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# taz.de -- Debatte Slawische Orthodoxie: Patriarchen unter sich
> In Russland und in der Ukraine haben die orthodoxen Kirchen an Einfluss
> gewonnen. Das befeuert den Konflikt zwischen beiden Ländern.
Bild: Patriarch Filaret im Kreise ukrainischer Parlamentarier: Er wünscht sich…
Für die russisch-orthodoxe Kirche ist die Herrschaft von Wladimir Putin ein
Glücksfall. Nach dem Sieg der Revolution 1917 und während der Herrschaft
Lenins und Stalins hatte sie alle Privilegien aus der Zarenzeit verloren.
Priester wurden verfolgt, der Kirchenbesitz wurde verstaatlicht, viele
Kirchen wurden zu Lagerhäusern degradiert.
Erst mit dem Überfall der Nazis auf Russland 1941 kam Stalin der Kirche
wieder entgegen. Die Nachfolger Stalins duldeten fortan die Religion, die
Kirche konnte wieder offen tätig werden. Doch ihren alten Glanz konnte sie
erst wieder mit der Herrschaft Putins herstellen. Die Kirche erhält ihren
von den Kommunisten enteigneten Besitz nach und nach wieder zurück.
Die russisch-orthodoxe Kirche hat den Anspruch, aktiv Staat und
Gesellschaft zu prägen. Sie sieht sich in der Tradition der Kirche des 1453
durch die Türken eroberten byzantinischen Reiches. Grundlegend für das
Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist das Konzept der Symphonia, also
der Harmonie zwischen weltlicher und geistlicher Macht. Die weltliche Macht
soll die Kirche beschützen, als Gegenleistung verschafft die Kirche dem
Staat die religiöse Legitimation.
## Explizit politischer Anspruch
Im System Putin wird die Symphonia erneut hergestellt. Putin hat mit dem
ebenfalls aus St. Petersburg stammenden, 2009 ins Amt gekommenen
Patriarchen Kyrill I. auch ein persönlich gutes Verhältnis. Beide wollen
die nach dem Zerfall des Kommunismus klaffende ideologische Leere mit
traditionellen russischen Werten überwinden: Vaterlandsliebe,
Opferbereitschaft, die Treue zur Familie geht einher mit der Ablehnung
westlicher Libertinage. Dass im Westen Homosexuelle sogar hohe Staatsämter
bekleiden können, ist beiden ein Gräuel.
Theologen mögen die Auseinandersetzung über den Begriff der Freiheit in der
slawischen Orthodoxie (die armenische, syrische und koptische Kirche usw.
unterscheiden sich) feinfühliger thematisieren. Hier sei nur gesagt, dass
in der orthodoxen Theologie die individuelle Freiheit nicht zählt. Der
Mensch wird als Teil der Gemeinschaft der Gläubigen (des Volkskörpers)
gesehen. Der Übergang zum Totalitarismus ist daher nicht weit.
Im System Putin ist die russisch-orthodoxe Kirche wieder zu einer mit allen
Rechten ausgestatteten eigenständigen Nationalkirche geworden. Die
autokephale serbische orthodoxe Kirche, die unter Slobodan Milosevic Ende
der 80er Jahre in ähnlicher Weise ihre Stellung im serbischen Staat
wiedererlangt hat, begann auch außenpolitische Forderungen zu stellen. Das
Konzept Großserbien deckt sich mit der Verbreitung der orthodoxen
Kirchenorganisation. Ob im Zuge des Ukraine-Konflikts die orthodoxe Kirche
Russlands ähnliche Ambitionen hat?
## Gespaltene Orthodoxe
Die Orthodoxen des Kiewer Patriarchats sehen sich in der Tradition der
Kiewer Rus, die seit dem 11. Jahrhundert die Ukraine, Teile des heutigen
Russland, Weißrussland und Teile Polens umfasste. Im 13. Jahrhundert
verlagerte sich der Schwerpunkt der Rus jedoch immer mehr nach Moskau. Über
die Frage, wer die Erben des Kiewer Reichs sind, wurde seit dem 19.
Jahrhundert heftig gestritten.
Die in der Ukraine während der Sowjetunion existierende ukrainische
orthodoxe Kirche spaltete sich 1992 in die orthodoxen Kirchen des Kiewer
und Moskauer Patriarchats auf. Anders als die Nationalkirche in Russland
sind die Orthodoxen der Ukraine jetzt sogar in vier Lager gespalten.
Es gibt drei größere rein orthodoxe Kirchen (Moskauer Patriarchat, Kiewer
Patriarchat, Autonomisten), die um den Status als Nationalkirche
konkurrieren. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats ist
vor allem im Osten des Landes verbreitet, die ukrainisch-orthodoxe Kirche
des Kiewer Patriarchats im Zentrum und im Westen des Landes wie auch die
ukrainisch-autonome orthodoxe Kirche, die sich auch ukrainisch-autokephale
Kirche nennt.
Die vierte Kirche, die ukrainische griechisch-katholische Kirche benutzt
eine orthodoxe Liturgie, erkennt aber den Papst als Oberhaupt an. Sie ist
mit rund 5 Millionen Gläubigen die kleinste der orthodoxen Kirchen in der
Ukraine. Angesichts dieser religiösen Vielfalt (hinzu kommen in der Ukraine
ja noch Katholiken, Juden, Muslime) ist das Verhältnis von Staat und
Kirchen in der Ukraine von vornherein anders gelagert als in Russland.
## Putin vom „Satan erfasst“
Eine Nationalkirche zu etablieren geht nicht. Vor wenigen Jahren noch
stritten die Kirchen vor allem um theologische und historische Fragen sowie
um die Aufteilung des in der Sowjetunion verstaatlichten Kirchenbesitzes.
Das hat sich jetzt dramatisch geändert.
Die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats verhehlt ihre
Sympathien mit Russland nicht, während die orthodoxe Kirche des Kiewer
Patriarchats, die ukrainisch-autonome orthodoxe Kirche und die ukrainische
griechisch-katholische Kirche den ukrainischen Staat unterstützen. Die auf
dem Maidan demonstrierenden Priester gehörten zu diesen drei Kirchen,
während die Priester des Moskauer Patriarchats fernblieben. Der ukrainische
Nationalismus kann sich also nicht auf eine autokephale Nationalkirche
stützen, obwohl alle drei ukrainisch ausgerichteten Kirchen den Anspruch
haben, Nationalkirche zu werden.
Noch hat sich die russisch-orthodoxe Kirche mit Territorialforderungen
zurückgehalten. Aber es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, wann die
orthodoxe Kirche auf der Krim der russisch-orthodoxen Kirche angeschlossen
wird. Noch will man in Moskau Rücksicht auf die verbündete Bruderkirche in
der Ukraine nehmen, die vor weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen
warnt. Doch die Töne werden schärfer. Kyrill sieht jetzt russische
Minderheiten außerhalb Russlands als Teil seiner Kirche an.
Der Patriarch Filaret der orthodoxen Kirche im Kiewer Patriarchat dagegen
bezeichnete den russischen Präsidenten als „Lügner und Mörder“, Putin sei
„vom Satan erfasst“. Das hat der russische Patriarch sicherlich nicht gerne
gehört. Die Gesprächsfäden zwischen den Orthodoxen aus Kiew und Moskau
scheinen gekappt zu sein. Putin weiß aber, dass die russisch-orthodoxe
Kirche weiterhin großen Einfluss in der Ukraine hat.
3 Mar 2015
## AUTOREN
Erich Rathfelder
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