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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Stichwort Oberflächenreizung
> Der Fall Katja Suding (II): Noch immer regen sich alle über die
> Hamburg-Wahl auf. Aber seit wann werden Wahlkämpfe mit sogenannten
> „Inhalten“ gewonnen?
Bild: Attraktivität spielt eine Rolle
Ich saß neben dem Mastermind eines deutschen Top-fünf-Politikers, als einer
am Tisch immer noch nach Luft schnappte vor Empörung über Katja Suding, die
große Wahlsiegerin von Hamburg. Die Leute wissen längst nicht mehr, wie der
Bürgermeister heißt, und den Namen der Grünen Spitzenkandidatin haben sie
nie gehört, aber über Suding regen sie sich immer noch auf.
Wiederauferstehung der FPD hin oder her, aber dem Wahlkampf hätten die
„Inhalte“ gefehlt, rief der Empörte. „Seit wann werden Wahlkämpfe mit
Inhalten gewonnen?“, brummte der Machtmanager und wandte sich dann
schleunigst ab. Inhaltsgeschwätz war ihm eindeutig zu unterkomplex
beziehungsweise unrealistisch.
Leider wahr: Inhalte langweilen, da hört kein normaler Mensch zu. Damit
meine ich nicht die anderen (Aldi-Kunden, Millionäre, Zeit-Leser). Wann
immer ich versuche, an links-grünen Tischkreisen über Politik zu reden,
werde ich bestenfalls verhöhnt („Jetzt wird es geopolitisch!“) . Wenn doch
mal jemand Gabriel sagt, folgt sofort Gewichtsdiskriminierung. Bei
Hofreiter Haardiskriminierung. Und wenn der Name Schwesig fällt, habe ich
gerade von Frauen noch nie gehört, dass eine fachpolitische
Bestandsaufnahme folgte.
Get real: Die Frau, die gut aussieht – das ist eine der wichtigsten
Geschichten der Welt, wie sie ist. Selbstverständlich spielt sie auch in
der Politik als eine Form der Oberflächenreizung eine Rolle. Suding hat das
genutzt und aus nichts, also der FDP, eine schöne Geschichte gemacht.
Das ist der Punkt: Man braucht keinen schönen Menschen, sondern er muss
eine schöne Geschichte hergeben. Deshalb wird Frank Steinmeier nie im Leben
eine Wahl gewinnen. Steinbrück hatten die deutschen Linksliberalen eine
Geschichte verpasst: Der ist ja gar kein Linker. Das war ihnen ein
Bedürfnis, es war aber nicht schön. Gabriel hat auch keine schöne
Geschichte, und wenn er 2017 eine findet, dürft ihr mich Göring-Eckardt
nennen. Beziehungsweise andersherum.
## Wo liegt das Paradies?
Simon Kuper hat in der Financial Times darauf hingewiesen, dass eine Story,
die ins Paradies führt, seit Adam und Eva gut bei den Leuten ankommt.
Früher konnte man anscheinend Linke und Rechte daran unterscheiden, dass
das eine Paradies in der Vergangenheit (Konservative) und das andere in der
Zukunft lag (Linke), was eine Parallele zu anderen Kirchen ist. Heute haben
die Sozialdemokraten das Paradies in die Vergangenheit verlegt (Willy
Brandt). Und die Realisten es in die Gegenwart (Merkel).
Ich fasse für Grüne zusammen: „Innen grün, Außen Minister“, das war eine
einfache, schöne People-Geschichte, die 2002 zum Zeitgefühl passte. Der
Kandidat war populärer als die Partei, und den Plot kapierte jeder. Mit
gesichtslosen Inhalten kann man Wahlen nur verlieren. Vor allem, wenn man
das breite Publikum damit nicht nur langweilt, sondern die zuhörenden Teile
auch noch verärgert. Der Kunde will eine sympathische Figur, eine schöne
Geschichte und wenn überhaupt Inhalte, dann die Lösung eines Problems, das
er hat. Nicht eines, das er bekommt, wenn er Kunde wird.
Die Grünen indes verknüpfen gern einen Innere-Werte-Kandidaten mit einer
schlimmen Vergangenheit, einer schlimmen Zukunft, einer fehlenden
Machtperspektive, einer Steuererhöhung für die Mittelschicht,
Gähnmaisplakaten und dem Binnen-I. Motto: No, we cannot. Ideale Inhalte für
die Rest-Stammkundschaft. Aber es braucht sich auch keiner zu wundern, wenn
normale Wähler sagen: dann doch lieber eine gut aussehende Frau.
7 Mar 2015
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Grüne
Katja Suding
Brüste
Grüne
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Katja Suding
Schwerpunkt Pegida
Islamismus
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