| # taz.de -- Interview zur Abschaffung der Bahncard: „Durch Zwei teilen kann j… | |
| > Schon einmal hat die Bahn die Bahncard abgeschafft. Einer ihrer Erfinder | |
| > erinnert sich. Und erzählt, wie sein psychologischer Trick funktioniert. | |
| Bild: „Der normale Effekt eines mehrteiligen Preissystems“: Umtauschaktion … | |
| taz.am wochenende: Herr Tacke, Kann man das so sagen: Sie sind der Erfinder | |
| der Bahncard? | |
| Georg Tacke: Das ist ein großes Wort. Wir haben seinerzeit das | |
| Beratungsprojekt für die Bahn durchgeführt, und ich war der Projektleiter. | |
| Insofern können Sie das so nennen. Genauso kann man aber auch den | |
| seinerzeitigen Personenverkehrsvorstand Hemjö Klein nennen – denn mit ihm | |
| oder für ihn haben wir das Projekt gemacht. Wir waren bei Simon Kucher | |
| damals eine sehr kleine Beratungsgesellschaft, aber bereits klar auf das | |
| Thema Pricing spezialisiert. In meiner Dissertation „Nichtlineare | |
| Preisbildung“ finden Sie beispielsweise genau solche Konzepte. | |
| Und warum fand die Bahn, dass sie ein neues Preiskonzept brauchte? | |
| Es gab drei Gründe: Erstens das undurchsichtige Preissystem. Das führte zu | |
| Intransparenz und niemand wusste, wie teuer die Bahn ist. Zweitens lag die | |
| Zugauslastung im Fernverkehr bei unter 40 Prozent – das heißt: nahezu leere | |
| Züge. Airlines fangen bei einer Auslastung von unter 80 Prozent an zu | |
| weinen. Und drittens der massive Wettbewerb, durch den Individualverkehr, | |
| also das Auto. Die Marktforschung bestätigt uns, dass der Kunde sein | |
| Verkehrsmittel sehr vereinfacht auswählt, nämlich: Wie teuer ist das | |
| Bahnticket und was kostet der Sprit? Gegen die reinen Spritkosten, das | |
| hatte die Bahn erkannt, hat sie immer einen strukturellen Nachteil. | |
| Welche Vorgaben hat die Bahn Ihnen gemacht? | |
| Die Idee, so etwas wie die Bahncard einzuführen, existierte schon. Es gab | |
| da ja beispielsweise auch schon das Halbtax-Abonnement bei der SBB... | |
| ...der Schweizer Bundesbahn... | |
| ...genau. Ich habe danach auch mit dem Marketing-Vorstand der SBB | |
| gesprochen und nach deren Erfahrungen gefragt und den Fehlern, die man | |
| vermeiden sollte. | |
| War das das einzige Konzept, das Sie in Betracht gezogen haben? | |
| Andere Ideen wurden zwar angedacht, aber schon nach relativ kurzer Zeit | |
| begraben. Wirklich durchsimuliert haben wir dann unterschiedliche | |
| Bahncard-Varianten. Die Fragen waren dann: 50 Prozent Rabatt oder 25? Oder | |
| ein Drittel? Wie hoch muss man den Bahncard-Preis ansetzen? | |
| Wie haben Sie den Preis festgelegt? | |
| Wir haben mit knapp 10.000 Bahngästen gesprochen, die meisten Interviews | |
| wurden im Zug geführt. Dabei haben wir Dinge wie Preisbereitschaft | |
| gemessen. Als Optimum haben wir einen Rabatt von 50 Prozent und einen | |
| Kartenpreis von damals etwa 220 Mark ermittelt. Interessanterweise haben | |
| die 50 Prozent Rabatt beim Kunden einen sehr hohen Wert. Ein Grund hierfür | |
| ist sicherlich die Einfachheit: Den Preis durch Zwei teilen kann jeder. | |
| Rational begründen lässt sich das nicht. | |
| Warum braucht man überhaupt eine Rabattkarte? Die Bahn hätte doch auch in | |
| der Breite die Preise senken können. | |
| Im Schnitt geben Sie dem Bahncard-50-Kunden 30 Prozent Rabatt. Wenn der | |
| Personenverkehr mit Bahncard 50 jetzt ein Viertel des Umsatzes ausmachen | |
| würde, hätten Sie 30 Prozent auf ein Viertel und könnten jedem Kunden 7,5 | |
| Prozent geben. Das hätte aber auf keinen Fall die gleiche Wirkung. Denn die | |
| Wahrnehmung der Bahncard ist ja: Ich spare 50 Prozent. | |
| In Wirklichkeit sind es aber nur etwa 30 Prozent, weil der Kunde ja erst | |
| die Bahncard kaufen muss. Warum merkt er das nicht? | |
| Der Kartenpreis gilt als „sunk costs“ – die sind weg. Sie fließen nicht | |
| mehr in die Entscheidung des Kunden ein, ob er mit der Bahn oder dem Auto | |
| fährt. Bei jeder dieser Entscheidungen legt er den 50-Prozent-Rabatt | |
| zugrunde. Das heißt, die Bahn erzeugt bei jeder einzelnen Bahnfahrt einen | |
| 50-Prozent-Effekt, gibt aber nur 30. Da müssen Sie erst mal etwas | |
| Intelligenteres finden. | |
| Ist das ein gängiger Trick beim Pricing? | |
| Das ist kein Trick, sondern der normale Effekt eines mehrteiligen | |
| Preissystems. Es ist wie beim Auto: Sie haben es einmal gekauft und schauen | |
| dann bei jeder Fahrt nur noch auf den Spritpreis. Wertverlust, | |
| Servicekosten spielen keine Rolle. Den schönen Begriff des „total cost of | |
| ownership“ hat insbesondere der Privatkunde nicht im Hinterkopf; er nimmt | |
| die tatsächlichen Kosten nur teilweise wahr. | |
| Wie haben die Kunden die Einführung der Bahncard damals aufgenommen? | |
| Das war eine riesige Marketingaktion. In dem Fall auch notwendig, immerhin | |
| kam ja ein komplett neues System in den Markt. Die Bahncard wurde dann auch | |
| hervorragend angenommen, immerhin gab es einen Aufstand, als man die | |
| Bahncard 2002 wieder abschaffen wollte. | |
| Warum ist die Abschaffung schiefgegangen? | |
| Man hat versucht, ein Flugpreissystem für die Bahn einzuführen – das ist | |
| grandios gescheitert. | |
| Das heißt, sich an der Auslastung zu orientieren? | |
| Nicht unbedingt. Man wollte eine relativ strikte Zugbindung einführen. Die | |
| Möglichkeit, einfach zum Bahnhof zu gehen, sich ein Ticket zu kaufen und in | |
| den Zug zu steigen, wurde stark eingeschränkt, die Freizügigkeit begrenzt. | |
| Ein Widerspruch: Mit der Bahncard wurde der Taktverkehr eingeführt. Der | |
| Kunde konnte sich darauf verlassen, dass Züge auf bestimmten Strecken | |
| regelmäßig fuhren, zum Beispiel stündlich. Und jetzt habe ich einerseits | |
| ein hochfrequentes Verkehrsmittel und auf der anderen Seite eine geringe | |
| Flexibilität. | |
| Die Bahn hat die Bahncard also einseitig abgeschafft, und als der Laden | |
| zusammenbrach, hat man Sie um Hilfe gebeten? | |
| Wenn Sie es so ausdrücken wollen… | |
| Das klingt nach einem typischen Mehdorn. | |
| Wieso? | |
| Weil er als jemand gilt, der solche Dinge im Alleingang durchzieht. | |
| Herr Mehdorn war bei der Abschaffung der Bahncard nicht federführend. | |
| Zuständig war der Vorstand für Personenverkehr. | |
| Jetzt wird wieder über die Abschaffung der Bahncard diskutiert. Werden der | |
| Bahn die Rabatte zu hoch, weil zu viele Leute die Bahncard nutzen? | |
| Eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Je mehr Kunden eine Bahncard 50 | |
| kaufen, desto mehr Personen sind darunter, die die Bahncard gar nicht | |
| ausnutzen. Also wird es günstiger für die Bahn. Viele kaufen sich die | |
| Bahncard auch, weil sie die Convenience schätzen: Sie können jederzeit | |
| hingehen und zahlen 50 Prozent. Wir haben Kunden testweise vorgerechnet, | |
| dass sie die Bahncard 50 gar nicht ausgenutzt hatten und eine Bahncard 25 | |
| besser gebrauchen könnten. Die wollten die Bahncard 50 aber behalten, schon | |
| für den Fall, dass sie doch mal mehr fahren. Der Mensch handelt nicht immer | |
| rational. | |
| Was würden Sie anders machen, wenn Sie noch mal ein Preissystem einführen | |
| könnten? | |
| Ich würde die Bahncard 50 wieder einführen, aber auch die Bahncard 100 | |
| stärker forcieren. Die Schweizer Version, das Generalabonnement, wird | |
| 440.000-mal verkauft. Auf Deutschland übertragen wären das 5 Millionen, | |
| wobei man das natürlich nicht 1:1 vergleichen kann. Die SBB wird Ihnen | |
| bestätigen, dass das enorme Effizienzvorteile mit sich bringt: Ein | |
| Bahncard-100-Kunde muss niemals ein Ticket kaufen, was sich direkt auf | |
| Vertriebsprozesse, Automaten etc. auswirkt. | |
| Okay. Was noch? | |
| Man hätte die Bahncard auch stärker mit neuen Technologien verknüpfen | |
| können wie etwa kontaktloses Ticketing oder aber Apps, wie man sie vom | |
| Fahrdienstanbieter Uber kennt. Solche Innovationen könnte man zuerst bei | |
| Bahncard-Kunden einführen. Inhaltlich hat sich die Bahncard während der | |
| letzten 20 Jahre kaum verändert. Da hätte man mehr tun können. | |
| Kurzfristig muss die Bahn auf die neue Fernbuskonkurrenz reagieren, die ihr | |
| merklich Marktanteile abnimmt – 120 Millionen Euro Umsatz im vergangenen | |
| Jahr... | |
| ...das finde ich medial aufgebauscht. Bei 4 Milliarden Euro Bahn-Umsatz | |
| allein im Fernverkehr reden wir über drei Prozent, wobei ich die auch nicht | |
| kleinreden will. | |
| Sie sehen keine Chance, dass die Bahn deren Preissystem übernimmt? | |
| Bus und Bahn sind vom System und von der Kostenstruktur her völlig | |
| verschieden. Insofern macht es keinen Sinn, ein Buspreissystem zu | |
| übernehmen. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Bahn ihre Preise in | |
| Zukunft fallweise noch stärker speist – und zwar nach unten und nach oben. | |
| Zu Stoßzeiten morgens oder abends könnte sie beispielsweise mehr nehmen, | |
| eine Art Peak-Zuschlag verlangen. | |
| 13 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Kastner | |
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