# taz.de -- Geiselnahme in der JVA Lübeck: Zwei Monate Streit und ein Todesfall | |
> Nach der Geiselnahme mit Skandalfolge steht die Kieler Justizministerin | |
> Anke Spoorendonk (SSW) seit Wochen in der Dauerkritik der Opposition. Nun | |
> startet sie die Flucht nach vorne und spricht von einem „durchsichtigen | |
> Versuch“, Ängste zu schüren. | |
Bild: Wo Häftlinge einen Wärter überwältigten: Der Streit um die Geiselnahm… | |
HAMBURG taz | Sie will einfach nicht abebben, die Debatte um | |
Schleswig-Holsteins Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW). Dabei ist es | |
immerhin fast auf den Tag genau zwei Monate ist es her, dass im Lübecker | |
Gefängnis Häftlinge einen Wärter überwältigten, mit der Geisel über eine | |
Treppe zu fliehen versuchten und nach etwa zehn Minuten gestoppt wurden. | |
Infolge des Vorfalls an Heiligabend laufen staatsanwaltschaftliche | |
Ermittlungen, ein Disziplinarverfahren, weitere Verfahren gegen hochrangige | |
Richter werden geprüft und die Justizministerin steht unter Druck. | |
Gerechtfertigt oder handelt es sich nur um eine Taktik der Opposition? | |
Es sei ein „durchsichtiger Versuch“, Ängste zu schüren, sagte Spoorendonk | |
am Freitag im Landtag zu einem Antrag der CDU-Fraktion, der sich mit der | |
Fürsorgepflicht des Landes gegenüber Justizvollzugsbeamten beschäftigte. | |
Aber der Versuch, so durchsichtig er war, gelang: Der Antrag wurde in den | |
Innen- und Rechtsausschuss überwiesen, trotz der Hinweise aus den | |
Regierungsfraktionen, dass eigentlich schon alles gesagt sei. Bereits am | |
Vortag hatte sich der Landtag mit der Geiselnahme und ihren Folgen | |
beschäftigt. Anlass war der Versuch hochrangiger RichterInnen, eine | |
Solidaritätsadresse für Spoorendonk zu organisieren. Das scheiterte, weil | |
andere Gerichtspräsidenten nicht mitspielen wollten. | |
Den Ideengebern, dem Präsidenten des Verfassungs- und der Präsidentin des | |
Oberlandesgerichts, drohen möglicherweise Disziplinarstrafen. | |
Ungeschicklichkeiten dieser Art gab es viele in den vergangenen zwei | |
Monaten – und damit bietet das Regierungslager der Opposition immer wieder | |
Angriffsflächen. Erst nach und nach erhellte sich, was am Nachmittag des | |
24. Dezember im Lübecker Gefängnis geschah. Lange blieb Spoorendonk dabei, | |
dass alle Beteiligten, sowohl die Beamten als auch die Gefängnisleiterin | |
Agnete Mauruschat, sich korrekt und verhalten hätten. Damit konterte sie | |
auch den Vorwurf, der als erstes laut wurde: Mauruschat, die nach dem | |
Vorfall telefonisch informiert wurde, entschied, weder Polizei noch | |
Staatsanwaltschaft hinzuzuziehen. Die Lübecker Polizei erfuhr eher zufällig | |
von der Geiselnahme. Erst am Tag danach rückte die Polizei an – für eine | |
Spurensuche und die Feststellung, ob die Beteiligten Alkohol oder Drogen | |
konsumiert hatten, also viel zu spät. | |
## Disziplinarverfahren gegen JVA-Chefin | |
Das sei nach der gültigen Verordnung okay, aber dennoch nicht optimal, | |
lautete das Fazit des Justizministeriums. Spoorendonk erließ eine neue | |
Verordnung, in der geregelt ist, wann Polizei und Staatsanwaltschaft zu | |
informieren sind – umgehend nämlich. Die Opposition verwies auf den | |
sogenannten Alarmplan, laut dem bei einer „schweren Straftat“ – wie einer | |
Geiselnahme – selbstverständlich die Polizei ins Gefängnis gerufen werden | |
müsse. Dann verkündete die Ministerin in einer eilig einberufenen | |
Pressekonferenz, dass Mauraschat schon Monate vor dem aktuellen Vorfall mit | |
Vertretern der Staatsanwaltschaft genau diese Vorgehensweise besprochen | |
hatte. Weil sie dem Ministerium davon nichts berichtet hatte, sei das | |
Vertrauen nun gestört. Mauruschat wurde ihres Postens enthoben und ein | |
Disziplinarverfahren eingeleitet. Inzwischen berichtete der Anwalt des | |
Geiselnehmers, sein Mandant sei von einem Wärter zusammengeschlagen worden, | |
als er bereits gefesselt auf dem Boden lag. Ein weiterer Häftling bestätigt | |
die Vorwürfe. | |
Die neuste Nachricht aus dem Gefängnis: Ein Häftling starb, offenbar beging | |
er Selbstmord. Die Tat habe nichts mit der Geiselnahme zu tun, so das | |
Ministerium – zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt kam sie dennoch. | |
## Piraten: "Alles verschlafen" | |
Im Zuge der Debatten verschärft sich der Ton, vor allem zwischen | |
Oppositionsführer Daniel Günther und SPD-Fraktionschef Ralf Stegner. Lars | |
Harms (SSW) warf der Opposition Foulspiel vor. Wolfgang Dudda | |
(Piratenpartei) kritisiert, in den Gefängnissen sei „alles verschlafen | |
worden“. Schuld daran sei die moderne Personalführung. | |
22 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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