# taz.de -- Angebliches Strategiepapier Russlands: Von langer Hand geplant? | |
> Eine Moskauer Zeitung veröffentlicht angebliche Pläne zur | |
> Destabilisierung der Ukraine. Der Kreml dementiert. | |
Bild: Donezk am 24. Januar: Trauer um neun Tote nach einer Explosion an einer B… | |
MOSKAU taz | War der ukrainische Expräsident Wiktor Janukowitsch im letzten | |
Jahr noch zu retten? Ein Strategiepapier, das der oppositionellen Zeitung | |
Nowaja Gaseta aus der Kreml-Administration zugespielt worden sein soll, | |
stellt schon Anfang Februar 2014 ohne Umschweife fest: Das System | |
Janukowitsch sei politisch bankrott. Der Präsident habe die Kontrolle über | |
die politischen Ereignisse längst verloren. Es lohne sich für Russland | |
nicht mehr, ihn noch zu unterstützen. | |
Das Papier soll zwischen dem 4. und 12. Februar letzten Jahres im Kreml | |
eingegangen sein. Dahinter soll ein rechtsorthodoxer Geschäftsmann mit | |
Interessen im Donbass stecken. Wie glaubwürdig ist es? Die Zeitung beruft | |
sich auf eine seit Jahren verlässliche Quelle im Umfeld der Macht, von der | |
sie nie enttäuscht worden sei. | |
Am 4. Februar hatte der noch amtierende Präsident Neuwahlen versprochen. | |
Aus diesen Wahlen würde aber kein Politiker hervorgehen, der mit Russland | |
zu einem Dialog bereit wäre, heißt es unter Punkt 1 des „Dokuments“. | |
Stattdessen könnten Neuwahlen die Desintegration der Ukraine noch | |
beschleunigen. „Die EU und die USA lassen dies auch zu“ und seien bereit, | |
das Land „zu schlucken“. Auch Vertreter der ukrainischen Elite hätten | |
nichts dagegen einzuwenden. | |
Daher wird in dem Papier gefordert, Russland müsse „pragmatisch“ werden, | |
die „geopolitische Herausforderung“ der EU annehmen und „sich einmischen�… | |
Andernfalls riskiere Moskau den Verlust des ukrainischen Markts und den | |
Zugriff auf das Gasnetz. Das wäre ein Schlag für die russische Wirtschaft | |
und die Position Gazproms in Zentral- und Südeuropa. | |
Die Teilnahme an der Desintegration oder „Föderalisierung“ der Ukraine | |
würde hingegen den „integrativen Projekten“ Moskaus neue Impulse verleihen, | |
die „geopolitische Ausgangslage in Zentral- und Osteuropa erheblich | |
verändern“ und Russland wieder eine der entscheidenden Rollen zuweisen. | |
Unter „integrativen Projekten“ ist offenkundig die allmähliche | |
Einverleibung der Krim und weiterer Regionen von Charkiw bis Odessa | |
gemeint. | |
Die empfohlenen Maßnahmen decken sich auch mit dem späteren russischen | |
Vorgehen auf der Krim, in Lugansk und Donezk. Zunächst sollten prorussische | |
Kräfte aufgebaut und ziviler Widerstand geschürt werden. Referenden über | |
den Status der Region und Forderungen nach einer Zollunion mit Russland | |
waren für später vorgesehen. Zeitgleich sollten die Befürworter einer | |
Assoziation mit der EU als profaschistische Kräfte denunziert werden. | |
## Wirklichkeit folgte nicht der Vorlage | |
Sollte der Plan tatsächlich echt sein, so folgte die Wirklichkeit nicht | |
ganz der Vorlage. In mehreren Regionen wie Charkiw, Dnipropetrowsk, | |
Saporosche oder Odessa ließ sich kein nennenswerter prorussischer | |
Widerstand organisieren. Die Strategen überschätzten den Zuspruch zu | |
Russland deutlich. Das könnte auch erklären, warum in dem Szenario nirgends | |
der Einsatz von Militär vorgesehen war. | |
Auch die ideologische Aufbereitung seitens des Kreml tauchte in dem Papier | |
nicht auf. Weder war wie in der Ostukraine von der „Gefährdung der Russen“, | |
der „Unterdrückung der russischen Sprache“ noch dem „Schutz der Landsleu… | |
die Rede. Stattdessen geht es um Gas, Geld und Geopolitik. Der kriegerische | |
Eingriff ist also eine Notlösung gewesen, nachdem sich bereits in Charkiw | |
herausstellte, dass die Regionen nicht wie Fallobst in den russischen Schoß | |
kullern. | |
Noch etwas wäre bemerkenswert: Die Behauptung des Kreml, erst der „Putsch“ | |
gegen Janukowitsch – ein Verfassungsverstoß laut russischer Lesart – hätte | |
Moskau zum Eingreifen genötigt, stellt sich im Nachhinein als von längerer | |
Hand geplant heraus. Moskau instrumentalisierte die europäischen | |
Friedensstifter. „Diese Zeitung veröffentlicht manchmal unglaubliche | |
Berichte“, sagte Putins Pressesprecher. Sollte es das Papier geben, so | |
hätte es nichts mit der offiziellen russischen Position zu tun. | |
26 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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