# taz.de -- Kommentar Antisemitismus in Frankreich: Gradmesser der Freiheit | |
> Französische Juden, die vor zunehmendem Antisemitismus warnten, galten | |
> lange als eingebildete Kranke. Frankreich muss sein Selbstverständnis | |
> prüfen. | |
Bild: Wegen Schändung gesperrt: Der Zugang zum jüdischen Friedhof in Sarre-Un… | |
Seit Jahrhunderten galt die Frage, wie in einem Land die Juden akzeptiert | |
und integriert waren, als Gradmesser der Freiheit und der religiösen | |
Toleranz. Nach allem, was man aus der Geschichte weiß oder wissen sollte, | |
muss der Antisemitismus – und der Rassismus generell – als Symptom einer | |
kranken Gesellschaft betrachtet werden. | |
Die Diagnose klingt vor allem für Frankreich bedenklich, wo sich die Zahl | |
der antijüdischen Aggressionen im letzten Jahr verdoppelt hat, wie jene der | |
muslimfeindlichen Angriffe übrigens ebenfalls. | |
Wenn die französischen Juden aber vor dieser signifikanten Zunahme des | |
Antisemitismus gewarnt haben, wurden sie dennoch oft wie eingebildete | |
Kranke betrachtet und behandelt. Und falls sie wegen der aktuellen | |
Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus von der Judenverfolgung | |
während des Zweiten Weltkriegs sprachen, wurden sie oft einer spezifischen | |
Form von Paranoia verdächtigt. | |
Offensichtlich wollte man die Entstehung neuer Frontlinien nicht wahrhaben, | |
weil sie so gar nicht zum Selbstverständnis der Republik passen. | |
## Irrationale Feindbilder und rassistische Klischees | |
Trotz alarmierender und dramatischer Ereignisse wurde so der wachsende | |
Antisemitismus in Wirklichkeit unterschätzt. Mit den durch den | |
Nahostkonflikt geschürten Spannungen zwischen Gemeinschaften haben sich | |
irrationale Feindbilder und alte rassistische Klischees so weit verfestigt, | |
dass eine vernünftige Diskussion kaum noch möglich ist. | |
Viele jüdische Familien hätten noch vor zehn oder zwanzig Jahren niemals | |
gedacht, dass sie sich in ihrem eigenen Land wegen ihres Glaubens oder | |
ihrer Herkunft (wieder) bedroht fühlen würden. Deswegen nach Israel | |
auszuwandern erscheint den meisten aber schon darum nicht als annehmbare | |
Alternative, weil das einer Bankrotterklärung der Republik und einem Sieg | |
der Antisemiten gleichkäme. | |
16 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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