# taz.de -- Neulich in der Tussy Lounge: „Kinder sind ein Lifestyle-Accessoir… | |
> Die taz.am wochenende zum Frauentag: Ein langes Gespräch über Frauen und | |
> Fiktionen. Mit Nachdenken über „Mütter“ fängt es an. | |
Bild: Reden über Mütter: Ulrike Baureithel, Catherine Bode, Kristina Vaillant… | |
Die Tussy Lounge in Berlin-Friedrichshain, ein Friseursalon mit | |
angeschlossenem Cafébetrieb, 10.40 Uhr – die Kaffeemaschine zischt. | |
Catherine Bode kommt. Die Schauspielerin wird gleich mit den Autorinnen | |
Kristina Vaillant, Ulrike Baureithel und Nana Heymann über das heutige | |
Mutterbild reden. Sie machen den Auftakt unseres langen Gesprächs zum | |
Frauentag. Wir reden, streiten, plaudern über Körperbilder, Musik, Film und | |
soziale Medien. Über Alter, Männer und Prostitution. 10 Stunden Gespräch, | |
28 Gäste, 7 JournalistInnen. Das längste Gespräch, das die taz je hatte. | |
taz: Das Bild von Frauen, die ihre teuren Bugaboos nebeneinander über den | |
Bürgersteig schieben und dabei Latte macchiato trinken, ist zum Inbegriff | |
des Mutterbildes geworden. Frau Bode, sind Sie auch eine solche Mutter? | |
Catherine Bode: Obwohl ich selber zwei Kinder im Buggy durch die Straßen | |
bugsiert habe, bin ich jedes Mal unangenehm berührt, wenn ich einer Horde | |
von Müttern begegne, die den gesamten Gehsteig blockieren. | |
Warum? | |
Bode: Weil ich mich verwahren möchte gegen dieses reduzierte Frauenbild: | |
die leicht debile Gluckenmutter, die ihr Glück darin sieht, nichts anderes | |
zu tun, als sich um ihre Kinder zu kümmern. | |
Nana Heymann: Dieses Bild entspricht einer sehr frühen Phase des | |
Kinderhabens. Dahinter verbirgt sich eine schlichte gesellschaftliche | |
Realität: In der Regel nehmen die Mütter die Elternzeit. Von den Vätern | |
machen das mittlerweile zwar 30 Prozent, die meisten aber nur die | |
obligatorischen zwei Monate. Je älter die Kinder sind, desto häufiger gehen | |
die Mütter arbeiten und blockieren den Gehsteig nicht mehr. | |
Kristina Vaillant: Ich kenne dieses Mutterbild, von dem hier geredet wird, | |
gar nicht. Es suggeriert aber, dass Kinder ein wichtiger Teil der | |
weiblichen Identität und heute so etwas wie ein Lifestyle-Accessoire sind. | |
11.05 Uhr: Die Tür fliegt auf, zwei Frauen kichern. Sie wollen zum Friseur. | |
Vaillant: Als ich schwanger war, Anfang der Neunziger, fragte mich eine | |
Kommilitonin entsetzt: „Hast du das gewollt?“ Als ob ich ein anderer Mensch | |
werden würde, nur weil ich ein Kind bekomme. Ich bin als Mutter die | |
geblieben, die ich war, als ich noch keine Kinder hatte. Wenn das | |
Elternsein etwas mehr Selbstverständlichkeit hat, wird dieses Mutterbild | |
auch nicht mehr zum Feindbild. | |
Es gibt Frauen, die dieses Bild inszenieren. | |
Vaillant: Durchaus. Viele Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, | |
schreiben geradezu zwanghaft in ihre Vita, dass sie verheiratet sind und | |
wie viele Kinder sie haben. | |
Vielleicht wollen sie ihre soziale Kompetenz herausstellen? | |
Vaillant: Ich sehe darin einen Zwang zur Konformität. | |
Väter schreiben jetzt häufig Bücher darüber, wie es ist, Windeln zu | |
wechseln. | |
Vaillant: Das ist genauso schlimm. | |
11.16 Uhr: Der Postbote bringt ein Paket: „Fürs Café“. | |
Nana Heymann: Zwischen uns, Frau Vaillant, liegt eine Generation. Aber auch | |
ich wurde, als ich schwanger war, von einer Kollegin gefragt, ob ich das | |
nicht hätte verhindern können. | |
Ulrike Baureithel: Ich habe keine eigenen Kinder und erlebe, dass | |
mittlerweile jede Frau unter Rechtfertigungsdruck gerät. Frauen ohne Kinder | |
müssen begründen, warum sie keine Kinder bekommen. Und Mütter von | |
behinderten Kindern müssen erklären, warum sie genau dieses Kind bekommen | |
haben. | |
Warum ist das so? | |
Baureithel: Die Umstände des Kinderkriegens haben sich verändert. Durch die | |
moderne Medizin ist die Schwangerschaft technisiert worden, die Erfüllung | |
des Kinderwunschs ist in die Zone der Machbarkeit gerückt. Das widerspricht | |
dem Bild, das ich von früher im Kopf habe. 1964 war meine Mutter schwanger, | |
es war ein heißer Sommer, überall Frauen mit dünnen Kleidern und dicken | |
Bäuchen. Ich hatte das Gefühl, alle Frauen kriegten damals Kinder. Das war | |
selbstverständlich. | |
Das ist heute anders? | |
Baureithel: Heute beobachte ich so etwas wie eine Nötigung zum Kind: Nur | |
mit Kind scheint eine Frau heute eine „richtige“ Frau zu sein, und sie muss | |
alle Rollenerwartungen gleichzeitig erfüllen. Viele Frauen in meinem Alter | |
haben sich bewusst gegen Kinder entschieden. Das führte zu neuen weiblichen | |
Lebensentwürfen. | |
Fühlen Sie sich deshalb unter Druck? | |
Baureithel: Ich habe zwar keine leiblichen Kinder, aber ich war trotzdem | |
zeitweise soziale Mutter, mein Partner hatte Kinder. Heute werden Mütter | |
und Nichtmütter gegeneinander ausgespielt. Die Konkurrenz der | |
Lebensentwürfe ist gesellschaftlich gewollt. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Baureithel: Das hat etwas mit dem demografischen Wandel zu tun: Weil | |
Arbeitskräfte fehlen und Migranten nicht richtig willkommen sind, muss | |
eigener Nachwuchs gezeugt werden. Es werden bestimmte Kinder gewünscht. | |
Beim erwähnten Mutterbild mit den Kinderwagen habe ich noch eine weitere | |
Assoziation: viele Rollstühle, die den vielen Kinderwagen entgegenkommen. | |
Witzigerweise werden die Rollstühle von Frauen geschoben, die ähnlich alt | |
sind wie die mit den Kinderwagen. | |
Bode: Geht es in jedem Fall nur um das Mutterbild? Oder nicht einfach auch | |
darum, eine Familie zu haben? Ich jedenfalls wollte Kinder haben, um eine | |
Familie zu haben. | |
Keine Kinder gleich Einsamkeit? | |
Bode: Das Bild der einsamen Frau sehe ich oft. Einsamkeit kann sich aber | |
auch einstellen, wenn die Kinder aus dem Haus sind. | |
Baureithel: Das ist doch ein sehr pauschales Bild. Die einsame Frau ohne | |
Mann und Kind ist ein medial herbeigeschriebenes Zerrbild. | |
Vaillant: Einsam kann man nicht nur in jeder Phase des Lebens sein. Man | |
kann auch in Gesellschaft einsam sein. | |
Bode: Für Frauen, die allein glücklich sind, die sich selbst genügen, haben | |
wir keine Bilder. | |
Baureithel: Als ich jung war, gab es jede Menge Vorbilder alleinstehender | |
Mütter, deren Männer im Krieg geblieben sind. | |
Bode: Heute ist das Bild der alleinstehenden Frau nicht attraktiv. Da heißt | |
es schnell: Sie ist unglücklich. Oder kratzbürstig. Oder langweilig. Für | |
Männer gilt das im Übrigen nicht. | |
Heymann: Angela Merkel als erfolgreiche Frau wird als "Mutti" bezeichnet. | |
Das hat eine negative Konnotation. | |
Vaillant: Das Paarbild dominiert. | |
11.30 Uhr: Renate Becker, Paartherapeutin, ist schon da. Mit ihr wollen wir | |
ab 12 Uhr über Körperbilder reden. Sie setzt sich an einen Nebentisch. | |
Stehen junge Frauen heute unter Druck, ein gutes Bild abzugeben? | |
Heymann: Unter Performance-Druck schon, ja. Frauen sollen gleichermaßen | |
gute Mütter, Karrierefrauen und attraktive Liebhaberin sein. Durch | |
erfolgreiche Prominente wird zusätzlich Druck aufgebaut. Als junge Frau | |
kann man sich dem nicht ganz entziehen. | |
Frau Baureithel, Sie sagten vorhin, Frauen würden heute genötigt, Kinder zu | |
bekommen. | |
Baureithel: Viele Frauen nehmen das gar nicht mehr wahr. | |
Heymann: Wer nötigt denn? | |
Baureithel: Es gibt kein nötigendes Subjekt. Aber Umstände und Diskurse, | |
die bestimmte Entscheidungen kanalisieren und von denen wir glauben, sie | |
seien selbstbestimmt. | |
So funktioniert Kapitalismus. | |
Baureithel: Mittlerweile auch beim Kinderkriegen. Ich beobachte das in | |
meiner Redaktion, in der viele junge Menschen arbeiten. Die einen fingen | |
an, Kinder zu kriegen, andere zogen dann nach. | |
Ist das nicht normal bei jungen Menschen? | |
Baureithel: Unterdessen haben sie alle zwei oder drei Kinder. Das geht | |
jetzt reihum. | |
Und das ist schlimm? | |
Baureithel: Nein, ich meine das nicht negativ. Ich stelle einfach einen Sog | |
fest. | |
Vaillant: Eine Chefin, die ich mal hatte, Wissenschaftlerin in | |
Leitungsfunktion, bekam das dritte Kind. Wow, dachte ich, es geht also | |
beides, Job und Familie. Das war eine wichtige Erfahrung. Das Bild der | |
berufstätigen Mutter gab es in meiner Familie nicht. | |
Heymann: Da bin ich im Vorteil. Ich bin ein Kind der DDR, meine Mutter war | |
berufstätig mit zwei Kindern. | |
Bode: Meine Mutter war Hausfrau, hat mich aber zur Unabhängigkeit erzogen: | |
Du musst studieren, aus dir muss was werden. | |
Baureithel: In den siebziger Jahren haben viele Frauen abgetrieben, weil | |
sie Kinder nicht handeln konnten. Es gab keine Kita, kein Kindergeld. Ich | |
erinnere mich an eine Frau aus meiner ehemaligen Frauengruppe, die ein Kind | |
erwartete. Sie hatte einen Freund mit einem festen Job in einer großen | |
Firma. Er wollte ein emanzipierter Vater und ebenso für das Kind da sein | |
wie die Mutter. Am Ende kehrten sie mehr oder minder zur traditionellen | |
Rollenverteilung zurück. Nicht zuletzt, weil er mehr verdiente als sie. | |
Heute gibt es Kinder- und Elterngeld, mehr Kitas. | |
Baureithel: Die strukturellen Bedingungen haben sich tatsächlich | |
verbessert. | |
Heymann: Trotzdem ist noch ein weiter Weg zu gehen. Väter sind mittlerweile | |
zwar intensiver und öfter für ihre Kinder da, aber bislang nehmen die | |
meisten nur zwei Vätermonate. Die Autorin Jana Hensel sprach mal von | |
„Symbolvätern“. Nach dem ersten Kind arbeiten nur vierzehn Prozent der | |
Mütter in Vollzeit, nach dem zweiten Kind sechs Prozent. Aber gerade mal | |
fünf Prozent der Väter gehen auf Teilzeit. | |
Vaillant: Das Bild der sorgenden, sich aufopfernden Mutter hält sich über | |
Jahrzehnte. | |
11.40 Uhr: Das Model Sara Schätzl und die Exmuslimin Zana Ramadani setzen | |
sich zu Renate Becker. | |
Familienministerin Manuela Schwesig kämpft für die Familienarbeitszeit: | |
Väter sollen weniger arbeiten, Mütter mehr. | |
Vaillant: Das klingt gut. Aber ich bezweifle, dass es in der Realität | |
funktioniert. Durch die höheren Verdienste der Männer werden Fakten | |
geschaffen, die auch Frau Schwesig nicht aufheben kann. Frauen zwischen | |
dreißig und vierzig arbeiten auch heute zur Hälfte Teilzeit. Nicht immer, | |
aber oft wegen der Kinder. Auf ihrer Internetseite suggeriert die | |
Rentenversicherung Müttern, dass sie in diesem Fall mit der Mütterrente | |
"finanziell abgesichert" sind. Das stimmt aber nicht. Viele Frauen sind im | |
Alter auf staatliche Hilfen angewiesen, weil die Rente nicht reicht. | |
Baureithel: In manchen Fällen ist es für Frauen, die sehr schlecht | |
verdienen, ein rententechnischer Vorteil, ein Kind zu bekommen. Sie | |
bekommen dann übergangsweise mehr Rentenpunke, als wenn sie nicht arbeiten | |
würden. | |
War nicht arbeiten eine Option für Sie, Frau Heymann? | |
Heymann: Nie. Ich habe mich sehr auf meinen ersten Arbeitstag nach der | |
Elternzeit gefreut. | |
Baureithel: Ich kenne Akademikerinnen, die wegen der geschenkten | |
Rentenpunkte sagen: Ich arbeite erst mal nicht mehr. | |
Vaillant: Das ist eine Milchmädchenrechnung. Wer lange nicht im Job war, | |
kommt später schwer wieder rein. | |
12 Uhr: Draußen vor der Tür fragt eine junge Frau schüchtern: „Is this a | |
hairdresser?“ „Yes it is, its open.“ In der Tussy Lounge geht es | |
mittlerweile zu wie in einem Taubenschlag. | |
Frau Heymann, Sie finden, dass Mütter auch ein aktives Nachtleben haben | |
sollen. Ein weiterer Druck? | |
Heymann: Ich kann nicht leugnen, dass ich trotz Mutterdaseins gern auf | |
Partys gehe. Das geht anderen jungen Müttern auch so. | |
Wollen junge Frauen immer alles auf einmal haben? | |
Heymann: Ein wenig schon. Manchen fällt es schwer, Kompromisse zu machen, | |
die sie als lauwarm empfinden. | |
Der Altersdurchschnitt der Mütter hierzulande liegt bei 29. | |
Heymann: Erst neulich unterhielt ich mich mit einer Frau, die mit 40 ihr | |
erstes Kind bekam. Die sagte, dass es ihr schwerfalle, wegen des Kindes | |
jetzt auf bestimmte Dinge zu verzichten. Durch die emanzipatorischen | |
Vorgaben, Frauen sollten Job und Kinder unter einen Hut kriegen, haben es | |
andere Frauenbilder schwer. | |
Welche? | |
Heymann: Zum Beispiel, als Mutter eine Auszeit zu nehmen. | |
Stimmen Sie der früheren Familienministerin Kristina Schröder zu, dass die | |
Politik Frauen keine Vorgaben machen sollte? | |
Heymann: Das nicht. Aber möglicherweise haben sich Frauen durch ihren | |
Anspruch an sich selbst einen Bärendienst erwiesen. | |
FRAGEN: TAZ | |
Das komplette Gespräch lesen Sie in der taz.am wochende. | |
7 Mar 2015 | |
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