schäbigkeit des alltäglichen Verrats und dem
Alkohol als Russlands flüssigem Glaubensbekenntnis. Natürlich ist auch die
orthodoxe Kirche als Sinnstifter vertreten. Der geistliche Vater des
Bürgermeisters ist auch mehr trinkfreudiger Geschäfts- als Verbindungsmann
zum Höheren. Gerade diese abgeklärte Darstellung der orthodoxen Kirche, die
der Gesellschaft vorschreiben will, wie sie zu leben hat, und sich als
Inkarnation der Rechtschaffenheit gebiert, erzürnt die Gemüter.
Abgeordnete aus Samara, woher auch der schauspielernde Priester stammt,
fragten in einem offenen Brief, ob man den Schauspieler nicht zur
Verantwortung ziehen könne und solle. Der Petersburger Abgeordnete Witali
Milonow verlangte unterdessen, die staatlichen Fördergelder
zurückzufordern, weil der Film „verlogen und gegen das Volk gerichtet“ sei.
Milonow ist auch Initiator des Gesetzes über die Schwulenpropaganda.
Russlands „orthodoxer Realismus“ beunruhigt. Hoffentlich entpuppt sich
dieser nur als eine vorübergehend angenommene Rolle.
Kulturminister Medinski warnte unterdessen, dass er keine Filme mehr
fördern werde, die die Machthaber kritisieren und „auch noch bespucken“.
Filme, die „den Geist der Hoffnungs- und Sinnlosigkeit unseres Lebens
verbreiten“, hätten bei ihm keine Chance mehr. Denn er hätte weder sich
noch Kollegen und Freunde in den Charakteren des „Leviathan“ wiedererkannt.
23 Jan 2015
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Film
Russland
Russland
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
Oscars
Russland
Religionsfreiheit
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