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# taz.de -- Kolumne Macht: Er mag Titten gar nicht
> Der Fall Katja Suding, FDP Hamburg, und Jörg Rupp: Dürfen Grüne
> umgangsprachliche Wörter für die weibliche Brust benutzen?
Bild: Büstenhalter: Wäschestück, das die weibliche Brust schützt und formt.
Jörg Rupp hatte das Sonntagabendessen gekocht und schaute Hamburg-Wahl, als
sein Landesvorsitzender anrief. Tittengate! Wegen eines Tweets von ihm.
„Mit Titten und Beinen anstatt Inhalten“, so hatte der grüne Gemeinderat
von Malsch bei Karlsruhe den Wahlerfolg von Katja Suding (FDP) bei der
Bürgerschaftswahl in Hamburg analysiert.
Wenn er Morddrohungen bekommt für sein Anti-Pegida-Engagement, interessiert
das kein Schwein, aber jetzt landet er auf dem Titel von Bild. Neben dem
riesigen Foto von Sudings Beinen steht sein Zitat, sein Name und das Wort
Skandal.
Was Inhalte sind, ist im Zusammenhang mit allen Parteien oft schwer zu
sagen. „Beine“ ist jedenfalls ein Begriff für die untere Extremität von
Mensch und Säugetier. Und „Titten“ ist ein umgangssprachlicher Ausdruck f�…
die weibliche Brust, der trotz Gründung der Grünen im Volk bis heute
nachhaltig verankert ist; geschlechterübergreifend. Aber von einem grünen
Mann als Wahlanalyse? Nicht nur Grüne, auch antisexistische Vorkämpfer wie
Kubicki (FDP) und Strobl (CDU) sind empört.
Rupp, 48, ist Mitglied des baden-württembergischen Parteirats. Er hat fünf
Söhne mit zwei Frauen (nacheinander). Tschernobyl und die Volkszählung
haben ihn Mitte der 80er politisiert. Dann ist er auch noch linker Grüner.
„Das ist in Baden-Württemberg schwer genug“, sagt er. Wer regiert, ist
immer Realo. Anders als sein Ministerpräsident Kretschmann zog er sich mit
20 sogar aus dem organisierten Faschingsbusiness zurück, weil ihn das
Saufen und der Sexismus dort anwiderten. Und jetzt das.
## Ein Kurzschluss
„ ’Titten‘ darf man als Grüner nicht sagen“, sagt Rupp am Telefon. Ein
Kurzschluss. Er möge den Ausdruck Titten selbst nicht. Weshalb er Suding
umgehend um Entschuldigung bat, was sie akzeptierte. Allerdings: „Von
meiner Kritik an der FDP-Kampagne lasse ich nicht ab.“
Rupp war im Grunde der Allerletzte, der der FDP und ihrer Spitzenkandidatin
vorwarf, mit „gutem“ Aussehen Wahlkampf zu machen. „Der Verdacht, dem
Äußeren mehr als den Inhalten verpflichtet zu sein“ – mit solchem Blabla
wurden die Seiten drei gefüllt, also das Heiligtum des
Qualitätsjournalismus. Die Welt fragte: „Mehr als Bein und Busen?“
Bildunterschrift: „Voller Körpereinsatz“.
So ging das ständig. Die angebliche Kritik an einem ARD-Kameraschwenk über
Sudings untere Extremitäten wurde (aus Gründen der Informationspflicht)
entsprechend bebildert. Eine Gala-Fotostrecke wurde dito rauf- und
runtergehechelt. Naserümpfend, kulturpessimistisch. Wo sind wir da nur
hingekommen?
Look at yourself. Den wichtigsten Beitrag zum FDP-Erfolg leistete weder
Sudings Körper noch ihr Geist, noch Gala, sondern die scheinheilige,
aufgegeilte und antipolitische Auseinandersetzung mit der Thematisierung
ihres „guten“ Aussehens durch sie selbst, die FDP und die anderen Medien.
Wir alle sind Gala. Die Sache ist ein erneuter Beleg, mit welcher
Besessenheit sich auch die angeblich kritische Medienöffentlichkeit an
Oberflächengedöns festbeißt.
Mit welcher Inbrunst es darum geht, potenzielles individuelles
Fehlverhalten zu geißeln, was Haltungen und Sprache angeht. Und wie blass
dagegen die Prozesse sind, die gleichzeitig die Welt wirklich – und zum
Schlechteren – verändern. Da sieht man mal, wie sehr grüne Politik
tatsächlich auf die Gesellschaft eingewirkt hat: Erst wenn der letzte
Titten-Sager abgeurteilt ist, kann sich das geläuterte Land dem Klimawandel
zuwenden. Also nie.
Im Übrigen bin ich nicht der Meinung, dass Katja Suding gut aussieht.
21 Feb 2015
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Katja Suding
Grüne
FDP
Freizügigkeit
Sexualstrafrecht
Grüne
Grüne
Peter Thiel
Schwerpunkt Pegida
Islamismus
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