# taz.de -- Sportwissenschaftler über BRD-Doping: „Gigantische Pharmakologis… | |
> Andreas Singler untersucht Doping an der Uni Freiburg. Der | |
> Wissenschaftler spricht auch über Missbrauch im Fußball und mangelnden | |
> Aufklärungswillen. | |
Bild: 1a Zuchtschenkel. | |
Seit 2007 untersucht die Evaluierungskommission „Freiburger Sportmedizin“ | |
die Dopingvergangenheit an der Uni Freiburg. Neben der Vorsitzenden Letizia | |
Paoli gehören auch Hellmut Mahler, Heinz Schöch, Gerhard Treutlein und | |
Andreas Singler der Kommission an. Bei ihrer Arbeit stießen sie auf 60 | |
Akten aus einem Strafverfahren gegen den Sportarzt Armin Klümper aus den | |
Jahren 1984 bis 1989. Aus diesen geht hervor, dass die Fußballvereine VfB | |
Stuttgart und SC Freiburg Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre | |
mehrere 10.000 Mark in Medikamente investierten, auch in Anabolika. Das | |
wurde vorzeitig bekannt, weil Singler am Montag die Öffentlichkeit | |
informierte. | |
taz: Herr Singler, Sie haben Ergebnisse zum Doping im deutschen Fußball | |
unabgesprochen nach außen getragen. Warum? | |
Andreas Singler: Es war Eile geboten. Ein Journalist hatte auch | |
Aktenzugriff. In der Kommission war das auch bekannt. Nur bin ich bei | |
meinen Kollegen mit meinen Versuchen, Teile des Berichts vorab der | |
Öffentlichkeit mitzuteilen, nicht durchgedrungen. Also habe ich | |
entschieden, das alleine zu machen. Aber durchaus zum Wohle der gesamten | |
Kommission. | |
Wirklich? | |
Man muss das so sehen: Wenn die Kommission in einem halben oder | |
Dreivierteljahr die Ergebnisse veröffentlicht, die durch Journalisten dann | |
aber längst ausgebreitet wären, nimmt man die Kommission nur noch als lahme | |
Ente wahr. | |
Was haben Sie noch auf Lager? | |
Es gibt weitere Akten mit Namen von Ärzten, die noch nicht genannt sind. In | |
Einzelfällen müssen wir erst mit den betreffenden Personen sprechen. | |
Was erwarten Sie sich davon? | |
Ehrliche Aufarbeitung oder Selbstreflexion ist den Menschen oftmals nicht | |
gegeben, insofern darf man sich von Befragungen nicht zu viel erwarten. | |
Die Akten von Armin Klümper sind recht spät aufgetaucht. Sie waren irgendwo | |
versteckt. Seltsam, oder? | |
Zunächst mal muss man festhalten, dass es zwei verschiedene Vorgänge gibt – | |
neben den Klümper-Akten auch das späte Auftauchen der dienstlichen Akten | |
vom Freiburger Professor Joseph Keul im Jahr 2012. Die waren da, wurden uns | |
aber nicht zur Verfügung gestellt. Ein Vorgang, den ich für dringend | |
aufklärungsbedürftig halte. | |
Gibt es bestimmte Kreise, die daran interessiert sind, die Kommission in | |
ihrer Arbeit zu behindern? | |
Das kann ich nicht einschätzen. Man kann Vermutungen anstellen, aber nichts | |
beweisen. Zumal man den zweiten Fall, den späten Fund der Klümper-Akten, | |
anders bewerten muss. | |
Wie denn? | |
Es stehen ja diverse Verschwörungstheorien im Raum. Daran glaube ich aber | |
nicht. Es würde keinen Sinn ergeben, wenn jemand die Arbeit der Kommission | |
behindern wollte, die Akten dann aber doch freigibt. Deshalb kann man der | |
Staatsanwaltschaft nicht vorwerfen, sie hätte die Akten verborgen. | |
Die Akten stammen aus den Jahren 1984 bis 1989. Wieso kam damals nichts | |
heraus zum Doping im Fußball? | |
Das habe ich mich auch gefragt. Es standen viele unverdächtige Medikamente | |
in den Listen. Neu ist nun, dass sich darunter eben auch Anabolika befanden | |
… | |
… was den Ermittlern damals nicht aufgefallen ist? | |
Die Kommission war damals eine Wirtschaftskriminalitäts-Sonderkommission, | |
die das Dopingproblem erkannt hat. Nur war Doping selbst kein | |
Straftatbestand. Eine Ermittlung wegen Doping hätte es strafrechtlich nicht | |
geben können. Nachforschungen wären aber angebracht gewesen, denn man muss | |
wissen, dass Professor Klümper Anabolika für unschädlich gehalten hat. Es | |
ist also davon auszugehen, dass er seine Patienten nicht rechtswirksam über | |
die Folgen aufgeklärt hat. Ich bin deshalb der Meinung, es hätte ein | |
Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung in Zusammenhang mit Doping | |
geben müssen. | |
Das wurde versäumt. Warum? | |
Einen derartigen Dopingskandal hätte Klümper in den Jahren 1984, 1985 nicht | |
durchstehen können. Er hätte suspendiert werden müssen. Vielleicht wäre | |
dann Birgit Dressel (Klümper-Patientin und Siebenkämpferin, die 1987 an | |
multiplem Organversagen verstarb; d. Red.) noch am Leben. Fakt ist: Viel | |
Doping wäre unterblieben. | |
Wohl auch beim SC Freiburg und dem VfB Stuttgart. Diese Vereine müssten den | |
Ermittlern doch aufgefallen sein? | |
Der Doping-Aspekt müsste der Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sein. Warum | |
das im Prozess keine Rolle gespielt hat, weiß ich nicht. | |
Beim VfB Stuttgart haben Trainer, Teamarzt und Physiotherapeut Doping | |
rückblickend bestritten. | |
Da will ich keine Einzelpersonen beschuldigen. Erstens, weil wir es nicht | |
können. Und zweitens, weil für uns die Struktur im Vordergrund steht. | |
Wie sieht die aus? | |
Die Struktur verweist auf mehr als nur die Versendung von Anabolika, sie | |
lässt auf eine gigantische Pharmakologisierung des Fußballs schließen. Die | |
Medikamenten-Apotheken waren sehr groß und in der Regel wohl den | |
Mannschaften frei zugänglich, und die wurden vom Verein bezahlt, es gab | |
einen eigenen Etat. Dafür wurden mehrere 10.000 Mark ausgegeben. | |
Unter anderem für Anabolika. | |
Dabei hat der Deutsche Sportärzte-Bund, dem Klümper angehörte, seit 1977 | |
die Anwendung von Anabolika als medizinisch indiziert nicht mehr | |
akzeptiert. Auch nicht beim verletzten Sportler. Diese offizielle | |
Auffassung haben aber nicht alle Ärzte geteilt. | |
5 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
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